Denise Remisberger

Der auferstandene Rosenkranz


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Sonne schien warm auf die am Rand aufgetürmten Schneehaufen und inspirierte Frau Sandmann gleich zu einer kritischen Bemerkung über die bräunlich-schwarze Verfärbung des Schnees.

      «Deine Zähne sehen auch nicht anders aus, Hedwig!», krähte Frau Melchior daraufhin.

      «Dafür sind es meine!», giftete Frau Sandmann in geübter Manier zurück.

      Nachdem endlich alle aus dem Blumenbus ausgestiegen waren, wurde gemächlich spaziert, die beiden Streithähne Ferdin und Luciano möglichst weit voneinander entfernt.

      «Meine Schwester haben sie letzte Woche begraben, in Sankt Gallen, auf dem Friedhof Sankt Georgen», seufzte Frau Melchior.

      «Gerlinde Steiner? Die mit dem katholischen Tick?», vergewisserte sich Frau Sandmann.

      «Ja, ja. Sie liess sich mit dieser Reliquie in Händen begraben.»

      «Mit welcher Reliquie?», drehte sich Pfarrer Jacques hellhörig zu den beiden Frauen um.

      «So ein altertümlicher Rosenkranz, dem nachgesagt wird, seine Perlen bestünden aus dem Holz des Kreuzes Christi.»

      «So ein Unsinn», kommentierte Frau Sandmann. «Damals gab es noch gar keine Rosenkränze.»

      «Und woher hatte Ihre Schwester diesen Rosenkranz?» Pfarrer Jacques’ Alarmglocken schrillten ganz laut.

      «Aus dem Vatikan. Von einem ehemaligen Kardinal, den sie von früher kannte.»

      «Der ‹Purpurne Kranz der heiligen Rosen›», dachte Pfarrer Jacques und wusste bereits, an wen er diese Information bald weitergeben würde.

      5

      An einem verschneiten Montagabend war ausnahmsweise mal richtig was los in der Nicht-Grossstadt Sankt Gallen.

      Amalia hatte sich mit Kuno und Berian im Engel getroffen zwecks späteren Besuchs eines Konzertes im Palace.

      Die beiden Männer arbeiteten gerade an einem Kunstprojekt und an ihrem Vitamin B, welches sie noch nicht so ganz gezielt einsetzen konnten.

      Amalia war Kunstmalerin und suchte erst gar nicht nach etwaigen Nährstoffen. Sie berief sich ausschliesslich auf ihre mediale Verbindung zu einer ganzen Reihe Verstorbener und teilte denen ihre wenigen, aber konkreten Lebenswünsche mit, die sich dann jeweils zum richtigen Zeitpunkt erfüllten.

      Das mit dem richtigen Zeitpunkt erforderte manchmal ein Warten von einigen Jahren, also ein Nichtaufgeben der Ziele während einer ganz schön langen Zeit. Ein Dranbleiben am eigenen Selbstbewusstsein.

      Und das konnte Amalia.

      Um zweiundzwanzig Uhr standen die drei im Konzertraum zwischen den Stühlen, die sich als etwas hinderlich erwiesen, vor allem, da sich die meisten aus dem Publikum gar nicht setzen wollten.

      «A Place to Bury Strangers» begannen zu spielen und verliehen dem ehemaligen Kinosaal eine nostalgische Atmosphäre, welche die schwarz gekleideten Gemüter erfreut zurückliess.

      6

      Als das mit dem Display letzten Schreis ausgestattete Handy mit einem kirchlichen Liedchen klingelte, hielt es sich Prior Hans-Peter zu Klostern Sankt Gallen mit stolzer Miene ans parfümierte Ohr.

      «Priorat?», intonierte er mit Fistelstimme.

      «Das würde ich mich auch fragen, Hans-Peter. Guten Abend.»

      «Jacques! Wie geht’s, wie steht’s? Ich hab’ ein neues Handy. Ich sage dir, einfach genial. Ich habe die ersten Seiten der Gebrauchsanweisung bereits studiert.»

      «Studiert. Aha. Hans-Peter. Etwas ganz anderes. Du kennst die Reliquie der ‹Purpurne Kranz der heiligen Rosen›?»

      «Klar, Jacques. Was ist damit?»

      «Ich weiss, wo sie ist. Und ich könnte sie besorgen.»

