Hermann Brünjes

Mit Feuer und Geist


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»Test« war also positiv. Mein Glaube und ihr Glaube unterscheiden sich nicht – sagt sie. Ich empfinde es anders. Sie scheint in ihrem Glauben verwurzelt zu sein wie eine deutsche Eiche im Boden, während ich noch gar nicht genau weiß, ob mein Miniglaube überhaupt richtig anwächst ...

      Mein Handy vibriert und rutscht dabei langsam über die Tischplatte.

      »Sorry Elske, da muss ich rangehen. Es ist eine Nummer mit meiner Vorwahl.«

      Sie nickt. »Danke Jens, dass wir darüber reden konnten. Wir können das ja mal fortsetzen.«

      Dann schwebt sie davon. Ob Elske so etwas wie ein blonder Engel für mich ist? Oder ein Geistwesen Gottes aus einer anderen Welt? Keine Ahnung. Am Telefon ist jedenfalls ein Mensch, Ortsbrandmeister Enno Diekmann.

      »Jens, gut, dass ich dich erreiche. Bei dir Zuhause hat niemand abgenommen, da dachte ich, ich rufe mal auf deinem Handy an.«

      »Ist okay. Ich vermute, du willst noch etwas zum Brand berichten?«

      »Ja, auch. Viel gibt es aber nicht. Die Polizei hat einen verschmorten Benzinkanister gefunden. Also war es Brandstiftung. Aber deswegen rufe ich nicht an.«

      Mein Gedächtnis notiert »Kanister« und »Brandstiftung«.

      »Ich rufe wegen unserer Brandwehr an. Bist du dabei?«

      Ich sage zu. Er freut sich und bittet mich, heute Nacht um zwölf am Feuerwehrhaus zu sein. »Geisterstunde« denke ich.

      »Das ist dann die zweite Schicht«, meint er. »Ihr seid zu dritt. Gerd leitet eure Gruppe. Kerstin kommt noch mit. Ich habe mit Jan und Jonas die erste Schicht übernommen, da ich morgen früh raus muss. Im Moment denken wir an eine Streife von zwei Stunden. Okay?«

      »Ich bin dabei, Enno. Als Journalist genieße ich die Freiheit, am Morgen auch mal länger zu schlafen!«

      »Du Glücklicher!«

      Stimmt, er hat recht!

      *

      Als ich nach Hause komme, ist Maren noch nicht zurück. Sie arbeitet im Lüneburger Krankenhaus und macht viele Überstunden. Zwar sind inzwischen weniger Corona-Patienten in Behandlung, die Schreckenszeit der zweiten Welle dieser alles dominierenden Pandemie wirkt jedoch noch deutlich nach. Inzwischen kommen jene Fälle, die wegen der Pandemie auf später verschoben wurden.

      Ich schmiere mir eine Stulle, koche mir einen Tee und schaue Nachrichten. Corona, Impfstoffe, Amerika, China, Iran, Klima. Die Themen haben sich seit vielen Monaten kaum verändert.

      Punkt acht Uhr klingle ich an der Haustür zum Tagungshaus. Der alte Weinstock an der roten Klinkerwand neben der Treppe treibt wieder aus. Eben noch wie tot, will auch er wie alles andere in der Natur offenbar mit aller Macht beweisen, dass sich das Leben durchsetzt. Die auf der Balustrade in Kästen gepflanzten Geranien und andere bereits blühende Blumen erscheinen dagegen ein wenig künstlich. Sie wurden im Gewächshaus vorgezüchtet. Sie sind Produkte menschlicher Ungeduld und sollen eine Jahreszeit suggerieren, die gerade erst beginnt. Wir Menschen warten eben ungern.

      Tanja öffnet die Tür.

      »Ah, Jens. Wir sind noch nicht alle oben.« In Richtung Küche ruft die etwas stämmige junge Frau: »Leute, Jens ist hier, beeilt euch mit dem Abwasch!«

      Ich höre das Klappern von Töpfen und Wasserrauschen.

      »Nur noch eben die Küche fluten!« höre ich als Antwort. »Dann kommen wir sofort.«

      Tanja interpretiert meinen Gesichtsausdruck richtig.

      »Tom und Caro müssen die Küche noch wischen, weil sie es vor der Andacht nicht mehr geschafft haben«, erklärt sie mir, »dazu nehmen sie zuerst einmal einen Schlauch und spritzen die Fliesen ab! Unsere Großküche ist extra so konstruiert!«

      Wir gehen die Treppe hinauf, zuerst in den ersten Stock, wo das Team in Doppelzimmern wohnt, dann noch eine Treppe höher. Hier liegen die Aufenthaltsräume der Wohngemeinschaft: Ein Wohnzimmer, ein Fernsehraum, eine Teeküche und ein kleiner Andachtsraum. Kurz nach meinem Einzug in Himmelstal hatte mich die sogenannte »Hausgemeinde« schon einmal eingeladen und mir im Zusammenhang damit ihre Etage gezeigt. Sie wollten von einem Journalisten etwas zum Thema Öffentlichkeitsarbeit hören – und mich vermutlich auch kennenlernen, da sie sich erhofften, dass ich ihr Gästehaus öfter mal in die Zeitung bringe.

