Klaus Bodenstein

Zen und die Kunst des Bügelns


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nahm sich ein Glas aus dem Schrank, in den er das gerade gespülte Geschirr und Besteck einräumte.

      »Hey! Ich bin ja schon fertig!« Benjamin schloss die Tür des Schranks und legte seine Hände auf Charlottes Hüften, zog sie an sich. Aber sie kam ihm zuvor, drückte ihm ein flüchtiges Küsschen auf den Mund und entzog sich ihm, bevor er reagieren konnte. Sie tänzelte hinüber zu ihrem Tisch und setzte sich wieder.

      »Du hast meine Frage noch nicht beantwortet. Außerdem kannst du auch gleich noch den Boden wischen. Der hat’s mal wieder nötig.«

      »Was?«, entrüstete sich Benjamin. »Soll ich vielleicht auch noch deine Bettwäsche und deine Gardinen waschen, oder was?«

      »Gardinen habe ich gar nicht, falls dir das noch nicht aufgefallen ist. Und die Bettwäsche habe ich gerade gestern erst frisch bezogen, falls du das auch nicht bemerkt hast«, sagte sie, halb beleidigt. »Das ist außerdem alles Teil des Bügelkurses. Also mach mal. Du findest alles unter der Spüle, was du dazu brauchst.«

      Benjamin war etwas eingeschrumpft. Natürlich hatte er den frischen Geruch ihrer Bettwäsche bemerkt, wenn auch überdeckt von ihrem eigenen prickelnden Duft. Wieso er auf Gardinen gekommen war, verstand er selbst nicht. Niemand in Göttingen, den er kannte, hatte Gardinen vor dem Fenster. Jetzt waren ihm seine Worte peinlich.

      Er ging auf ein Knie und öffnete die Tür unter der Spüle. Er fand lediglich einen Eimer und ein antikes Scheuertuch, nebst einer Flasche mit Reinigungsmitteln. »Hast du keine Besen, Schrubber, Mobs oder so was?«

      »Nö. Brauch ich für die Küche nicht. In den anderen Zimmern liegt ja Teppich.« Charlotte legte ihre Beine auf einen Stuhl vor ihr. »Also, was ist? Kommst du nicht viel zu spät? Sind wir nicht schon zum Untergang verdammt?«

      Benjamin ließ heißes Wasser aus dem Hahn in den Eimer fließen, warf den Lappen hinein und schoss ein paar Spritzer aus der Flasche dazu. Grüne Seife. Was auch immer das war.

      »Vielleicht ja. Aber wie ich eben gesagt habe, mittel- und langfristig würde das schon wirken. Weil es den Dampf aus dem Kessel nimmt.«

      Er kratzte sich am Kopf. So richtig überzeugt war er von seinen eigenen Worten nicht.

      »Du hast aber nicht ganz unrecht. Irgendwas müssten wir uns auch kurzfristig einfallen lassen. Sonst spielt sich nachher alles auf kahlen Felsen ab. Vielleicht kommt da deine Aggressionshemmung ins Spiel. Müsste ich drüber nachdenken.«

      »Dann überleg mal. Ich warte.« Charlotte drehte ihr Glas mit Sprudelwasser in den Fingern und sah ihm zu.

      Benjamin starrte auf einen Fleck auf den Fliesen hinter dem Wasserhahn, fand aber auch dort keine Antwort auf die Frage. Er nahm das Abtrockentuch und wischte den Fleck weg.

      Der Eimer hatte sich inzwischen gefüllt, Benjamin stellte das Wasser ab und den Eimer auf den Boden, nahm das Scheuertuch heraus und wrang es halb trocken. Dann wischte er sich die Hände an den Schenkeln trocken, griff wieder zu dem feuchten Tuch und breitete es auf dem Boden aus.

      Er sah zu Charlotte hinüber. Die saß auf ihrem Stuhl, die Beine übereinandergeschlagen, und drehte immer noch an ihrem Glas, während sie wartend zu ihm herübersah.

      Benjamin setzte den Fuß auf das Scheuertuch und drückte es damit über den Boden. Das brachte nichts, außer nassen Füßen. Er musste das richtig machen.

      Er ging auf die Knie, legte beide Hände auf das Tuch und bearbeitete die Fliesen damit. Wo Fußspuren oder Dreck auf den Fliesen waren, spürte er ein wenig Widerstand und staunte über seine Wahrnehmungsfähigkeit. Er beseitigte den Widerstand mit eifrigem Scheuern, bis er mit Tuch und Händen sanft über den Boden gleiten konnte.

      Das hatte er so noch nie gemacht, aber er spürte, dass seine Arbeit Wirkung zeigte. Der Boden dankte es ihm mit nassem und glatten Glänzen. Benjamin nahm sich die nächste Fliese vor, darauf achtend, auch die Fugen zwischen den Fliesen mitzunehmen. Im Tuch blieben Staubkörner und Dreck hängen, und Benjamin merkte, wie diese über die Fliesen kratzten. Er tauchte den Scheuerlappen in das noch heiße Wasser im Eimer, spülte ihn ein paarmal und wrang ihn erneut aus, um sein Werk an der nächsten Fliese fortzusetzen.