      «Was?!»

      «Hättest du Interesse?»

      «Natürlich, Jacques. Natürlich. Wow. Der ‹Purpurne Kranz der heiligen Rosen›. Ja. Ich hab’ da einen Bischof aus Deutschland zur Hand. Ein leidenschaftlicher Sammler.»

      «Gut, Hans-Peter. Ich komme morgen bei dir vorbei, um die Konditionen zu besprechen. Sagen wir, zwei Uhr nachmittags?»

      «Gut. Ich erwarte dich. Bis dann, Jacques.»

      «Bis dann, Hans-Peter.»

      7

      Um dreizehn Uhr fünfundfünfzig suchte Pfarrer Jacques mit seinem grossen, weissen Camper, dem einzigen Fahrzeug, das er besass, verzweifelt einen Parkplatz im Klosterviertel der Stadt Sankt Gallen.

      Plötzlich klopfte jemand wild an seine Scheibe, ganz böse funkelnde Augen unter einer grünen Zipfelmütze.

      Jacques kurbelte das Fenster herunter, um sich nach dem Begehr der Person zu erkundigen.

      «Begehr?», schrie die Person aufgebracht. «Spinnst du eigentlich, du Trottel, mir einfach den Weg vor der Nase abzuschneiden? Ich hatte Vorfahrt, verflucht nochmal, auch wenn ich nur mit einem Fahrrad unterwegs bin.»

      «Es tut mir Leid. Das war keine Absicht. Ich such’ seit zehn Minuten nach einem Parkplatz.»

      «Du könntest auch weiter weg parkieren und ein bisschen laufen. Bewegung ist gesund, Herzchen.»

      Und die Velofahrerin radelte davon.

      «O.K., Hans-Peter», sprach Pfarrer Jacques zu sich selber, «ich werde mir jetzt einfach den einzigen reservierten Parkplatz eures Abtes schnappen, der hier schön leer auf den nächsten Frühling wartet. Euer Abt meidet Schnee und Eis, wo er kann. Das ist hinlänglich bekannt. Sein BMW und dein unmöglich teurer Lancia, Hans-Peter, stehen schön trocken auf zweien der vier gemieteten Plätze in der öffentlichen Tiefgarage am Brühltor.»

      Und Pfarrer Jacques stellte sein Monstrum direkt vor die grosse Pforte des kleinen Klosters, das irgendwo im heutigen Regierungsgebäude seinen Platz zurückerobert hatte.

      8

      Nachdem sich Amalia von diesem autofahrunfähigen Pfarrer etwas erholt hatte, klingelte sie bei Kuno an der Haustüre.

      Er wohnte schön praktisch mitten in der Altstadt zwischen der Sankt Laurenzen-Kirche und dem Broderbrunnen.

      Da das Gebäude aus früheren Jahrhunderten keine Gegensprechanlage besass, warf Kuno jeweils seinen Hausschlüssel aus dem Fenster, normalerweise zielsicher vor die Füsse seines Besuches, aber nicht immer.

      Diesmal landete der Schlüsselbund genau auf Amalias Fuss, beziehungsweise auf ihrem Winterwanderstiefel aus dem Transa.

      Kuno eilte ihr daraufhin die Treppe runter entgegen und wollte sich auch prompt um den Fuss kümmern.

      «Tut nicht weh, Kuno. Der Stiefel hat den Flug abgebremst», versicherte sie ihm, doch Kuno liess sich nicht abhalten.

      In dem Unterfangen, mitten auf den schmalen Stufen Amalias Fuss in die Finger zu kriegen, verfingen sich Kunos Hände in ihrem Mantel und krabbelten schliesslich Amalias Beine rauf und runter.

      «Kuno, suchst du etwas Bestimmtes?»

      «Nein», erhob sich der selbsternannte Doktor und hatte eine knallrote Farbe angenommen. Er drehte sich um und lief voran in seine Wohnung, in der bereits Berian auf dem Sofa sass, in einem Kunstheftchen blätterte und gleichzeitig ins Handy kreischte.

      «Salmian kommt auch noch vorbei. Hallo Amalia», verkündete Berian.

      «Hallo Berian. Sag mal», flüsterte sie ihm ins Ohr, während Kuno in die Küche verschwand, um ein paar Bier aus dem Kühlschrank zu fischen. «Was ist denn mit Kuno los?