Hermann Brünjes

Mit Feuer und Geist


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war vor diesem Posten Redakteur bei der BILD in Hamburg. Die dort erworbenen Sitten und Denkweisen gehen leider manchmal mit ihm durch.

      »Chef, du meinst das ja hoffentlich nicht ernst! Schon jetzt haben viele Leute in Himmelstal, besonders Bauern und Gartenbesitzer, große Angst. Und du weißt ja, wenn so etwas erst einmal grassiert, verdächtigt am Ende jeder jeden. In einem so kleinen Dorf wie Himmelstal kann das die Dorfgemeinschaft ganz schön beschädigen.«

      Er lacht. »Jens, dann kommst am Ende auch du noch in Verdacht! Immerhin begann die Brandserie kurz nachdem du zugezogen warst, wenn ich dich richtig verstanden habe.«

      Es haut mich fast um.

      Dabei hat er recht, so etwas könnte man denken. Umso wichtiger ist es, dass ich Ennos Einladung folge und bei der Feuerwache mitmache, oder Bürgerwehr, oder wie auch immer sie das dann nennen werden.

      Florian lehnt sich in seinen gepolsterten Bürosessel zurück. Seine massige Gestalt entspannt sich, seine bisher etwas schief herunterhängende graue Krawatte glättet sich ein wenig. Er könnte sie mal bügeln. Allerdings verbringt er die meiste Zeit entweder in der Redaktion oder bei Geschäftsempfängen, bevorzugt bei jenen, die ein Büffet enthalten. Vor einigen Jahren hat seine Frau ihn verlassen. Seitdem stellen sich bei ihm langsam mehr und mehr die mir aus vielen Jahren Singledaseins wohl bekannten Symptome von Junggesellen ein. Knitterige Kleidung ist davon noch eines der harmlosesten.

      »Wenn aus der Brandserie auch eine Zeitungsserie wird, Jens, gebe ich einen Whisky aus.«

      Mir schwant Schlimmes. Wenn Florian jemandem seinen im Schreibtisch versteckten Dimple einschenkt, ist ein Absturz vorprogrammiert. Ich sage lieber nichts mehr.

      »Noch etwas Jens. Du schreibst am besten auch den Artikel vom regionalen Kirchentag. Eigentlich sollte ja Steini den machen, weil du als Neu-Himmelstaler befangen sein könntest. Aber dein geschätzter Kollege hat sich wieder mal krankgemeldet. Angeblich hat er sich im Dienst auf dem Sportplatz eine Erkältung zugezogen.«

      »Aber dürfen denn überhaupt wieder Zuschauer auf die Sportplätze, ich meine wegen Corona?«

      »Ja, wenn auch nur begrenzt.« Er schmunzelt und hebt nichtwissend die Hände. »Aber selbst in der harten Zeit damals gab es auf den Dörfern vereinzelt Zuschauer. Du weißt ja: Wo kein Kläger, da kein Richter.«

      Ja, ich weiß. Manche Dorf-Vereine haben während des Lockdowns vor einem Jahr zwar nicht mit Spielen, aber mit dem Training weitergemacht. In den Sommermonaten der ungeregelten Lockerungen war es dann häufig drunter und drüber gegangen, nicht nur in den Bars, Kneipen, Fußgängerzonen und auf Familienfesten, auch im Sport. Als dann im Herbst letzten Jahres die zweite Welle kam, wurden strenge Gesetze erlassen und auch viel mehr kontrolliert. Jetzt sind wir, nach über einem Jahr mit dem weltweit gefürchteten Virus in einer neuen Phase angekommen: Es wird wärmer, die Infektionszahlen gehen runter und, das Wichtigste, einige Impfstoffe sind in Massenproduktion. Politiker und Virologen sind sich jedoch einig: Wir müssen mit der Pandemie leben und werden das Virus vermutlich nicht gänzlich ausmerzen können.

      »Ach Chef, lass das mal auch für Steini gelten: Im Zweifelsfall für den Angeklagten! Ich mach’s jedenfalls mit dem Kirchentag am Wochenende.«

      Ich sage ihm nicht, dass es mir sogar gut gefällt. So kann ich zuhause bleiben und weitere Leute wegen Pfingsten befragen. Die Gäste des Christentreffens kommen aus verschiedenen Orten. Ich werde also auch überregionale Akzente zum Pfingstverständnis und Brauchtum setzen können, ohne selbst zu reisen.

      »Also, Florian, kein Problem, ich lebe ja nun gewissermaßen auf dem Kirchentag!«

      Florian sieht jetzt besorgt aus und runzelt seine stattlichen Stirnfalten.

      »Und das nennst du ›kein Problem‹? Ich hoffe doch, du lässt dir nicht den Kopf verdrehen von den Jesusfreaks dort. Wenn ja, wäre es möglicherweise um meinen Starreporter geschehen.«

      »Wie meinst du das? Willst du mich rausschmeißen, wenn ich wie du es ausdrückst ›meinen Jesus‹ zu sehr liebe?«

      Er lacht.

