Bärbel Junker

Der Kristall


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durchsichtige Glasgefäße mit ekligem, undefinierbarem Inhalt und vieles mehr. Samiras zog die Schreibtischschublade auf. Vielleicht ließ sich hier etwas für sie Wichtiges finde.

      Sie fand etwas, aber nicht das, was sie suchte.

      Der Inhalt der Schublade bestand nur aus einer dünnen Mappe und einem länglichen, in schwarzen Stoff eingewickelten Paket. Sie wickelte es aus. Eine kleine, grob gefertigte Figur lag vor ihr. An und für sich nichts Besonderes, hätte sie nicht ausgerechnet ihr Gesicht gehabt! „Dieser verdammte Kerl“, flüsterte sie.

      „Besser, du vernichtest die Figur“, sagte Ephlor. „Ich spüre das Böse in ihr.“

      „Gib her“, grollte Tolkar. Er nahm die Puppe und zerdrückte sie. Nur noch so etwas wie grober Sand rieselte durch die Finger seiner schaufelgroßen Hand.

      „Riecht ihr das auch?“, fragte Osiac schnüffelnd.

      Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, da flitzte Danina schon dorthin, wo anscheinend Noldikians Schlafecke war. Jedenfalls ließ der hohe Deckenstapel darauf schließen. Fauchend zerrte sie die Stapel auseinander.

      „Mein Gott“, flüsterte Samiras schockiert.

      Entsetzt starrten die Gefährten auf das, was von dem Zauberer Noldikian noch zu erkennen war. Wer, um Himmel willen, konnte ihn derart grausam zugerichtet haben?! fragten sie sich. Über seinen geschundenen Körper mussten ganze Pferdekolonnen galoppiert sein, so zerschunden wie der war.

      „Wenn sich hier kein Schlägertrupp ausgetobt hat, dann war es Magie in ihrer schlimmsten Form“, sagte Osiac.

      „Es war schwarze Magie“, wisperte Danina in Samiras Kopf. „Ich kann sie förmlich riechen, die Hexe Lestizia. Kein Wunder, dass der Dämon mit ihr paktiert.“

      „Seht mal, was ich neben dem Bett gefunden habe“, sagte Ephlor. Auf seiner Hand lag ein schwarzer, tropfenförmiger Anhänger mit einem blutroten winzigen Teufelsgesicht in der Mitte. Die Kette, an der er hing, war zerrissen.

      „Das muss der Anhänger sein ...“, Samiras stockte. Erschrocken starrte sie Ephlor an. Dessen Gesicht verzerrte sich zur Grimasse. Er keuchte und schnaufte, fletschte bedrohlich die Zähne, zog sein Schwert und … griff Samiras an!

      Diese reagierte nicht, stand nur da, starr vor Entsetzen.

      Da umschlang ein gewaltiger Arm den schmalen Oberkörper des Elfenkönigs. Eine schaufelgroße Hand nahm ihm das Schwert aus der Hand und dann den unseligen Anhänger. Tolkar war es, der noch vor seinen Gefährten begriffen hatte, dass der Anhänger der Auslöser von Ephlors Angriff auf Samiras war.

      Alle starrten ihn besorgt an. Was, wenn der verderbliche Anhänger auch auf ihn wirkte? Seiner Stärke hatten sie im Moment nicht allzu viel entgegenzusetzen. Doch ihre Sorge war unnötig. Auf den Troll wirkte der Anhänger nicht.

      „Was soll mit dem verfluchten Ding geschehen?“, brummte Tolkar. Er musterte Ephlors Gesicht, welches den entsetzlichen Ausdruck verloren hatte. Die Einflüsterung des Bösen war durch des Trolls Geistesgegenwart gebrochen. Er war wieder er selbst. Tolkar ließ ihn los.

      „Du hast vielleicht einen Griff“, stöhnte Ephlor. „Dir möchte ich nicht im Bösen begegnen.“

      Tolkar grinste. „Das wirst du nicht, Elfenkönig. Nicht solange du Samiras nichts Böses zufügst. Was is´ jetzt mit diesem blöden Ding. Soll ich es auch zerdrücken oder lieber zertreten?“

      Samiras holte tief Luft. Der Schreck saß ihr noch immer in den Gliedern. „Das muss Noldikians Anhänger sein. Der Anhänger verstärkte seine Fähigkeiten und schenkte ihm mehr Macht. Noldikian erhielt ihn von dem Dämon. Vermutlich wird es bei der Hexe genauso gewesen sein. Nur dass sie ihren noch hat.

      Noldikian muss seinen bei dem Kampf verloren haben. Dadurch verringerte sich seine Macht und sie gewann die Oberhand. Aus Hass und zu ihrem Vergnügen, vielleicht auch mit Weisung des Dämons, tötete sie den Zauberer“, erahnte Samiras sehr genau das Geschehen.

