die Babsi huckepack trug, an der Hand einen leichten Rollkoffer und Hedwig Sandmann, welche die eng aneinander geschmiegte Truppe anführte. So konnten sie natürlich nicht im Hotel einchecken, also mietete Sabine gleich beim Bahnhof um die Ecke einen älteren, leicht verbeulten Citroën, hellbeige, mit dem sie zackig in eine Seitenstrasse fuhr, die um diese Zeit, kurz nach zwölf Uhr mittags, menschenleer war. Dort verfrachteten sie Silvia auf die hinteren Sitze, immer noch mit Jacques und Klara auf je einer Seite, diesmal mit Silvias Kopf auf Jacques’ und den Füssen auf Klaras Schoss und Tessa auf dem Beifahrersitz. So sausten sie los, während die anderen mit der Metro ins Hotel fuhren.
«Wo soll’s hingehen?», wollte Sabine übermütig wissen.
«Aus der Stadt raus in Richtung Étampes, also südlich.» Jacques nannte Sabine die Adresse der Kirche, welche die gesuchte Reliquie beherbergte und starrte fasziniert auf das Bild, das ihm Hans-Peter auf sein Handy geschickt hatte. Es handelte sich um ein winziges Ölfässchen aus Silber mit einem eingravierten Bildchen. Der Stopfen war eindeutig aus Kork. Jacques vergrösserte das Foto und erkannte Maria mit dem Jesuskind in der Gravur, umringt von einem fein ziselierten Blätterkranz. Eine wunderschöne Arbeit. Hans-Peter schrieb dazu, dass das Gefäss einen Rest des Öls enthalte, mit dem Christus’ Leichnam einbalsamiert worden sei.
«So ein Unsinn», dachte der reformierte Pfarrer, doch er musste es ja nicht behalten, sondern nur stehlen.
«Wir sind da.» Sabine hielt in der Nähe vom Château de Farcheville auf einem abgelegenen Kirchhof an und stieg aus.
«Da kommt schon der Pfarrer», sah Tessa einem freudig heraneilenden, stämmigen, eins sechzig grossen Mann entgegen.
Jacques erzählte dem gutgläubigen katholischen Kollegen auf Französisch eine rührselige Geschichte von den letzten Atemzügen der Silvia Gerlind, die noch im Sterben ihre sehnlichst gewünschte letzte Ruhestätte nannte, und zwar genau diese Kirche hier. Sie sei nämlich als Katholikin aufgewachsen und habe erst später, wegen ihres Mannes, zu den Reformierten übergewechselt. Und nun wolle sie wieder zurück ins Katholische, auf dass sich der Kreis schliesse. Papiere habe sie zwar dabei, doch es wäre wünschenswert, die arme Frau möglichst schnell ohne grosses Aufhebens zu bestatten.
«Das ist hier kein Problem», versicherte der herzerweichte Pfarrer und so brachten sie die selige Silvia in den Aufbahrungsraum.
6
«Ich brauche Verstärkung», maulte Sebastian Meyer ins Diensthandy.
«Wieso? Hat sich Hunki Chrüter geklont?», witzelte Hauptkommissar Fulminand Grube von seinem Festanschluss der Spezialabteilung Vier der Kantonspolizei Zürich aus.
«Nein. Aber die ganze Reisegruppe hat sich aufgeteilt. Beim Ausstieg sind sie praktisch miteinander verschmolzen und nun hat sich ein Teil der Gruppe abgesetzt.»
«Und wo ist Chrüter?»
«Im Hotel. Und ich auch. Im gleichen Stock wie die anderen, gleich neben dem Lift. So höre ich sie, wenn sie ausgehen. Aber sie haben mich komisch angeguckt.»
«Wer? Die Reisegruppe?»
«Nein. Die an der Rezeption. Ich glaube, unsere Dienstkleidung sollte einen Tick eleganter werden.»
«Wie meinst du das?», konnte sich der aus einer dörflichen Bauernfamilie stammende Hauptkommissar nicht erklären.
«Meine Güte, Fulminand! Anstatt der ausgelatschten Turnschuhe vielleicht ein Paar schicke Stiefel? Aus echtem Leder? Dazu eine passende Jacke, die nicht bereits zwanzig Jahre alt ist? Möglicherweise mehr als nur ein rohseidenes Hemd und mit allen Knöpfen dran?», träumte Sebastian Meyer weiter und wurde von seinem Chef rüde unterbrochen: «Du übertreibst sinnlos, Sebastian. Wir schicken dir die Kroatin zur Verstärkung.»
«Roszalia Zarew? Die kann mich nicht ausstehen.»
