sich auch gerne in mich verlieben, meine Damen, ich habe nichts dagegen. Unerwiderte Liebe ist doch die schönste von allen.» Und dabei lächelte Pfarrer Sebastienne so unbedarft, dass ihm bereits etliche Herzen zugeflogen kamen.
«Pfarrer Jacques wird unsere Seniorengruppe übernehmen», erläuterte Selri weiter.
«Seit wann hat diese Gemeinde eine Seniorengruppe?!» Sabine Pfau war noch nicht wirklich beschwichtigt.
«Seit heute», meldete sich endlich Pfarrer Jacques zu Wort, ein grosser, schlanker Mann mit blondem, dichtem Haar und grauen Augen, die wie Kiesel in einem sonnenbeschienenen Bach funkelten.
Doch das täuschte.
Jacques war etwa so gefühlvoll wie ein Eiskristall und betätigte sich ausserdem während seines Kirchendiensts gelegentlich als Reliquienräuber, um die für die Katholischen wertvollen Gegenstände zu verticken. Sein Abnehmer war ein Freund aus Studientagen, Prior Hans-Peter vom Kloster Sankt Gallen, der die gestohlenen Objekte seinerseits weiterverkaufte. Mit Marge, versteht sich.
«Sabine, denk’ auch mal an deinen Mann, den armen Heinz, du solltest dich eigentlich gar nicht anderweitig verlieben», kicherte Jacques.
«Ach, Jacques», schmachtete Sabine nichtsdestotrotz.
Und dann lag noch ein anderes Augenpaar verzückt auf Pfarrer Jacques’ Gesicht. Und das gehörte keiner der anwesenden Frauen. Auf alle Fälle keiner selbst ernannten.
2
Die reformierte Kirchgemeinde Kreis Fünf hatte sich endlich ein hauseigenes Fahrzeug geleistet, das knapp als Kleinbus durchging: Marke Mercedes-Benz, Farbe Blumenmuster. Das Büschen war eine günstige Occasion gewesen und stammte aus den frühen Achtzigerjahren. Der Motor lief noch.
Pfarrer Jacques setzte sich also hinter das abgegriffene Steuerrad und zockelte los, seine Seniorengruppe einzusammeln. Drei der zwölf Mitglieder wohnten zuhause, die anderen neun im Altersheim «Flussmatte».
Jacques überquerte den Limmatplatz, bog in die Gasometerstrasse ein und hielt vor einem der Reihenhäuser an, um Herrn Siegbert abzuholen. Der stand bereits im Hauseingang, ausstaffiert mit Hut und Stock und zerrte an der Eingangstüre.
«Warten Sie, ich helfe Ihnen, Herr Siegbert», rief der heraneilende Jacques.
«Nein, nicht helfen! Ich komme alleine klar. Ich brauche nur ein bisschen länger als früher. Wissen Sie, Herr Pfarrer, ich bin nicht mehr ganz zwanzig. Da kann’s schon mal etwas dauern. So. Geschafft», krähte das kleine, drahtige Männlein, liess die schwere Türe hinter sich ins Schloss fallen und eilte gekrümmt und mithilfe seines Stocks auf den bunten Kleinbus zu.
«Ich mag ja alt sein, Herr Pfarrer, aber dass dies hier ein nicht ganz moderner Bus ist, sehe sogar ich. Nicht ganz ‹up to date›, wie die jungen Leute heute sagen», kicherte der für den Ausflug an den Bodensee herausgeputzte Herr ziegenböckisch.
«Dafür konnten wir ihn uns leisten, Herr Siegbert.»
«Habt ihr wieder mal kein Geld, ihr Kirchenmäuse?!»
«Wir müssen es nur richtig einteilen, dann geht es schon.»
«Wie wär’s mit einer, äh, wie heisst das jetzt, äh, Anlageberatung?»
«Von Ihnen?»
«Warum nicht? Schlimmer als die bei den Banken kann ich’s auch nicht hinkriegen.»
«Da haben Sie allerdings Recht, Herr Siegbert.»
«Solarstrom, sag’ ich», und Herr Siegbert schüttelte seinen Stock im Sitzen, während Jacques losfuhr, «investieren Sie in Solarstrom. Das ist die Zukunft.»
«Herr Siegbert, so viel Geld haben wir nicht, als dass wir irgendwelche Aktien damit kaufen könnten. Welche auch immer.»
