Bärbel Junker

Der Kristall


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einer Schwarzen Hexe gesehen hätte, die Preleida eigentlich nicht betreten durfte, denn König Askento hatte sie verbannt. Außerdem hatte Noldikian damit geprahlt, schon sehr bald der mächtigste Zauberer neben seinem unüberwindbaren Gönner zu sein. An sein übersteigertes Selbstbewusstsein gewöhnt, hatte Asper das Gerede nicht weiter ernst genommen.

      Sie hatte mit ihrem Bruder verabredet, Noldikian aufzusuchen, sobald der Elfenkönig angekommen war. Vielleicht konnten sie etwas von ihm erfahren. Wusste Noldikian von dem Dämon? Kannte er ihn? War ER sein sogenannter Gönner? Wusste er vielleicht sogar, wo ER sich aufhielt? Und war es Noldikian gewesen, der den roten Kristall vergraben hatte? Sie benötigten unbedingt Antworten. Samiras hoffte, der Zauberer würde sie ihnen geben.

      Gleich nach dem Besuch bei dem Zauberer wollten sie sich auf den Weg nach Arakow machen, um den Knaben Esmahel zu finden. König Askento hatte Osiac, der seine Schwester unbedingt begleiten wollte, sofort freigestellt.

      Fehlt nur noch Hetzel, dachte Samiras. Und natürlich Karon. Aber daran durfte sie nicht denken. Karon war tot und nichts und niemand konnten ihn ihr wieder zurückbringen. Aber sie hatte gelernt, damit zu leben. Nur tat es immer noch weh.

      In dieser Nacht suchte der Albtraum Samiras nicht heim. Ungestört schlief sie bis zum Morgen durch.

      DAS HAUS DES ZAUBERERS

      Das Haus am Waldrand schien leer zu sein. Anscheinend war Noldikian nicht zu Hause. „Wir gehen trotzdem rein“, sagte Samiras. „Wir sehen uns da mal um. Vielleicht finden wir einen Hinweis, für wen der Zauberer arbeitet und ob er den Kristall am Perlmuttbaum vergraben hat. Aber achtet auf magische Fallen.“

      Ephlor konnten sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Vielleicht sollte ich die Vorhut machen, Samiras“, schlug er vor. „Mir entgeht so leicht nichts.“

      Samiras lachte. „Da war ich wohl ein wenig voreilig“, erkannte sie. „In meiner Freude dich wieder zum Gefährten zu haben, bin ich wohl übers Ziel hinaus geschossen. Es tut mir leid.“

      Ephlor winkte ab und ging wachsam auf das Haus zu. Eventuelle magische Fallen würde er rechtzeitig entdecken und sie warnen.

      Die Schwarze Hexe Lestizia, die in Gestalt einer Krähe über den Gefährten in einem Baum hockte, grinste gehässig. Sie hasste Elfen und Trolle und alle anderen Lebewesen eigentlich auch. Sympathie hegte sie nur für sich selbst.

      Sie war eitel und machtgierig. Und sie war zutiefst Böse. Ihre Bösartigkeit hatte ihr die Gunst des Dämons gesichert, dem sie ausgesprochen nützlich war.

      Lestizia bewunderte und beneidete IHN. Aber sie fürchtete IHN auch. ER hatte ihr zwar etwas gegeben, das ihre Magie erheblich stärkte, doch war ihr klar, dass sie gegen IHN nicht den Hauch einer Chance hatte. Also diente sie IHM, wie sie von jeher dem Bösen gedient hatte.

      Die Krähe Lestizia hüpfte auf einen anderen Ast, von dem aus sie besser verstehen konnte, worüber die ungebetenen Besucher sprachen. Sie kannte die Frau mit den kupferfarbenen Haaren. Jeder in Preleida kannte die Gefährtin des Perlmuttbaums. Und jeder verehrte sie.

      Das Volk der Schlangenmenschen hatte ihr zu Ehren ein zehn Fuß hohes Monument aus weißem Marmor errichtet. Es hatte die Form eines Samenkorns und darin eingemeißelt standen die Namen all derer, die Samiras dabei geholfen hatten den Zaubersamen zu finden und den Perlmuttbaum neu entstehen zu lassen.

      Lestizia verabscheute diese, ach, so gute, Person. Sie würde ihr hier und jetzt zeigen, was das Böse alles vermochte! Wenn ich Vieh verhexen kann, dann kann ich auch die schwarze Pantherin verhexen, dachte Lestizia höhnisch. Der Frau scheint ja sehr viel an ihr zu liegen.

      Durch die Macht, die ER mir verliehen hat, gelingt es mir vielleicht sogar das Tier in etwas Grauenhaftes zu verändern.

      Sie konzentrierte sich, hielt ihren Blick auf Danina gerichtet, fixierte sie, wie die Schlange ihre Beute.

