Stefan G. Rohr

Der Sommer mit dem Krähenmann


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dem Kopf uns deutete mir zu, ich solle ihm ums Haus folgen. Ich tat das beflissen, denn scheinbar hatte er Arbeit für mich, und so ließ ich ihn einige Schritte vorausgehen bis er an der hinteren Gartenseite des Hauses angekommen war, wo einige Gartengeräte standen. Er zeigte auf den Rasenmäher und fragte, ob ich mich damit zurechtfinden könnte. Es war ein Handmäher, der allein mit Muskelkraft zu bedienen war. Mir erschien das aber völlig ausreichend und ich nickte.

      Der Mann lächelte nun noch mehr, zeigte auf das große Rasenstück hinter dem Haus, welches am hinteren Ende von großen Buchen gesäumte war. Der Auftrag war somit formuliert und er würde mich nun sogleich auch meiner Arbeit überlassen. Nach seinen Erledigungen wollte er zurückkommen und dann sehen, wie mein Werk ihm gefallen würde. Ein Übereinkommen, das mir durchaus entsprach, denn ich war nun Feuer und Flamme den Mäher über das Grundstück zu jagen. Kurz bevor er mich verließ, gab er noch bekannt, dass er mir zehn Mark geben würde, wenn ich beide Flächen, demnach auch das Rasenstück vor dem Haus, gemäht haben würde.

      Zehn Mark war deutlich mehr, als ich es selbst verlangt hätte. Und während ich mähte, begann ich zu kalkulieren, dass ich derlei Arbeit nur weitere neunmal zu machen brauchte, bis ich mein Fahrrad kaufen konnte. Und wenn ich das heute auch gut erledigt haben würde, dann wäre vielleicht sogar einer der Nachbarn willens, seinen Rasen von mir mähen zu lassen. Es war ein aussichtsreicher Anfang. Und ich wollte diesen so gut wie es ging absolvieren.

      Und ich erinnere mich nur zu gut daran, wie sich erstmalig meine Erkenntnis einstellte, dass Theorie und Praxis weit auseinander liegen können. Dieser Handrasenmäher verlangte alles von mir ab. Während die ersten Bahnen noch mit einer gewissen Leichtigkeit abgearbeitet werden konnten, wurde es Meter für Meter immer schwerer, denn das Gras, das sicher schon einige Zeit hätte gemäht werden müssen, wehrte sich mit allen Mitteln auf die gewünschte Länge gekürzt zu werden. Meine Muskeln begannen bereits nach wenigen Minuten zu brennen. Ich wechselte immer öfter zwischen dem Mäher und dem Rechen. Türmte immer kleinere Grashaufen auf, die sich über das Rasenstück verteilten und davon zeugten, dass es Manches gibt, das dem Unwissenden erst klar wird, wenn er inmitten des Fiaskos dort angelangt ist, wo er seinem Untergang erstmalig in die Augen schaut.

      So war ich in kürzester Zeit schweißgebadet und klatschnass. Mein so sorgsam gezogener Scheitel war verschwunden und es zeigten sich die ersten Blasen an meinen Händen. Ich hatte jedwedes Zeitgefühl verloren, mähte wie ein Besessener, klaubte das Gras zusammen und spuckte immer wieder in die Hände, hoffend, dass dadurch irgendetwas leichter werden würde.

      Als der Mann wieder zurückgekehrt war, grinste er so freundlich, dass ich mich zu schämen begann. Ich hatte es nicht einmal geschafft, die hintere Gartenfläche fertig zu stellen. Es fehlte eine ganze Bahn und ich war mir sicher, dass er mich nun als ungeeignet bewerten und sogleich nach Hause schicken würde. Doch mitnichten. Er schob seine Unterlippe hervor, betrachtete das große Rasenstück und nickt anerkennend. Er selbst, so gab er bekannt, hätte es nie mit einem Mal so weit gebracht. Er war demnach mehr als zufrieden und meinte, dass ich für diesen Tag genug gerackert und mir nun erst einmal ein Glas Apfelsaft verdient hatte.

      Ich allerdings wollte das so nicht stehen lassen und bestand darauf, auch noch die fehlende letzte Bahn zu mähen, bevor ich den Saft annehmen wollte. Während er ins Haus eilte, um das versprochene Getränk zu besorgen, spuckte ich abermals in die Hände, unterdrückte den Schmerz der Blasen auf meinen Handflächen, und zog durch, bis der erste Teil der Arbeit als wirklich erledigt betrachtet werden konnte. Für das Beseitigen der Grashaufen allerdings fehlte mir nun jedwede Kraftreserve. Und ich stand kurz vor einer Ohnmacht.

      Der große Mann zückte einen Zehnmarkschein hervor und übergab mir diesen. Er wollte, wie er bekundete, mich schon einmal ganz bezahlen. Den Rasen vor dem Haus sollte ich am darauffolgenden Tag mähen, er vertraute mir, dass ich das erledigen würde. Dann wies er mit einer Armbewegung über das ganze Grundstück. Er meinte, dass es hier noch viel zu tun gäbe und er sich wünschen würde, dass ich ihm dabei behilflich sein konnte. In meinem Inneren jubilierte ich sofort, denn mit diesem Glück hatte ich wirklich nicht gerechnet. Ich betonte, dass ich mich ebenso gut auf das Autowaschen verstand, was komplett gelogen war. Meine diesbezüglichen Fähigkeiten basierten allein auf den Beobachtungen meiner Nachbarn, wie diese mit Hingabe und Akribie, vornehmlich am Sonntag, ihre Isetta oder das Goggomobil, später den Ford Taunus 17m oder den VW-Käfer pflegten. Doch ich traute mir das natürlich ebenso zu, wie das Rasenmähen. Wer mit einem biestigen Ungetüm von Handmäher zurechtkam, würde bei Schwamm, Seife, Wasser und einer Politur nicht mehr versagen können.