«Kirchenmäuse, sag’ ich doch, arme Kirchenmäuse.»
Der nächste Halt ergab sich kurz nach dem Röntgenplatz. Dort wohnte Frau Lammschein.
Als Pfarrer Jacques auf das Haus zuging, winkte die Dame bereits vom Balkon herunter.
«Ich rauche die noch fertig, dann komm’ ich runter, Herr Pfarrer, gehen Sie nur schon wieder zum Bus zurück», hustete Frau Lammschein. «Ein lustiges Fahrzeug haben Sie da. Leicht zu finden zwischen all den dezenten anderen.»
«Nehmen Sie mich hoch, Frau Lammschein?»
«Klar, Herr Pfarrer», lachte die Kettenraucherin jetzt ungeniert, «glauben Sie, wir Alten hätten unseren Humor mit dem Bezug der AHV-Rente abgegeben?»
3
Nachdem sich Frau Lammschein neben Herrn Siegbert gesetzt hatte, fuhr Pfarrer Jacques zur Heinrichstrasse hinüber, um vor dem Haus von Signore Luciano zu parken.
Der lehnte lässig am schmiedeeisernen Gartentörchen und zog an einer teuren Zigarre.
Signore Luciano war von kleiner, kräftiger Statur, färbte sich die Haare, die zwar dünn, aber noch da waren, schwarz, hatte sich etliche Goldringe an die Finger gesteckt und ein gut sitzendes grünes Jackett, Bügelfaltenhosen und schicke Schuhe angezogen. Über seinem Arm trug er einen langen, beigen Mantel.
«Herr reformierter Pfarrer Jacques», tönte er mit leichtem Spott und setzte sich sogleich neben Frau Lammschein, welcher er galant die Hand küsste.
«Oh, sind Sie übergelaufen?», schäkerte diese.
«Zu den Guten?»
«Zu den Reformierten?»
«Ah, zu den Reformierten. Ja. Das bin ich. Sonst bin ich immer noch der Alte. Ab und zu», zwinkerte Signore Luciano.
Herr Siegbert hatte keine Ahnung, wovon Signore Luciano gerade sprach, währenddessen Pfarrer Jacques sich sicher war, dass er es hier mit einem nicht ganz Unbedarften zu tun hatte.
In der Nähe der wilden Sihl und der kanalisierten Limmat schwenkte Pfarrer Jacques auf einen kleinen Parkplatz ein und stieg aus.
Im Altersheim «Flussmatte» wurde er freudig begrüsst, allen voran von den Pflegerinnen, für die der Anblick eines so gut aussehenden, noch nicht mal ganz vierzigjährigen Mannes eine willkommene Abwechslung darstellte.
Acht Frauen und ein Mann erhoben sich, stützten sich teils auf ihre Gehstöcke, teils auf ihre Sturheit, schwatzten alle durcheinander und folgten ihrem Pfarrer hinaus.
Beim Anblick des geblümten Busses brachen sie alle wie auf Kommando in ein in verschiedenen Tonlagen vorgetragenes Gegacker aus, zeigten mit ihren zittrigen Fingern auf das Gefährt und stiegen trotz vehementem Zweifel an dessen Fahrtüchtigkeit ein.
Da geschah es.
Zwei Augenpaare trafen sich, verengten sich augenblicklich zu Schlitzen und die Stimmung zwischen den beiden siebzigjährigen Herren wurde eisig.
«Was ist?», flüsterte Frau Lammschein Signore Luciano ins Ohr.
«Ach, nichts. Ich kenne diesen Mann von früher.»
«Sie kennen sich von früher?», hatte Frau Gerlind ihre Ohren gespitzt, die immer noch optimal funktionierten, ganz im Gegensatz zu ihrem sechsten Sinn, der noch nie viel hergegeben hatte.
«Ja, lange her», knirschte Herr Ferdin mit den Zähnen.
«Können wir?», wollte Jacques vom Fahrersitz aus wissen, wobei er interessiert in den Rückspiegel starrte.
Irgendetwas stimmte hier absolut nicht. Seiner Meinung nach. Zwischen Signore Luciano und Herrn Ferdin herrschte Kalter Krieg. Dieser Ausflug würde heiter werden. Und diese Seniorengruppe hier hatte er für ewig am Hals. Na ja, bis sie tot umfielen, versteht sich.
4
«Wir sind da»,