Klaus Bodenstein

Zen und die Kunst des Bügelns


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beschmutzten Sachen gewaschen, obwohl sie sich vor der Kotze ekelte, und er? Er ließ sich bekochen und bedienen, und dann rastete er auch noch aus, wenn sie berechtigte Bedenken vorbrachte. Absolut berechtigte Bedenken, berechtigter ging es gar nicht.

      Trotzdem, warum musste sie ihm so auf seine verkaterte Seele treten? Blöde Kuh.

      Sie machte sich eine Tasse Kaffee, klein, stark, schwarz, und setzte sich an den Tisch. Ihr war eine andere Szene vom Ende der letzten Nacht eingefallen.

      Charlotte ging hinüber zum Kühlschrank und sah ins Eisfach. Was sie nachts hineingestellt hatte, war jetzt natürlich alles eingetrocknet und gefroren. Vielleicht ist da noch Leben drin, unschuldiges Leben, dachte sie. Von dem er nichts wusste. Vielleicht war das noch zu retten. Sie hätte das ins Klo kippen sollen, aber jetzt oblag der Inhalt ihres Zahnputzbechers ihrer Verantwortung.

      Das Institut hatte eine Samenbank, eingerichtet für die Nutztier-Forschung. Charlotte packte die Tasse in eine Kühltasche aus dem Supermarkt und machte sich auf den Weg. Sie hatte freitags sowieso noch im Institut zu tun. Jetzt tat ihr Benjamin schon wieder leid. Warum hatte sie ihn nur so runtergemacht? Dabei war ein Gedanke, der ihr während des Gespräches gekommen war, gar nicht so abwegig. Sie dachte an ihre Familiengeschichte und fasste sich unwillkürlich an den Busen.

      Ihre Großmutter war an Brustkrebs gestorben. Ihre Mutter hatte aus dem gleichen Grund beide Brüste verloren, schöne, große Brüste wie ihre eigenen, und litt seitdem an massiven Depressionen. Sie selbst hatte fast alle der bekannten BR-Gensequenzen, die Brustkrebs auslösten.

      Dieses Schicksal wollte sie nicht erleiden. Das war ein weiterer Grund für die Wahl ihres Studiums gewesen.

      Sie hatte sich die Brüste längst verkleinern wollen, obwohl sie sehr an ihnen hing. Sie musste lachen; umgekehrt stimmte der Satz zum Glück noch nicht. Auch mit einer Verkleinerung stiegen ihre Chancen, dem Monster zu entgehen. Sie hatte es nur wieder und wieder aufgeschoben, aus Lebensfreude und weil sie sich nicht trennen mochte, obwohl ihr ihre Orthopädin dazu geraten hatte. Das Gewicht der Dinger wäre zu groß für ihre Wirbelsäule, sie müsste mit einer Verkrümmung rechnen.

      Andererseits war sie stolz auf das, was sie hatte. Sie wusste, dass sie damit Macht ausübte, auch wenn sie das niemals zugeben würde. Klar, sie war entschlossen, sie verkleinern zu lassen, bald. Rechtzeitig. Ein wenig Zeit würde schon noch sein. So lange es ging, wollte sie sich noch an diesem Geschenk erfreuen.

      Sie hatte das Problem eingehend studiert.

      Es gab einen eindeutigen biologischen Zusammenhang zwischen Östrogen-Spiegel, der Länge der Fruchtbarkeitsperiode bei Frauen und einigen Arten von Brustkrebs.

      Mädchen bekamen heute manchmal schon mit neun, zehn Jahren ihre Menses, der Rekord lag inzwischen bei sechs Jahren. Ein gerade eingeschultes Mädchen.

      Je länger die fruchtbare Phase im Leben einer Frau anhielt, desto größer war die Chance, Brustkrebs zu bekommen. Das Eintreten der Periode hing mit dem Körperfett-Anteil zusammen, wie Charlotte wusste. Je fetter die Mädchen waren, desto früher. Die kleinen Dicken erwischte es als Erstes. Sie selbst hatte ihre Periode mit elf bekommen. Wirklich mager durfte sie sich nicht nennen.

      Die Chance, es ihrer Großmutter und Mutter nachzutun, war riesig. Anders als viele andere Frauen, denen ihre großen Brüste peinlich waren, liebte sie ihre. Ein Teil ihres Lebens, auf das sie ungern verzichten wollte.

      Natürlich war der Krebs genetisch bedingt, mit der Größe hatte er nichts zu tun. Sogar Männer konnten ihn bekommen.

      Sie kannte vier Gen-Abschnitte, die mit dem Eintreten der Menses zu tun hatten, und vierzehn für das Eintreten der Menopause. Sie glaubte auch zu wissen, wie sie beides beeinflussen konnte. LIN28B hieß eines der Gene, das man abschalten könnte.

      Es sorgte für das Wachstum der Brüste, das Eintreten der Periode und auch für das Wachsen des Schamhaares bei Jungen. Heute rasierte sich ja sowieso jeder, dachte sie.