      Tja, was konnte man kurzfristig unternehmen? Der Wahnsinn ging täglich weiter, Palmöl-Plantagen ersetzten tropische Urwälder, Millionen von Haifischen wurden ihrer Flossen beraubt, damit Chinesen auf ihren Einladungen zu Hochzeiten oder anderen Festen etwas zum Anbieten und späteren Wegwerfen hatten. Korallenriffe wurden abgeräumt, um ein paar Hummer auf gut gedeckte Tische zu bringen. Riesige Monokulturen wurden angelegt, um Rinder für die Steak- und Hamburger-Produktion züchten zu können. Gigantische Flächen wurden zubetoniert und asphaltiert, um Autofabriken zu bauen und die Autos dann in weltumspannenden Staus abzustellen. Die Autos, Kraftwerke und Chemiefabriken spien in wachsendem Maß und überall ihren Dreck in die Luft.

      Chemiefabriken.

      Benjamin rutsche auf den Knien hinüber zur Spüle und sah sich die Hersteller-Vermerke auf der Flasche an. Die Seife war aus Fetten und Kalilauge gemacht, daneben waren ein paar anionische Tenside drin, und ein paar aromatische Duftstoffe, nichts aus der Erdölchemie. Benjamin wusste nicht, ob das wichtig war.

      Er hatte Charlotte und seinen Bügelkurs komplett vergessen und war im Säubern des Fußbodens aufgegangen, während er auch das Nachdenken über die Welt mehr und mehr vernachlässigte.

      Dass es ihm das Putzen Spaß gemacht hätte, wäre zu viel gesagt gewesen, dass es ihm lästig oder unangenehm war, auch. Es spielte eigentlich auch keine Rolle. Hier und jetzt reinigte Benjamin den Boden.

      Er rutschte hinüber zur nächsten Fliese und begann diese zu schrubben, das raue und heiße Scheuertuch über und unter seinen Händen. Kurzfristig. Die Fliese dankte seinen Bemühungen mit abnehmendem Widerstand. Die nächste hatte zwei Teeflecke und einen undefinierbaren Fettfleck, wie Benjamin dankbar zur Kenntnis nahm. Er hatte noch nie einen Boden gescheuert, und hatte sich noch nie derartig darin aufgelöst.

      Vielleicht sollte man die Wasserpreise erhöhen, fiel ihm ein. Dann würde nicht so verschwenderisch mit diesem kostbaren Rohstoff umgegangen werden, gerade dort, wo er am knappsten war, wie in Indien oder China. Wo selbst das Grundwasser verbraucht und die Reste verdreckt waren.

      Die Teeflecke waren weg, der Fettfleck leistete noch Gegenwehr. Dann war auch er fort, und Benjamin spülte den Scheuerlappen wieder aus. Die nächste Fliese zeigte Spuren von Gummi, dunkle Kreise und Kreissegmente, dunkler in der Mitte, heller am Rande. Die Stelle, an der sich Charlotte immer umdrehte, wenn sie Tee machte, dachte er. Diesen Fleck mit einer kreisförmigen Scheuerbewegung zu bearbeiten brachte nichts. Ein paar Mal hin und zurück, und auch diese Fliese war sauber. Benjamin machte weiter.

      Neben der zunehmenden Zersiedlung der Landschaft, der Vergiftung der Meere, der Vernichtung von originären Ökosystemen und dem Raubbau an Ressourcen ist die Erwärmung von Atmosphäre und den Weltmeeren vielleicht das größte Problem, dachte Benjamin. Fast jede menschliche Aktivität war damit verbunden, Heizung und Verkehr, die Herstellung und der Transport von Gütern, die Zucht von Rindern und der Anbau von Reis. Jetzt wollten einige Konzerne sogar das gefrorene Methan von den Meeresböden als Energiequelle erschließen, zur Gas- und Benzingewinnung. Das würde der Atmosphäre den allerletzten Rest geben. Dann würde das letzte Eis in Grönland abschmelzen, die ehemaligen Permafrostböden würden Riesenmengen an Methan freisetzen, und spätestens ab diesem Zeitpunkt war es so gut wie aus mit Mutter Erde.

      Benjamin hatte sich in seinen Gedanken verloren, die Ideen kamen und gingen von selbst, und währenddessen hatte er kniend schon fast die ganze Küche geschrubbt und gesäubert, Schweiß auf der Stirn, mit nassen Knien und aufgekrempelten Ärmeln.

      Und während er weiterrutschte und weiter schrubbte, drehte sich die Welt für einen winzigen Moment ein winziges Bisschen langsamer. Für den Bruchteil einer Nanosekunde blieb die Welt stehen, zu kurz, um es wahrzunehmen, zu lang, um nicht voller Erstaunen zu sein.

      Benjamin lehnte sich etwas zurück, während sich diese kurze Ewigkeit in ihm weiter ausdehnte, und ließ es zu. Vor ihm lag eine weitere Fliese mit Fußspuren, das konnte man mit etwas Wasser, Seife und Wischen wieder sauber