Klaus Bodenstein

Zen und die Kunst des Bügelns


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über eine Verweigerung stinksauer geworden.

      Charlotte machte Frühstück. Sie hatte vor ihm geduscht, er hatte sich noch ein wenig gestreckt und es genossen, in ihrem duftenden Bett zu liegen. Seit anderthalb Jahren war er zum ersten Mal wieder mit einer Frau im Bett gewesen. Nicht so, wie er gedacht oder befürchtet hatte, sondern völlig entspannt, und auch nicht mit irgendeiner Vertreterin der Gattung Weib. Sondern mit Charlotte.

      Sie hatten den Vormittag für sich reserviert. Am nächsten Tag wollte Benjamin nach England. Er glaubte zwar nicht, dass ein Gespräch mit seinem Bruder Alexander ihn von allen moralischen und ethischen Skrupeln und Bedenken befreien würde, aber eine zweite Meinung, die eines Unbeteiligten, wollte er auf alle Fälle hören, bevor er begann, über direkte Aktionen nachzudenken. Er wollte mit seinem Bruder nicht über das Vorhaben direkt reden, nur über Ethik und vielleicht über die Liebe.

      Charlotte wollte später ins Institut, sie hatte zwar am Tag davor viel geschafft, aber ein Teil ihrer eigentlichen Arbeit war liegen geblieben. Sie musste aufholen. Außerdem hatte sie noch ein paar gute Einfälle, die sie weiterverfolgen wollte.

      Benjamin hatte vom Bäcker nebenan frische Brötchen besorgt, nebst zwei Nussecken mit Schokolade an jeder der drei Ecken, einem Baguette und einem frischen Brot, für alle Fälle. Willst du jetzt bei mir einziehen, hatte Charlotte ihn angesichts seines Einkaufs angestrahlt. Sie hatte Kaffee, Spiegeleier und Rösti gemacht und einen Quinoa-Salat aufgetaut. Dazu hatte sie französische Konfitüre aus dem Restaurant ihres Vaters auf den Tisch gestellt. Lange hatte Benjamin das Frühstück nicht mehr so gut geschmeckt. Aber dann ging der Morgen nicht so weiter, wie er erwartet hatte.

      »Hör zu«, sagte Charlotte zu ihm. »Ich habe keine Wäsche mehr, die du bügeln könntest. Das lief letztes Mal ja schon ganz gut. Du bist jetzt bereit für den nächsten Schritt. Mach zur Abwechslung bitte mal den Abwasch.«

      »Hä?« Benjamin kriegte den Mund nicht mehr zu. »Du hast doch eine Spülmaschine.«

      »Während du abwäschst, mit der Hand, reden wir weiter. Ist fast genauso gut wie Bügeln.«

      Einer musste sowieso abwaschen, dachte Benjamin, und eine WG-Diskussion wollte er hier nicht anfangen. Er durfte kaum erwarten, dass Charlotte nun in die Rolle einer Hausfrau schlüpfen würde, nachdem sie miteinander im Bett gelegen hatten. Das wäre ein absolut bescheuerter Gedanke gewesen. Er musste den Abwasch machen, na klar. »Okay, gerne.«

      Während er heißes Wasser in die Spüle laufen ließ, setzte sich Charlotte an den kleinen Tisch, den sie in der Küche stehen hatte und wo sie frühstückte, wenn sie allein war. »Konzentrier dich aufs Geschirr«, sagte sie, »wir können ja dabei reden, wenn es dich nicht stört.«

      »Okay.« Benjamin beförderte den Abfall von den Tellern, Yoghurtbecher, Eierschalen und den sonstigen Müll in die jeweiligen Behälter. Die Spüle war inzwischen voll, er krempelte sich die Ärmel hoch, spritzte Spülmittel ins Wasser und nahm sich ein Glas vor.

      »Die genetischen Änderungen an deinem Bakterium – glaubst du, dass das überhaupt möglich ist? Und dass du das schaffst?«

      »Einfach ist es nicht.« Benjamin überlegte kurz. »Aber ja, ich kann das. Wir zusammen. Nur eine Frage der Zeit.«

      »Wir haben viele verschiedene Möglichkeiten besprochen«, bemerkte sie. »Welche hältst du für die schnellste und effektivste? Sprich, ohne nachzudenken.«

      »Kleine Moleküle. Botenstoffe. Die stellen die Bakterien in rauen Mengen her. Die machen dann etwas, das die Eireifung blockiert, irgendeine wichtige Eiweißproduktion. Wir nehmen dazu exakt das gleiche Molekül wie für ihr Quorum Sensing, mit dem sie sich verständigen. Wir machen deren Sprache zu unserer. Beziehungsweise, wir geben denen ein neues Molekül dafür«, sagte er, ohne zu zögern.

