Hermann Brünjes

Mit Feuer und Geist


Скачать книгу

lese den Bericht über das Pfingstfest. Hm. Alles sehr seltsam. Alle waren beieinander. Plötzlich brauste es wie von einem Sturm. Dann erschienen Zungen, »wie von Feuer« steht dort. Die setzten sich auf sie. Seltsam. Maren hat vermutlich recht, es sind Metaphern und sie stehen für etwas, was man nicht beschreiben kann.

      Noch seltsamer wird es danach. Die Jünger beginnen in verschiedenen Sprachen zu predigen, so wie es der Geist ihnen eingibt. Wie das? Dieses Erlebnis hätte ich gerne im Englischunterricht gehabt. Dann hätte ich Russisch und Französisch gleich dazugenommen. Diese Leute wurden von allen verstanden? Das steht dort. Jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache. Dann war es also nicht nur ein Sprachwunder, sondern vor allem ein Hörwunder. Sollte Pfingsten primär dies bedeuten: Menschen verstehen einander? Dann wäre alles insgesamt eine Metapher für eine der größten Sehnsüchte der Menschheit: Man versteht einander. Endlich! Der »Heilige Geist« wäre dann vor allem der Geist der Einheit, der Gemeinschaft und des Verstehens. Interessant.

      »Jens, träumst du?«

      Elske steht neben meinem Tisch. Es riecht ein wenig frischer, so als bringe sie aus Ostfriesland einen Hauch Nordseeluft mit in die Redaktion. Unsinn. Vermutlich hat sie nur ihr lockig blondes Haar oder ihre helle Bluse und das kesse Jäckchen darüber mit irgendetwas eingesprüht.

      »Nein, nein. Ich meditiere gewissermaßen über einen Text. Sieh selbst.«

      Ich drehe den Bildschirm so, dass sie es lesen kann. Wie vermutet kennt sie den Bericht. Ich weiß von ihr, dass sie als Jugendliche in einer sehr engagierten christlichen Gruppe mitgemacht hat. »Entschiedene Christen« nennen die sich, also aus Sicht eines kirchenfernen Streuners wie mir gewissermaßen Hardcore-Christentum.

      »Na Jens, das ist ja wohl das Mindeste: Du machst einen Artikel über Pfingsten, folglich liest du natürlich den Bibeltext dazu. Und nun?«

      »Nun überlege ich, wie das gemeint ist. Sind das alles Metaphern oder ist es ein nüchterner Tatsachenbericht?«

      »Oh, mein lieber Kollege, was macht denn da den Unterschied?« Elskes Lachen wird immer breiter.

      Ich bin wieder einmal überfordert. Soll einer die Frauen verstehen! Da müsste es auch Pfingsten werden, der Heilige Geist müsste über uns kommen wie ein Sturmwind und uns gegenseitiges Verstehen zwischen Mann und Frau schenken. Das wäre echt ein Wunder! Flammen und Brausen bräuchten wir dann vermutlich nicht mehr.

      Elske merkt, dass mich ihre Frage verwundert.

      »Na, ich meine, eine Metapher ist doch der Ausdruck für etwas, das wirklich geschieht. Sie ist ja nicht nur ein Bildwort für etwas, das gar nicht stattfindet. Folglich stehen auch die Flammen, das Brausen und das Hörwunder für etwas sehr Reales.«

      »Und was ist das, deiner Meinung nach?«

      »Na, für das reale Wirken Gottes. Die erste Gemeinde wird gegründet. Leute kommen zum christlichen Glauben, lies nur weiter im Text! Über dreitausend Leute bekehren sich zu Jesus, lassen sich taufen und treffen sich regelmäßig in den Häusern und in der Gemeinde. Das ist nun wahrlich alles andere als ›nur‹ eine Metapher. Da passiert richtig was!«

      Meine Kollegin ist von dem, was sie mir da erzählt, begeistert. Ihre blauen Augen strahlen, ihre schmalen Hände betonen die Worte mit dezenten aber klaren Gesten, ja, ihr gesamter schlanker Körper strahlt aus, was sie sagt: Der Geist von Pfingsten ist faszinierend und real zugleich.