      Wir saßen so auf einer kleinen Holzbank, die an der Rückseite des Hauses in Richtung der Buchen stand, und wir tranken unseren Apfelsaft. Der Mann fragte plötzlich, ob ich Vögel mochte, was ich, trotz meines auch im späteren Leben bewiesenen Mangels an Diplomatie, vorsorglich spontan bejahte. Er lächelte mich an und sagte, dass er für diesen Fall eine Überraschung für mich parat hatte. Gleich darauf stand er auf und schnalzte mit der Zunge, hob seinen rechten Arm und rief einige Male laut `Jakob, Jakob!´. Und kurz darauf kam ein großer schwarzer Vogel angeflogen, krähte dabei laut, und landete mit einigen Flügelschwüngen direkt auf dem ausgestreckten Arm des Mannes.

      Es war eine Krähe, und wie mir der Mann erzählte, hatte er diese selbst aufgezogen. Sie war aus einem der Nester in den großen Buchen gefallen und er hatte sie gefunden – so wie er es fast in jedem Jahr erleben würde. Er nannte alle dieser jungen Krähen ´Jakob`, und im Herbst würde sie wieder mit den anderen Krähen davonfliegen.

      Da stand er nun, dieser große Mann, mit breiten Schultern und Händen, die gut und gerne doppelt so groß wie die meinen waren. Er war Mitte fünfzig und mit seiner Prinz-Heinrich-Mütze aus hellbraunem Cord sah er aus, als käme er direkt von Bord eines großen Schiffes. Er erzählte mir, dass er die Krähen lieben würde, denn sie seien besonders kluge Tiere, die schnell lernten und sodann kaum noch Scheu vor Menschen hatten. Er strich mit seiner Hand behutsam über das schwarze Gefieder des Vogels und zog einen Apfel aus seiner Tasche, an dem Jakob sofort zu picken begann.

      Ich war ebenfalls aufgestanden und konnte meine Blicke kaum von dem herrlichen Tier abwenden. Ich streichelte vorsichtig den Kopf der jungen Krähe, die sich völlig unbekümmert davon weiter mit dem Apfel beschäftigte. Gleichfalls genoss ich die Idylle des für mich so fremden Ortes. Von diesem ging eine mir bis dahin unbekannte Ruhe und Geborgenheit aus, die so unvergleichlich anders als mein Zuhause war. Mit einem Mal begriff ich den Satz meiner Mutter, dass es eben einen wesentlichen Unterschied ausmachen würde, von welcher Seite eines Zaunes aus man ins Leben schaute. Hier war der Blick aus dem Geborgenen möglich, aus dem Schutze einer eigenen und ungestörten Welt. Ohne Sicht auf andere, aber auch ohne selbst gesehen zu werden. Mit einer verschließbaren Pforte, an der man Störer oder den Unfrieden vor sich abschirmen konnte. Ein frisch gemähter Rasen, herrlich nach feuchtem Gras riechend, ein Glas Apfelsaft und ein ruhender Körper, der sich nach harter Arbeit fallen lassen konnte. Selbst ein handzahmer Vogel, dem nichts Böses wiederfuhr, ein fremder Mann, dessen Freundlichkeit und Gleichmut mir wie ein lang ersehnter Friede vorkam.

      Ich erinnere mich, wie ich nur da stand und alles in mich aufsog, als wäre ich eine trockene Pflanze, benetzt vom ersten frischen Morgentau. Meine Hände schmerzten, doch ich vernahm diese Pein nicht wirklich. Es war viel zu schön an diesem Ort zu verweilen, und der Fremde, der nur wenig sprach, stand wie ein alter Freund neben mir, stellte keine Fragen, wollte nichts von mir wissen, war zufrieden mit meiner Arbeit und gab mir das Gefühl, dass es gerade einer dieser wenigen Augenblicke war, wo man in zufriedener Eintracht mit sich und seinem Dasein einen Moment der Besinnung erhaschen konnte.

      Es war das erste Mal, dass ich merkte, wie sehr ich mich nach Flucht und Ausweg sehnte. Wie unterschiedlich das Leben sein konnte, wie sehr doch das meine nichts von alledem, was ich hier sah und fühlen konnte, selbst für mich vorsah. Und so wollte ich noch lange sitzen, träumen, aufgreifen, was sich mir zeigte. Mir war es egal, wer der Mann mit der Krähe war. Ich machte mir keine Gedanken darüber, ob er vielleicht ein Gauner oder ein Kindermörder sein würde. Ich empfand seine Nähe als Erfüllung einer menschlichen Wärme, die von Güte und Verständnis geprägt war, frei von Eitelkeit oder Vorwürfen, frei von Sorge, Gewalt und Tragödie. Frei von all dem, das meinem Leben zu diesem Zeit schon