Rudolf Steiner

Eurythmie als sichtbare Sprache


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Dornach, 24. Juni 1924

      Die Vorträge, die ich hier halten werde, Besprechungen über das Eurythmische, sind zunächst hervorgegangen aus der Ansicht von Frau Dr. Steiner, daß es notwendig sei, zur exakten Gestaltung gewissermaßen der eurythmischen Tradition zuerst einmal wiederholentlich alles dasjenige durchzuführen, was sich auf die Lauteurythmie bezieht, was im Laufe der Jahre in der Lauteurythmie an die entsprechenden Persönlichkeiten herangebracht worden ist. Es wird sich dann darum handeln, daß an diese Wiederholungen sich angliedern werden, und zwar immer jeweilig an die Einzelheiten selbst, nicht etwa abgeteilt nach Kapiteln, Erweiterungen des Eurythmischen. Ich werde dabei versuchen, das Eurythmische nach seinen verschiedenen Aspekten, sowohl nach dem künstlerischen Aspekt, der natürlich hier vorzüglich in Betracht kommt, wie auch nach dem pädagogischen Aspekt und nach dem Heilwertaspekt zu betrachten. Heute möchte ich eine Art Einleitung vorausschicken, an die sich dann morgen Besprechungen über die ersten Elemente der Lauteurythmie anschließen werden. Dasjenige, was vor allen Dingen für den Eurythmiker auf jedem Gebiete notwendig ist, das ist, daß er in der eurythmischen Kunst, in der eurythmischen Betätigung mit seiner Persönlichkeit, mit seinem Menschentum leben kann, sodaß Eurythmie ein Ausdruck des Lebens wird. Das kann man nicht erreichen, ohne daß man eindringt in den Geist der Eurythmie als einer sichtbaren Sprache. Derjenige, der Eurythmie bloß ansieht, als künstlerischen Genuss hinnimmt, der braucht, wie es beim künstlerischen Genießen überhaupt der Fall sein sollte, ja nichts von dem Wesen der Eurythmie zu wissen, ebenso wenig wie irgendjemand musikalische Harmonielehre oder Kontrapunkt oder dergleichen gelernt zu haben braucht, der Musik genießen will. Das ist dasjenige, was einfach in der naturgemäßen, in der selbstverständlich menschlichen Entwicklung begründet ist, daß man für das, was man im Aufnehmen des Künstlerischen Verständnis nennen kann, auch als gesund ausgebildeter Mensch Verständnis hat. Kunst muß durch sich selber wirken. Sie muß selbstverständlich wirken. Derjenige aber, der Eurythmie treibt, der Eurythmie in irgendeiner Art hinzustellen hat in der Welt, der muß für Eurythmie ebenso in das Wesen der Sache eindringen, wie, sagen wir, der Musiker oder der Maler oder der Plastiker in das Wesen der Sache eindringen muß. Bei der Eurythmie haben wir es zugleich mit einem Eindringen in das Menschliche überhaupt zu tun, wenn wir in das Wesen der Eurythmie eindringen wollen. Denn es gibt keine Kunst, die sich in einem so eminenten Sinne desjenigen, was am Menschen selbst ist, bedient wie die Eurythmie. Nehmen Sie alle Künste, Künste, die Instrumente haben, Künste, die irgendwelche Werkzeuge nötig haben, sie haben nicht Mittel und nicht Werkzeuge, die so nahe an den Menschen herankommen wie die Eurythmie. Die mimische Kunst und die Tanzkunst kommen gewiß bis zu einem gewissen Grade an den Menschen selbst heran in dem Gebrauche von künstlerischen Mitteln und dem Gebrauche eben des Menschen selbst als eines Werkzeuges. Aber bei der mimischen Kunst steht zunächst dasjenige, was mimisch ausgebildet wird, nur im untergeordneten Dienste der Gesamtdarstellung, die sich nicht in künstlerischer Gestaltung am Menschen selbst verliert, sondern den Menschen eigentlich dazu benützt, um im Einzelnen Falle dasjenige nachzuahmen, was schon im Menschen selber hier auf Erden vorgeht ist. Außerdem haben wir es in der mimischen Kunst damit zu tun, daß man gewissermaßen nur dasjenige verdeutlicht, dessen sich der Mensch im gewöhnlichen Leben bedient, verdeutlicht das Sprechen. Man fügt, um das Sprechen intimer zu machen, Gebärdenhaftes zur Sprache hinzu. Wie gesagt, man hat es also höchstens mit einer geringen Weiterführung desjenigen zu tun, was auf dem physischen Plane vom Menschen schon vorhanden ist. Bei der Tanzkunst hat man es zu tun, wenn überhaupt von Kunst dabei die Rede sein kann, wenn sich der Tanz zum Künstlerischen erhebt, mit einem Ausfließenlassen des Emotionellen, des Wollens in menschliche Bewegung, wobei wiederum nur dasjenige, was im Menschen veranlagt ist an Bewegungsmöglichkeiten, die auch sonst auf dem physischen Plane vorhanden sind, weiter ausgebildet wird. Bei der Eurythmie haben wir es zu tun mit etwas, das nach keiner Richtung da ist am Menschen im gewöhnlichen physischen Leben, das durch und durch eine Schöpfung sein muß aus dem Geistigen heraus, mit etwas, das sich nur des Menschen bedient, wie der Mensch nun einmal dasteht in seiner Gestalt in der physischen Welt, das sich nur des Menschen als eines Ausdrucksmittels, und zwar der menschlichen Bewegung als eines Ausdrucksmittels bedient. Nun fragt es sich: Was wird denn eigentlich dargestellt? Sie