      Samiras wurde plötzlich unruhig. Ihre feinen, magischen Sinne spürten einen Hauch von Gefahr. Da war etwas, etwas das mit Worten nicht zu beschreiben, aber von fast greifbarer Intensität war. Es war da, irgendwo ganz in ihrer Nähe, lautlos und lauernd. Eine unbestimmbare, stumme Bedrohung. Doch sie spürte, die Bedrohung galt nicht ihr, sie galt …

      „DANINA!“

      Ihr Warnschrei erreichte die Pantherin in dem Moment, in dem diese einen Feuerstrahl aus ihren goldenen Augen in die Baumkrone schickte. Danina hatte die Gefahr längst erkannt.

      Unter lautem Gezeter und mit glimmendem Gefieder schwang sich eine Krähe in die Luft und flog unsicher schwankend hastig davon. Verdammt! Was war das denn?! wütete die Schwarze Hexe. Wieso habe ich die Magie in dem Mistvieh nicht gespürt? Um ein Haar hätte das ins Auge gehen können. Der Feuerstrahl ging haarscharf an mir vorbei.

      Verdammter Mist! Hoffentlich sind sie jetzt nicht gewarnt, dachte sie besorgt. Das würde ER mir sehr verübeln! Aber dann beruhigte sie sich wieder. Magie oder nicht! Es ist ja schließlich nur ein Tier, dachte sie überheblich. Beim nächsten Mal kommt es mir nicht lebend davon.

      „Was war los?“, fragte Samiras die Pantherin.

      „Einen Moment lang konnte ich ihre Gedanken lesen“, erwiderte Danina. „Die Krähe war in Wirklichkeit Lestizia, die Schwarze Hexe. Sie ist ein besonders böses Geschöpf. Und sie dient IHM. Sie wollte mich in etwas Schreckliches verwandeln, um dir weh zu tun, Samiras.

       Sie hasst dich. Das las ich in ihren Gedanken. Und sie verfügt über zusätzliche Fähigkeiten, die ER ihr verlieh. Sie dachte ständig an einen Anhänger, den ER ihr gab. Noldikian erhielt auch einen. Ich vermute, sie beziehen daraus ihre zusätzlichen Kräfte.“

      „Dann wissen wir also schon mal, wer seine Helfer sind“, erwiderte Samiras. „Damit ist wohl ziemlich sicher, dass Noldikian der Bösewicht mit dem roten Kristall war. Nur wie hat er ihn erhalten? Und wer hat den Perlmuttbaum in den Schlaf gesungen? Na, egal! Ich werde es schon aus ihm herausholen“, murmelte sie.

      „Was ist? Kommt ihr nicht mit? Ephlor wartet“, drängte Osiac neben ihnen. „Du wolltest doch Antworten, wenn ich mich recht entsinne.“

      „Einige habe ich schon“, erwiderte Samiras und erzählte sie ihm.

      Gemeinsam mit Danina und ihrem Bruder näherten sie sich dem von einer undurchdringlichen hohen Hecke umschlossenen Haus. Es war nur durch einen schmalen, mit einem separaten Heckenteil verschließbaren Durchgang zu erreichen.

      Die Hecke war gespickt mit langen Dornen, die schreckliche Wunden reißen mussten. Noldikian hat seinen Besitz gut gesichert, dachte Samiras. Deshalb benötigt er wohl auch keine magischen Sperren.

      Der Elfenkönig wartete bereits vor der offenen Tür. „Was war da eben los?“, fragte er. Und Samiras erzählte es ihm.

      „Wie hast du denn die schwere Tür aufgekriegt?“, wollte Osiac wissen.

      „Das war leicht, denn sie war gar nicht abgeschlossen“, erwiderte Ephlor.

      „Also dann“, sagte Samiras. Als sie die Schwelle überschritt, fühlte sie das Böse, das hier lauerte, wie einen körperlichen Schlag. Es war still. Ihrem Gefühl nach zu still. Sie standen in einem großen Raum, den eine geschwungene in das Obergeschoss führende Wendeltreppe unterteilte.

      Nacheinander stiegen sie die Treppe hinauf, als letzter der Troll, dessen schwere Schritte durch das Haus dröhnten. Spätestens jetzt musste Noldikian sie bemerken, sollte er sich hier irgendwo aufhalten.

      Auch das Obergeschoss bestand nur aus einem einzigen, weitläufigen Raum. Aber wie sah es hier aus! Ein Hurrikan musste sich hier ausgetobt haben!

      Sie gingen an der umgestürzten Sitzecke vorbei zu dem gewaltigen Schreibtisch, der zusammen mit einigen wenigen noch stehenden Bücherregalen eine ganze Wand einnahm. Samiras stellte den Stuhl dahinter wieder auf und setzte sich. Sie musterte die Reste des jetzt überwiegend beschädigten Sammelsuriums