mit dem Kopf auf den Grund und war fortan querschnittsgelähmt, von seinem Nacken abwärts. Malen konnte er nur noch mit dem Pinsel in seinem Mund. Und das tat er über dreißig Jahre lang. All diese Bilder, alle auf die gleiche Weise hergestellt. Und ich habe das ganze Haus mit ihnen geschmückt.“
Ich betrachtete jedes Bild mit einer neuen Ehrfurcht. Mit einem Pinsel im Mund zu malen stellte ich mir besonders beschwerlich vor, ja fast unmöglich. Wie konnte es jemand auf diese Weise zu solchen Kunstwerken bringen? Wie groß musste ein Antrieb sein, um allen körperlichen Defiziten entgegen derlei zu erschaffen? Wie stark war der Wille dieses Menschen gewesen? Und wie lebensfroh musste dieser geblieben sein, denn es fehlte den Bildern jedwede Trübsal und Düsternis.
Von der oberen Etage aus erklang die Stimme einer alten Frau. „Rolf, haben wir Besuch? Ist da jemand bei Dir?“
Er schritt ein paar Meter in Richtung des Vorflures. „Ja Mutter, es ist ein junger Mann hier, der mir heute bei der Gartenarbeit behilflich gewesen ist. Doch wir sind jetzt auch fertig. Ich werde ihn gleich nach Hause fahren, komme dann aber sofort wieder zurück.“
„Ich habe Hunger, Rolf!“ tönte es von oben.
„Das weiß ich, Mutter.“ bekundete mein Gastgeber freundlich. „Ich bringe Dir jetzt ein paar Brote und Deinen Tee.“
Er nickte kurz in meine Richtung, nahm von der noch reichlich bestückten Platte auf dem Tisch ein paar der zubereiteten Brote, legte sie auf einen Teller. Kurz darauf verschwand er und ging in die Küche, aus der nach kurzer Zeit das Pfeifen eines Wasserkessels zu vernehmen war. Ich hörte, wie er mit schweren Schritten die Holztreppe in das obere Stockwerk nahm, konnte ein sonores Murmeln vernehmen, dann stand er bereits wieder im Esszimmer vor mir. Ich sprang von meinem Stuhl und begann die Teller zusammen zu stellen. Jochen Rolfs half mir dabei und als wir alles in die Küche gebracht hatten, öffnete er die Haustüre und wir gingen gemeinsam zu seinem Auto, das auf einer sandigen Einfahrt vor der kleinen Garage stand.
Da stand ein silberblaues Fahrzeug, das ich sofort lustig fand. Denn es sah vorn wie hinten fast gleich aus, und es wäre niemandem aufgefallen, wenn es ausnahmslos rückwärts gefahren wäre. Es war ein Simca 1000, und als Jochen Rolfs sich mit seinen zwei Metern hineinzwängte, kam es mir fast so vor, als würde sich ein Erwachsener in ein Spielzeugmodell setzen. Innen stieß er mit seiner Mütze an die Unterseite des Wagendaches. Und er musste sich ein wenig zusammen beugen, damit er überhaupt nach vorn hinaus schauen konnte. Zwischen Handbremse und Schaltknüppel hatte er einen großen Aschenbecher platziert, der randvoll mit Zigarettenkippen gefüllt war. Unmittelbar nach seinem Einsteigen hatte er ein silbernes Etui hervorgezaubert, aus dem er eine seiner selbst gedrehten Zigaretten herausnahm und diese mit einem alten Benzinfeuerzeug anzündete. Dann kurbelte er die Scheibe herunter und blies den Rauch aus dem Fenster.
Das Gefährt, in dem ich Platz genommen hatte, roch nach kaltem Tabakrauch und vergasenden Benzin. Der Motor rüttelte erheblich und ratternd setzte sich der Wagen in Bewegung. Für mich war es ein besonders spannender Augenblick. Es war nicht allein die Tatsache, dass ich in einem Auto saß und kutschiert werden sollte. Es war etwas viel Eigentümlicheres, denn ich geriet immer mehr in eine Haltung der Erwartung, wie sich diese Begegnung wohl noch weiter entwickeln würde. Ich spürte, dass ich mit diesem großen Mann, der ganz sicher mindestens vierzig Jahre älter als ich war, öfter zusammen kommen sollte. Es hatte sich, ohne dass ich es hätte beschreiben können, ein unsichtbares Band geknüpft. Eine Verbindung war entstanden, deren Ursprung ebenso im Verborgenen ruhte, wie die Faszination, die mich umarmte.
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