      Charlotte hatte eigentlich etwas zu Occam’s Rasiermesser sagen wollen. Seine Antwort erstaunte sie und traf sie, als ob er sie auf dem falschen Bein erwischt hätte. Sie hatte gerade in der letzten Woche zwei hormonartige Substanzen isoliert, bei Schweinen, die die Entwicklung der Oozyten steuerten.

      Benjamin stellte das Glas beiseite und nahm ein anderes.

      »Eine kurze Kohlenstoff-Kette, zwei, drei OH-Gruppen, ein oder ein paar Sauerstoffatome, Rest beliebig?«, fragte sie.

      »Genau. So gehen diese Enzyme. Wieso?«

      »Nur so.« Charlotte behielt sich das für später vor.

      »Nächste Frage, sofort ohne nachzudenken antworten, bitte. Meinst du nicht, dass ein Stopp des Bevölkerungswachstums nicht viel zu langsam ist, um die Welt noch vor uns zu retten?«

      »Vor uns?«

      »Nein, nicht vor uns beiden, du Vollpfosten, sondern vor uns, der Menschheit. Der menschlichen Zivilisation und ihren Folgen. Und beantworte eine Frage bitte nicht mit einer Gegenfrage, Benjamin Zeno.«

      »Ja. Nein.«

      »Hä? Was denn nun?«

      »Ja, eigentlich zu langsam, das dauert Jahrzehnte, bis es wirkt. Und bis dahin wirkt so eine Maßnahme gar nicht mehr.«

      »Und nein?«

      Benjamin stellte den letzten Teller weg und ließ das Wasser ablaufen. Er drehte sich um, sah sie an und suchte dann nach einem Geschirrtuch.

      »So was muss man langfristig sehen. Wenn die Leute sich daran gewöhnen, dass die Bevölkerung nicht mehr wächst, vielleicht sogar schrumpft, würde sich das System ändern. Ändern müssen. Die Wirtschaft. Mehr Qualität statt quantitativem Wachstum. Ein Ende des Hypes, des Wahnsinns.«

      Er fand ein Tuch und begann, das Geschirr damit abzutrocknen, während er noch sprach, Satz langsam und sorgfältig an Satz gereiht, wobei er jede Idee mit einem in die Luft gehaltenen Teller, einer Tasse oder dem Abtrockentuch unterstrich.

      »Es wäre eine Umkehr. Eine Zäsur im unbeschränkten Wachstum. Zwang zum Nachdenken und Raum für entscheidende Änderungen. Nicht aus Idealismus. Aus ökonomischem und ökologischem Zwang. Die Welt müsste sich auf Schrumpfung statt Wachstum einstellen und ihr Konsumverhalten ändern.«

      Charlotte schüttelte ihr langes Haar, das sie heute offen trug. »Aber vorher gibt es massives Chaos. Verteilungskämpfe. Kriege. Zerstörung. Oder? Müssen wir auch da noch durch?«

      Benjamin rieb mit dem Tuch an einem schon trockenen Teller, bis es quietschte.

      »Ich weiß nicht. So wie heute wird das System ohnehin nicht lange überleben. Der Markt mit Finanzprodukten, mit Fantasiewerten, mit Zockerpapieren ist heute schon zwanzigmal so groß wie die reale Wirtschaft. China kann seine Rolle als Motor auch nicht mehr ewig weiterspielen. Über kurz oder lang kocht dieser Topf auf jeden Fall über. Über reduzierte Wirtschaftsmodelle und negatives Wachstum denken doch schon viele nach.«

      Er stellte den Teller weg und sah Charlotte an, bevor er sich dem Besteck zuwandte.

      »Und weißt du, ich denke, wenn vor allem die Chance, aber auch der Druck zur Vermehrung stark eingeschränkt ist, sobald das in das Bewusstsein eingesickert ist, dann fällt auch der Level an Aggression und die ganze Hyperaktivität ab. Fast alles, was wir tun, zielt letzten Endes darauf ab, uns in der richtigen Umgebung optimal und maximal vermehren zu können, und stets dazu in der Lage zu sein. Selbst das Streben nach Macht und Reichtum, das alles dient auch dazu, dass wir zum begehrten Alphamännchen werden. Der Nummer eins. Es geht darum, den eigenen Marktwert hochzuhalten, wenn du so willst.« Er wedelte mit einem noch feuchten Messer vor ihr in der Luft herum. »Wie bei diesem ach so beliebten Präsidenten. Der denkt doch auch, nur weil er reich und mächtig ist, dass er alle Frauen angrabbeln und besteigen darf, dass das sein Recht ist.« Er schüttelte den Kopf. Offenbar mochte er den Mann nicht.

      »Wenn sich das alles abkühlt, wird wieder mehr Vernunft einkehren, auch wirtschaftliche Vernunft. Oder einkehren können. So was in der Art.«

      »Aber bis da was wirkt, vergehen doch Jahre, Jahrzehnte. Bis dahin sind die letzten Regenwälder abgeholzt und die letzten Gletscher geschmolzen. Kommt deine Idee nicht viel zu spät?«

      Charlotte