      Wenn man dieses Gen abschaltete, würden die Mädchen im Nymphenstadium verbleiben, und ohne dieses Gen brauchten sich die Männer wenigstens ihre faltigen Säcke nicht mehr abzuschaben.

      In gewisser Weise würden sie alle jung bleiben.

      Vor allem würde sich das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, massiv verringern. Vielleicht sollte sie der Idee mehr Aufmerksamkeit schenken, in ihrem ganz eigenen Sinn. Der Bus hielt, sie musste ihre Sitznachbarin durchlassen und setzte sich ans Fenster.

      Sie bemerkte, dass sie trotz ihrer Kommentare weiter über Zens Ideen nachdachte.

      Es gab weitere Möglichkeiten. Viele Sportlerinnen litten an hypothalamischer Amenorrhö, kriegten also ihre Tage nicht mehr. Die waren meist klapperdürr und hatten einen sehr niedrigen Fettanteil im Body Mass Index. Manche Läuferinnen bekamen seit vielen Jahren keine Periode mehr und hatten allergrößte Schwierigkeiten, schwanger zu werden. Sexuelle Lust empfanden sie dabei durchaus noch, wenn auch weniger als andere, aber sie waren deshalb nicht asexuell, wie sie wusste.

      Das Leben war also auch für eine unfruchtbare Frau gar nicht so eingeschränkt. War das ein Ansatz?

      Vielleicht war das der Weg. Dafür gab es genetische Schalter.

      Wie war das andersherum: wenn die Frauen nur die Lust verlören? Charlotte dachte an ein paar ihrer vielen Freundinnen, die wenig Lust auf und selten bis nie Spaß am Sex hatten. Zwei davon spürten beim Verkehr absolut gar nichts, nur die mechanische Belastung. Zwei davon ekelten sich vor vaginalem Sex und vor dem Gewese, das die Männer dabei machten. Gevögelt wurden sie von ihren Männern und Freunden trotzdem, wenngleich selten, und schwanger würden sie auch werden. Das würde also nicht funktionieren, außer wenn die Männer ihre Lust ebenfalls verlieren würden. Aber das war ein so stark verankerter Trieb, dagegen würde sich die Natur erfolgreich wehren. Keine Chance.

      Immerhin, bei Frauen griff die Medizin schon lange in den Hormonhaushalt ein, mit der Pille. Eine automatische Pille durch Beregnung mit Plasmiden? Na ja. Daran mochte sie immer noch nicht recht glauben. Aber davon hatte Benjamin mehr Ahnung. Vielleicht hatte er ja doch recht.

      Sie hätte lieber etwas gegen Krieg und Aggression unternommen, wenn sie schon die Werkzeuge dafür besaßen.

      Auf der anderen Seite stand die große Wahrscheinlichkeit, früher oder später an Brustkrebs zu erkranken. Dabei konnte sie ihre Kenntnisse einbringen.

      Sie dachte an den Inhalt ihrer Tasche. Die hatten es gut, die Männer. Jeden Tag bildeten sie Millionen von Spermien neu, Hunderte von Millionen. Sie musste mit ihrem sparsamen Vorrat an Eiern auskommen. Um die Hunderttausend bei Geburt, davon blieben vielleicht ein paar Hundert übrig. Die wurden Monat für Monat verbraucht, und dann war es vorbei mit der Fruchtbarkeit. Die meisten Follikel reiften nicht und wurden ausgespült, in manchen Fällen starben sie einfach ab. Fälle von Follikel-Apoptose und Atresie, dem spontanen Absterben und dem Abgang von Eiern, gab es nicht nur bei Haustieren in der Massentierhaltung. Wenn der Vorrat an Eiern verbraucht war, setzte unweigerlich die Menopause ein.

      Auch eine Möglichkeit?

      Sie berührte nachdenklich ihre Brust. Sie war schon länger nicht mehr bei der Voruntersuchung gewesen. Eine verringerte Länge der Fertilitätsperiode, das hatte was!

      Ein späteres Einsetzen von Menarche und ein früheres der Menopause, dann blieb den Frauen zumindest der Krebs erspart. Der weibliche Körper musste viel Energie aufwenden, um sich empfängnisbereit zu halten, sehr viel.

      Mit dieser Energie lässt sich sicher auch was Besseres anfangen, dachte sie. Forschung, Kreativität.

      Es war nicht so, dass die Menschheit akut vom Untergang bedroht war. Das traf auf alle anderen Arten viel eher zu, da hatte Benjamin wirklich recht. Weniger Menschen, dafür gesunde und kluge Menschen, die nicht nur blind ihren Impulsen und Trieben hinterherliefen. Frauen könnten physisch stärker werden, vielleicht sogar noch länger leben, nicht nur die sechs Jahre, die sie den Männern ohnehin voraushatten. Charlotte spürte eine gewisse Vorfreude in sich aufsteigen.

      Vor ihr saß ein fettes Mädchen, vielleicht zwölf Jahre alt. Speckrollen