      »Natürlich nicht! Du bist zu wertvoll für unser Blatt und ja auch schon seit Ewigkeiten hier. Die Abfindung wäre mir zu teuer! Nein, da lege ich mich nicht mit der Gewerkschaft und deinen Freunden hier an. Aber ich will, dass meine Leute echte Journalisten sind – und das meint zumindest neutral in der Sache!«

      »Und da gibst du mir einen Artikel ausgerechnet über Pfingsten?«

      Jetzt schaut er mich fragend an. Ich habe ihn ertappt. Natürlich weiß er genau, was Pfingsten bedeutet. Ein bisschen muss ja wohl von seinem Theologie-Semester hängengeblieben sein. Ich stochere noch ein bisschen weiter:

      »Na, Pfingsten ist alles andere als neutral! Du weißt ja, was da passiert ist?«

      Florian kratzt sich am Kinn und pult dann an seinen breiten Fingernägeln herum.

      »Na klar weiß ich das. Da haben die Jünger Feuer unter den Hintern gekriegt und danach sind sie losgerannt in alle Welt und haben herumposaunt, dass Jesus lebt und sie den Heiligen Geist bekommen haben.«

      Ich sehe mich bestätigt, dass er nur allzu genau weiß, worauf sich Pfingsten bezieht, auch wenn er es etwas merkwürdig ausdrückt.

      »Du meinst, die ersten Christen waren Feuer und Flamme für ihren Glauben.«

      »Genau. Das war auch so etwas wie eine Brandstiftung. Danach war nichts mehr wie vorher. Die verängstigten und deprimierten Schüler des Rabbi Jesus sind losgezogen und haben missioniert.«

      Florian macht ein Gesicht als ekle ihn der Gedanke daran. Er kennt sich mit religiösen und biblischen Dingen jedenfalls viel besser aus, als er zugibt. Wer weiß, vielleicht hatte er in seiner Jugend selbst so etwas wie ein pfingstliches Glaubens-Erlebnis. Möglicherweise hat er längst registriert, dass sein Starreporter tatsächlich mit ›seinem Jesus‹ infiziert war und auch heimliche Tests mancher Redaktions-Kollegen auf dieses Virus bereits positiv ausgefallen sind.

      Ich habe zwar nie offen darüber gesprochen, aber schon bei der Sache mit der Auferstehung und auch später bei dem Ringen um die Bedeutung von Weihnachten, sind mir manche Leuchter auf- und angegangen. Es hat sozusagen gefunkt, nicht nur zwischen Maren und mir, auch zwischen mir und dem christlichen Glauben. Brandstiftung, das trifft es schon. Ob das etwas mit dem Heiligen Geist zu tun hat, um den es Pfingsten geht? Mein Chef Florian jedenfalls scheint das zu befürchten. Seltsam, dass diese Feuerserie und das Pfingstthema so unmittelbar zusammenfallen. An Zufälle mag ich nicht mehr glauben, seit ich so seltsame Geschichten erlebt habe.

      »Chef, lassen wir das. Du hast deinen und ich meinen Glauben. Was uns ganz sicher verbindet, ist diese Redaktion. Und da mache ich mich jetzt an die Arbeit!«

      Ich stehe auf. Er bleibt sitzen.

      »So ist es gut!« strahlt er. »Nicht ewig diskutieren, arbeiten!«

      Mein geliebter Chef will immer gerne das letzte Wort behalten. Also kritzelt er jetzt etwas mit einem weißen Werbekuli unserer Zeitung auf seiner Kladde herum und straft mich mit Missachtung. Ich bin vorerst zum Arbeiten entlassen. Gut so.

      In der Redaktion teile ich mir den Schreibtisch samt Computer mit einem freien Mitarbeiter. Da dieser Halb-Kollege selten kommt, habe ich früher viel von hier aus gearbeitet. Jetzt, da »home-office« wegen der Pandemie ohnehin salonfähig geworden ist, ziehe ich mein Arbeitszimmer in Himmelstal vor und versuche, mir die Fahrerei zu ersparen. Die Vor-Ort-Recherchen im gesamten Landkreis und darüber hinaus muten meinem Oldie-Golf ohnehin schon zu viele Kilometer zu.

      Die Sache mit den »Brandstiftern« lässt mir keine Ruhe. Ich google »Pfingsten«. Eine lange Liste interessanter Seiten wird angeboten, gleich oben die Fragen: Was wird Pfingsten gefeiert? Was bedeutet das Pfingstfest? Rechts daneben geht es zu Wikipedia. Wenn ich das alles durchgelesen habe, weiß ich vermutlich Bescheid! Jetzt jedoch erschlägt es mich geradezu. Ich klicke mich durch bis zur Bibelstelle, auf die sich im Grunde alles bezieht: Apostelgeschichte Kapitel 2, Vers 1 bis 41. Der Text erscheint nicht, sondern nur eine Beschreibung. Ärgerlich.