«Die kann niemanden ausstehen. Sie kommt heute noch mit dem Auto.»
Roszalia Zarew wurde also, ausgerüstet mit einem uralten Peugeot, schlammfarben, auf die Reise nach Paris entsendet, um dem chronisch frustrierten Drogenfahnder Sebastian Meyer unter die Arme zu greifen. Und obwohl es von höchster Priorität hätte sein müssen, sich sofort nach der Ankunft Sebastians bei den Pariser Behörden anzukündigen und die Erlaubnis einzuholen, im Ausland ermitteln zu dürfen, liessen sie es einfach bleiben. Würde eh keine Sau merken. Dachten sie.
7
Sabine Pfau sang auf der Rückfahrt von der ländlich gelegenen Kirche nach Paris ein obszönes Liedchen, das hauptsächlich vom Pariser Rotlichtviertel Pigalle handelte und parkte nach einem Stündchen Landstrasse, Autobahn und Stadtverkehr hinter dem Hotel, in dem sie alle für eine ganze lange Woche reserviert hatten.
«Ach, Paris riecht einfach nach Parfüm», seufzte Sabine auf dem Weg hinein und saugte die dicke Wolke Auspuffgas in ihr von Illusionen gespeistes Näschen. «Und heut Abend zieh ich mein kobaltblaues Seidenkleid an.»
«Wo gehen wir denn hin?», wollte Klara wissen.
«Na, in dieser grossen Stadt werden wir schon was finden, wo wir hingehen können», war sich Sabine sicher.
8
«Da bist du ja endlich!», flüsterte Sebastian, nachdem er Roszalia in sein Zimmer im Hotel L’Hôtel gelassen hatte.
«Ich musste unterwegs noch essen gehen, sonst wäre ich ohnmächtig am Steuer zusammengebrochen. Sag mal, Sebastian, der olle Fulminand hat mir zwar deine Zimmernummer durchgegeben, aber nicht meine. Ich hoffe, in der Zwischenzeit hat er reserviert.»
«Roszalia, dies ist ein sehr teures Hotel. Wir können uns nur ein Zimmer leisten.»
«Ich soll mit dir zusammen in diesem Doppelbett hier nächtigen?»
«Ich tu dir schon nix. Ich steh nicht auf junges Gemüse.»
Roszalia stemmte die Fäuste in ihre schlanke Taille, schüttelte ihr honigblondes langes Haar und starrte auf die gediegene Bettstatt. Das wurde zwar alles von Sebastian registriert, doch sogleich wieder unterdrückt. Der Geist von Oscar Wilde, der in diesem Hotel gestorben war, konnte da nur lachen.
«Ich nehme die Fensterseite», bestimmte Roszalia.
Draussen im Gang ertönte lautes Lachen und aufgeregtes Durcheinanderreden.
«Das sind sie», sagte Sebastian. «Gehen wir, komm.»
Während die beiden Pfarrer, Sabine, Hunki und Klara im Lift nach unten trudelten, eilten Sebastian und Roszalia die Treppen hinunter, um die Gruppe inkognito zu verfolgen und zu beobachten, ob Hunki Chrüter hier im Ausland Drogen vertickte oder sonst irgendetwas Illegales tat. Wieso Abteilungsleiter Normann Kluss diesen armen Tropf unbedingt überführen wollte, wussten beide nicht. Bisher wurde Chrüter nämlich nur als Konsument diverser Drogen auffällig und keinesfalls als Dealer. Und selbst wenn er den Gassennamen eines Kleindealers kannte, was nützte das schon?
Die fünf Munteren – die anderen der Reisegruppe waren schlafen gegangen – setzten sich in den Citroën, natürlich wieder mit Sabine am Steuer, die keine Hemmungen hatte, sich im Pariser Stadtverkehr zurechtzuhupen, und sausten von der rue des Beaux Arts im sechsten Arrondissement auf der linken Seite der Seine ins La Bellevilloise in der rue Boyer im zwanzigsten Arrondissement.
«Wow, die vielen Lichter», sah Roszalia staunend aus dem Peugeot-Fenster.
«Roszalia, wir sind nicht wegen der Schönheit von Paris hier, sondern um den abgetakelten Hunki Chrüter zu beschatten. Und ausserdem finde ich es äusserst nervenaufreibend, in dieser Stadt Auto zu fahren. Hinzu kommt, dass diese Gestörte da vorne einen Affenzahn drauf hat und, o je!, immer im allerletzten Moment den Blinker setzt.»
Sebastian Meyer, als allerbester Autofahrer der Kantonspolizei Zürich gefeiert, schaffte es nur knapp, Sabine nicht aus den Augen