      »Du meinst also, Pfingsten ist so etwas wie ›Gott in Aktion‹? Also nicht nur einfach der Geburtstag der Kirche?«

      »Na ja, das auch. Aber das ist ja nur ein Phänomen unter vielen. Gott wirkt. Predigten werden verstanden und gehen zu Herzen, die Leute treffen sich zum Gebet und zum Lesen in den alten Schriften, viele verkaufen, was sie haben und geben es den Armen, ganz normale Leute werden zu Missionaren, einer von ihnen namens Stephanus lässt sogar sein Leben für seinen Glauben, Heiden kommen zum Glauben ...«

      Ich grinse innerlich und muss ein witziges Wortspiel loswerden, das ich irgendwann im Tagungshaus aufgeschnappt habe. »Also auch ›Lüneburger Heiden‹?«

      Meine hübsche Kollegin lacht lauthals los. »Ja klar, auch Lüneburger Heiden – aber eben viel später. Damals hocktet ihr hier noch auf Bäumen und die wenigen Menschen in diesem Endlosdschungel verehrten Wotan und ich weiß nicht welche Germanengötter sonst noch.«

      »Bis der Heilige Geist auch hierher kam ...«

      »Genau. Bis hier die ersten Missionare auftauchten und Heidebauern, Schafhirten und Wegelagerer Christen wurden. Wusstest Du, dass in der Heide einige der ältesten Klöster Deutschlands stehen und bis heute erhalten sind?«

      »Du meinst das Kloster Ebstorf mit seiner berühmten Weltkarte aus dem Mittelalter?«

      »Genau, zum Beispiel. Ich glaube, es wurde schon im 12. Jahrhundert gegründet. Und damals gab es tatsächlich so etwas wie einen geistlichen, also einen durch den Heiligen Geist inszenierten Aufbruch. Man könnte also sagen, da erlebte diese Region so etwas wie Pfingsten.«

      »Hört sich gut an, diese Inszenierung.«

      Elske strahlt.

      Ich spüre ihren Missionseifer fast körperlich. Sie wird mich gleich vermutlich erneut einem Test unterziehen, diesmal auf das Virus »christlicher Glaube«.

      »Jens Jahnke! Das war keine ›Inszenierung‹ wie im Theater. Das war damals so real wie das Leben.«

      Nun kommt es. Die hübsche entschiedene Christin schaut mich herausfordernd an und will es wissen.

      »Und nun sag mal, wie sieht es denn inzwischen bei dir persönlich aus? Kann es sein, dass dich die Begegnung mit den Christen in Himmelstal, besonders mit deiner Freundin Maren, dem Glauben nähergebracht hat? Oder gehörst auch du immer noch zu den ›Lüneburger Heiden‹?«

      Das ist direkt gefragt. Ich mag Elske ja sehr und wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre, vermutlich sogar mehr als das ... aber nun wird mein Mund trocken. Ja, ich würde schon sagen, dass sich bei mir etwas Entscheidendes verändert hat. Vor zwei oder drei Jahren waren mir Religion, Kirche und so etwas völlig egal. Es hat mich einfach nicht tangiert. Der Glaube spielte absolut keine Rolle in meinem Leben, er war mir so fern wie, wie ... na ja, wie das Sammeln leerer Zigarettenschachteln oder wie die zwei Monde vom Mars.

      Dann jedoch hatte sich dies geändert. Ich weiß gar nicht genau, wann und wie die Änderung begonnen hatte. Wenn es der Heilige Geist war, der sie bewirkt hat, dann ist er bei mir strategisch jedenfalls völlig anders vorgegangen als damals zu Pfingsten in Jerusalem. Da war kein Brausen, kein großes Wunder, kein spektakuläres Feuerwerk. Nein, da gab es eher alltägliche Erlebnisse und vor allem Begegnungen und Gespräche: Magda, eine junge Zweiflerin im Team vom Tagungshaus hat mich beeindruckt. Sie hat trotz vieler kritischer Fragen und Zweifel die Andachten für Gäste mitgestaltet. Ein Besuch bei meinem ehemaligen Pfadfinderführer hat mich noch lange beschäftigt. Der inzwischen über achtzig Jahre alte Mann hat felsenfest behauptet, unser Leben habe trotz des Sterbens eine Perspektive. Mein gewissermaßen Ziehsohn, der Ex-Nazi Lennart, war in der Lage, sich um 180 Grad zu drehen. Heute verprügelt er keine Ausländer mehr, sondern ist Sanitäter, rettet sie und arbeitet mit ihnen zusammen. Je länger ich überlege, desto mehr Menschen fallen mir ein, die etwas in mir haben wachsen lassen. Ja, das ist es! Wachsen. Es ist Frühling.

      Elske schaut mich immer noch erwartungsvoll an, sie drängelt jedoch nicht. Es sind nur Sekunden, die meine Gedanken brauchen, um Worte zu formen. Aber der Moment zwischen Elskes Frage und meiner Antwort fühlt sich definitiv an wie ein Geist-Moment, da ich plötzlich Worte für das finde, was mit mir geschehen ist.

      »Ach Elske, ich sage es mal so, vielleicht etwas kitschig: Bei mir ist es Frühling. Der Winter des Unglaubens ist vorbei. Jetzt wächst langsam etwas Neues. Die braune Erde wird grün. Ob es dann im Sommer zur Frucht eines festen Glaubens kommt – keine Ahnung!«

      Sie legt ihre schlanke Hand auf meinen Oberarm und drückt leicht zu.

      »Jens, schöner kann man es gar nicht sagen! Selbst nach über