werden nur begreifen, was in der Eurythmie dargestellt wird, wenn Sie eben ins Auge fassen, daß Eurythmie eine sichtbare Sprache sein will. Mit der Sprache selbst ist es auch so. Wenn wir die Sprache mimisch gestalten, so haben wir an der gewöhnlichen Sprache das Vorbild, aber wenn wir die Sprache selbst gestalten, so hat diese als solche kein Vorbild. Sie tritt als selbständiges Produkt aus dem Menschen heraus. Nirgends in der Natur ist dasjenige vorhanden, was in der Sprache sich offenbart, in der Sprache zutage tritt. Ebenso muß Eurythmie durchaus etwas sein, was eine ursprüngliche Schöpfung darstellt. Die Sprache – gehen wir von ihr aus – erscheint als Hervorbringung des menschlichen Kehlkopfes und desjenigen, was mit dem Kehlkopfe mehr oder weniger zusammenhängt. Dieser Kehlkopf, was ist er denn eigentlich? Die Frage muß einmal aufgeworfen werden, denn ich habe oft angedeutet, in der Eurythmie wird der ganze Mensch zu einer Art von Kehlkopf Wir müssen also einmal uns die Frage vorlegen: Was für eine Bedeutung hat denn überhaupt der Kehlkopf? Wenn wir zunächst auf die Sprache als auf eine Hervorbringung aus dem Kehlkopfe hinschauen, so werden wir nicht aufmerksam darauf sein, was da eigentlich aus dem Kehlkopfe herauskommt, was sich da bildet. Aber wir können uns vielleicht erinnern, daß eine merkwürdige Tradition vorhanden ist, die heute wenig verstanden wird, die Sie einfach angedeutet haben, wenn Sie den Anfang des Johannes-Evangeliums nehmen: »Im Urbeginn war das Wort und das Wort war bei Gott und ein Gott war das Wort.« Das Wort. Nicht wahr, dasjenige, was man sich heute als Wort vorstellt, das ist etwas, was innerhalb dieses Zusammenhanges im Beginne des Johannes-Evangeliums nicht den allergeringsten Sinn gibt. Es wird zwar dieser Anfang des Johannes-Evangeliums fortwährend besprochen. Die Leute glauben, sie können sich dabei auch etwas denken. Sie tun es nicht, denn eigentlich, wenn man das nimmt, was sich der heutige Mensch unter Wort vorstellen kann, wovon er zu gleicher Zeit sagt: Name ist Schall und Rauch, umnebelnd Himmelsglut ... und so weiter – was er ja in gewissem Sinne sogar dem Gedanken gegenüber gering achtet und wobei er sich erhaben vorkommt, wenn er es geringachten kann gegenüber dem Gedanken –, wenn man sich in das versetzt, was der heutige Mensch unter Wort vorstellen kann, hat der Anfang des Johannes-Evangeliums nicht den geringsten Sinn, gar keinen Sinn. Denn das Wort – wir haben so viele –, welches Wort? Es kann doch nur ein bestimmtes, konkretes Wort sein. Und was ist denn das Wesen dieses Wortes? Das muß gefragt werden. Nun ist allerdings dieser Tradition, die sich eben andeutet in dem Beginn des Johannes-Evangeliums, das zugrunde liegend, daß man einmal in einer instinktiven Erkenntnis wußte, was das Wort ist. Heute weiß man es nicht mehr. Die Idee, der Begriff »das Wort« umfaßte einmal in einer ursprünglichen menschlichen Anschauung den ganzen Menschen als ätherische Schöpfung. Sie wissen ja alle, da Sie Anthroposophen sind, was der ätherische Mensch ist. Wir haben den physischen Menschen, wir haben den ätherischen Menschen. Der physische Mensch, von der gewöhnlichen Physiologie, von der Anatomie beschrieben, der physische Mensch hat äußerlich und innerlich gewisse Formen, die man zeichnet; wobei man natürlich nicht berücksichtigt, daß dasjenige, was man da zeichnet, nur der allergeringste Teil des physischen Menschen selber ist, da der physische Mensch zu gleicher Zeit flüssig ist, luftförmig ist, Wärmeinhalt hat, den man natürlich gewöhnlich nicht zeichnet, wenn man in der Physiologie oder Anatomie vom Menschen spricht. Aber man kann immerhin doch zunächst eine Vorstellung von dem haben, was der physische Leib des Menschen ist. Aber nun ist das zweite Glied der menschlichen Natur da, der Ätherleib des Menschen. Dieser Ätherleib des Menschen, wenn man ihn aufzeichnen würde, würde etwas ungeheuer Kompliziertes darstellen. Denn dieser Ätherleib des Menschen kann im Grunde genommen als etwas Bleibendes ebenso wenig hingemalt werden wie der Blitz, wenn man den Blitz hinmalt, so hat man ja nicht den Blitz gemalt, denn der Blitz ist in Bewegung, der Blitz ist in Strömung. Man müßte also in der Nachahmung des Blitzes eine Strömung, eine Bewegung darstellen. Man kann nur so, wie man etwa den Blitz malen könnte, wenn man ihn malen wollte, den Ätherleib irgendwie fixieren. Der Ätherleib ist in fortwährender Beweglichkeit, in fortwährender Regsamkeit. Diese Bewegungen nun, diese in Bewegung begriffenen Formen, aus denen der Ätherleib des Menschen nicht besteht, sondern fortwährend entsteht und vergeht, haben wir sie irgendwo in der Welt der Menschen, sodaß wir an sie herantreten können? Ja, wir haben sie. Daß man sie hat, das wußte eben eine ursprüngliche intuitive Erkenntnis. Man hat sie in dem, was der Mensch überhaupt – bitte, meine lieben Freunde, ich spreche