      Damals habe ich das aktuelle Team bereits erlebt. Tanja, die mich nun auf einen abgewetzten Ledersessel im Wohnzimmer dirigiert, kommt hier aus dem Landkreis. Sie will eine Lehre als Köchin machen und sammelt nun als Praktikantin in der Küche erst einmal Erfahrungen. Caro, eine quirlige Blondine mit Pferdeschwanz, großen Ohrringen und einem kleinen, dezenten Tattoo am Hals, hat in Oldenburg Abi gemacht. Sie will Sozialarbeiterin oder Diakonin werden, hat dies jedoch noch nicht entschieden. Anders liegt es bei Anna. Wenn ich mich recht erinnere, möchte sie Medizin studieren. Anna ist auffallend groß, trägt ihre brünetten glatten Haare wie sie fallen und ist sehr still und zurückhaltend. Tom würde einen guten Dressman abgeben: Sportliche Figur, leicht gekräuselte braune Locken, Dreitagebart und strahlend blaue Augen. Vermutlich hat er hier mancher Konfirmandin den Kopf verdreht. Jonas wirkt ohne seine rotschwarze Uniformjacke der Feuerwehr in seinem grünen Sweatshirt und einer silbernen Halskette mit Anhänger etwas blass, fast ein bisschen feminin. Er ist wie die anderen knapp zwanzig, hat dunkelbraunes Haar und ebensolche Augen. Besonders seine dunklen Augen wirken anziehend und vertrauenerweckend.

      »Friedrich kann leider nichts beitragen. Er hat seinen freien Tag und ist nach Hause gefahren.« Tanja schaut nach dieser Info zu Jonas, der wie ich in einem der Sessel sitzt. »Und Jonas muss nachher noch mal weg, zur Feuerwehr.« Sie grinst vielsagend. »Einsatz mit Kerstin!«

      »Blödsinn! Kerstin ist diesmal nicht dabei!« Jonas wirkt genervt und die Bemerkung seiner Kollegin in meiner Gegenwart ist ihm sichtlich unangenehm. Offenbar sind die Teammitglieder eingeweiht und wissen, dass Jonas auf nächtliche Streife geht. Ich vermute, im Dorf wird sich die Brandwache ebenfalls herumsprechen und der Täter wäre bald gewarnt, sofern er überhaupt in Himmelstal wohnt.

      Nach knapp zehn Minuten lümmeln sich Tom und Caro sichtlich erschöpft auf das Sofa und die Truppe ist also bis auf Friedrich vollständig. In der Mitte steht ein flacher Couchtisch, drum herum eine Ledergarnitur mit zwei Zweiersofas und zwei Sesseln.

      »Theo kommt jedenfalls nicht. Er muss noch zu viel für den Kirchentag organisieren, sagt er.« Tanja meint Theo Beyer, den Leiter des Hauses. »Aber wir anderen sollten trotzdem anfangen!«

      »Ein Bier, Herr Reporter?«

      Tom hat schon ein Pils geöffnet und hält mir nun eine weitere Flasche hin. Da sage ich nicht Nein. Die Mädels trinken Wasser oder Apfelsaft.

      »Du willst also etwas über Pfingsten schreiben und fragst uns, was dieses Fest für uns bedeutet?«

      Auf das »du« hatten wir uns bereits bei unserer ersten Begegnung geeinigt. So ist es. Unser Gespräch beginnt sofort, ohne allgemeines Geplänkel. Das liebe ich an diesen jungen Leuten!

      »Ehrlich gesagt, kann ich mit Pfingsten nichts anfangen!« Tom macht den Anfang. »Wir haben damals bei uns im Dorf am 1. Mai einen Maibaum aufgestellt und den zu Pfingsten zum zweiten Mal kräftig begossen!«

      »So wie vor zwei Wochen, als Jonas Geburtstag hatte?«

      Sie wissen, was gemeint ist und lachen. Wenn ich es richtig sehe, errötet Jonas ein bisschen. Ich vermute, es hatte ein kleines oder auch großes Besäufnis gegeben. Diese jungen Leute hier leben also keineswegs irgendwie fromm abgehoben, sondern gewissermaßen ganz normal im Vergleich zu ihren Altersgenossen.

      »Nee, Tanja«, belehrt Tom seine Kollegin. »Was ihr hier ›Besäufnis‹ nennt, heißt bei uns zu Hause ›Vorglühen‹.«

      Ich erinnere mich. Tom kommt aus der Rotenburger Gegend. Da kennt man sich aus, legendär.

      »Also Pfingsten warst du regelmäßig duun?«

      Tom nickt.

      »Und