      „Zerstöre ihn, Tolkar“, bat Samiras. „Und danke für deine Geistesgegenwart.“

      „Kein Problem“, brummte der Troll. Er legte den Anhänger auf den Boden, hob den Fuß in dem schweren Stiefel und trat mit voller Wucht darauf. Knirschend zersprang das Ding. Tolkar trat noch einmal kräftig zu und zermahlte den Rest zu feinem Pulver.

      Für einen kurzen Moment glaubten sie einen zornigen Schrei zu vernehmen. Doch das musste wohl auf Einbildung beruhen und ihrer Aufregung zuzuschreiben sein.

      Danina schmiegte sich an Tolkars Beine. Sie wusste, sie konnte dem Troll vertrauen. Solange sie beide über Samiras wachten, würde dieser nichts Schlimmes geschehen.

      Der Abstecher zu dem jetzt toten Magier hatte sich doch noch gelohnt. Sie kannten jetzt die Helfer des Dämons, wobei einer schon nicht mehr unter den Lebenden weilte. Wussten von dem Anhänger, welcher die Schwarze Hexe stärkte und den sie an sich bringen mussten. Wenn jetzt auch noch Hetzel zu ihnen stieß, waren sie komplett.

      Es hat schon ungünstiger ausgesehen, dachte sie optimistisch. Selbst wenn ER sich neue Helfer sucht: Wir werden sie überwinden! Sie wollte schon gehen, als ihr die schmale Mappe einfiel. Sie ging hinüber zu dem Schreibtisch, nahm sie heraus und schlug sie auf.

      „Hast du etwas Interessantes gefunden?“, fragte Ephlor immer noch wegen seines Angriffs verlegen.

      „Und ob“, erwiderte Samiras. „Wir wissen jetzt, wo diese mörderische Hexe zu finden ist.“

      „Es tut mir leid, wegen vorhin“, sagte der Elfenkönig leise. „Du glaubst mir doch, dass ich dir nie etwas antun würde, oder?“

      „Das weiß ich doch, Ephlor. ER war es, nicht du. Du konntest nichts dafür. Ich bin sicher, das Gute in dir hätte gesiegt.“

      „Ich danke dir“, seufzte Ephlor erleichtert.

      DIE SCHWARZE HEXE

      Lestizia hatte sich nach dem Fiasko mit der Pantherin weit entfernt auf einer alten Eiche ausgeruht. Jetzt war sie auf dem Rückflug zum Düsterwald, wo sie sich niedergelassen hatte. Sie war so wütend, dass sie sich unbedingt abreagieren musste!

      Und sie wusste auch schon wie!

      Sie landete geräuschlos vor dem mit üppig rankenden Rosen bedeckten Holzhaus. Nachdem sie sich zurückverwandelt hatte, eilte sie die drei Stufen zum Eingang hinauf. Schwungvoll stieß sie die Tür auf und trat in die dahinterliegende Küche.

      Die Katze Kassandra versuchte sich unter der Eckbank zu verstecken, doch ein gemeiner Tritt beförderte sie die schmale Treppe hinunter. Kläglich jaulend huschte sie davon.

      „Blödes Vieh“, fluchte die Hexe. Mit beiden Händen ordnete sie ihr üppiges bordeauxrotes Haar, zog ihr tief ausgeschnittenes Mieder zurecht und griff nach dem bereitstehenden Korb. Aus einer Schublade holte sie ein angeschimmeltes halbes Brot und legte es in den Korb.

      Dazu legte sie ein ranziges Stück Speck und einen wurmstichigen Apfel. Nachdem sie noch ein Gefäß mit Eintopf, in dem undefinierbare Fleischstücke schwammen, und eine Flasche Wasser dazu gestellt hatte, machte sie sich auf den Weg.

      Sie hatte es nicht weit. Nur an dem alten Stall vorbei, aus dem ein trauriges Wiehern ertönte. Dann über die Wiese, an deren Südseite eine baufällige Hütte stand.

      Die Hütte war Lestizias Ziel. Lautlos huschte sie zu der winzigen Kate. Hier stellte sie den Korb ab und ging zu einem versteckten Loch in der Wand.

      Grinsend musterte sie ihren Gefangenen, der mit geschlossenen Augen auf dem sandigen Boden saß. Sein Rücken lehnte an der Wand. Fesseln waren nicht zu sehen, was eigentlich verwunderlich war.

      Er ist wirklich sehr ansehnlich, dachte die Hexe. Groß und gut proportioniert, mit starken Muskeln und langen Beinen. Das kantige Gesicht mit den graublauen Augen, die jetzt geschlossen