Denise Remisberger

Der auferstandene Rosenkranz


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abgeschworen.»

      «Also wirklich, Amalia, wie kannst du einen solchen Unsinn erzählen.»

      «Nein, das meine ich ernst. Ich habe überhaupt keine Lust, mich mit wem auch immer einzulassen.»

      «Gefällt er dir denn?»

      «Ja, schon. Ein bisschen wortkarg ist er halt. Aber er sieht umwerfend aus und dann ist da diese erotische Ausstrahlung, die er in die Welt verteilt.»

      «Willst du damit sagen, dass er gar nicht merkt, was er auslöst?»

      «Oh doch! Der weiss ganz genau, was er tut. Er amüsiert sich köstlich, wenn die Frauen verlegen werden. Das habe ich mehrfach beobachtet.»

      «Dann meint er es wohl auch nie ernst.»

      «Nein, vor dem bin ich wahrscheinlich sicher.»

      9

      «Da bist du ja endlich, Jacques», rieb sich Prior Hans-Peter die Hände und hüpfte freudig erregt von einem Fuss auf den anderen. «Mein Abnehmer ist sehr interessiert an dem heiligen Rosenkranz. Sehr interessiert.»

      «Gut. Dann wird es ihn wohl auch nicht reuen, dich und somit auch mich gut für den zu erweisenden Dienst zu bezahlen. Schliesslich muss ich den heiligen Rosenkranz nicht nur aus der Erde buddeln, sondern auch noch einem geweihten Sarg entnehmen. Und in dem Sarg liegt jemand drin.»

      «Ja, ja, Jacques. Das macht dir als Reformiertem bestimmt nichts aus. Dafür bist du zu wenig abergläubisch.»

      «Um das geht’s nicht, nein. Aber es ist nicht ganz legal. Einfach ohne behördliche Genehmigung eine Leiche auszugraben, meine ich.»

      «Die lässt du doch drin liegen, Jacques, im Sarg. Du hebst ihn nur ein bisschen an, holst dir das kleine Kettchen heraus und schliesst die ganze Angelegenheit wieder, als wäre nichts gewesen. Ganz harmlos. Schliesslich rettest du nur einen Kultgegenstand vor dem Zerfall. In der Archäologie tun sie auch nichts anderes.»

      «Trotzdem, Hans-Peter. Das Risiko ist da. Fünfzigtausend.»

      «Wie bitte?»

      «Die Wirtschaftskrise, Hans-Peter, die macht auch vor heiligen Sachen keinen Halt.»

      «Dreissigtausend, Jacques.»

      «Hans-Peter, also wirklich. Das wäre definitiv zu wenig. Fünfundvierzigtausend.»

      «Vierzigtausend.»

      «Dreiundvierzig.»

      «Also gut. Die Zahl ist ja lächerlich.»

      «Dann machen wir also fünfzigtausend?»

      «Nein! Dreiundvierzigtausend, Jacques.»

      «Gut . Dreiundvierzigtausend, Hans-Peter.»

      10

      Im Schwarzen Engel war schon recht viel los um zwanzig Uhr.

      Amalia, Berian, Kuno und Salmian stellten sich an die Bar, bestellten Bier und Kaffee und sprachen über Musik.

      «Seit einer Woche höre ich ununterbrochen die CD ‹Backstreets of Desire› von Willy DeVille. Ich kann nichts anderes mehr reinlassen», berichtete Salmian und legte eine Hand auf sein Herz.

      «Ja, ja, der hat es mir auch schon mal angetan», lachte Amalia. «Konnte nicht mehr aufhören damit. Im Moment habe ich eine Schlager-Revival-Phase. Die Disco- und Hitparade-Sendungen aus den Siebzigerjahren laufen wieder im Fernsehen. Ihr wisst schon, mit Ilja Richter und Dieter Thomas Heck.»

      «Ach ja, die hab ich seinerzeit auch regelmässig geguckt», grinste Berian.

      «Ich nicht», meinte Kuno.

      «Du bist auch fünf Jahre jünger als wir drei, Kuno, das macht den Unterschied aus», stellte Salmian sachlich fest.

      «Spielt euch nur auf, ihr Welterfahrenen.»

      «Ach, deine Erfahrungen machst du schon noch», spottete Amalia und zwinkerte Kuno zu.

      Der lief wieder mal rot an und sagte eine ganze Weile lang nichts mehr.

      11

      Frau Melchior und Frau Sandmann standen, zum Aufbruch gerüstet mit schicken Gehstöcken, fein karierten Jackenkleidern, hübschen Broschen und zierlichen Hüten, am Hauptbahnhof Zürich und warteten auf den Zug nach Sankt Gallen.

      Nachdem sie äusserst behutsam eingestiegen waren und sich am Fenster drapiert hatten, setzte sich das moderne Gefährt fast tonlos in Bewegung.

      Die Strecke Zürich – Sankt Gallen war nun wirklich nicht die schönste mit all den hässlichen Industriegebäuden, was die Damen dazu animierte, in den mitgebrachten Heften über Gesundheit und Krankenkassen zu lesen.

      «Was für ein Geheuchel. Die behaupten hier tatsächlich, die Prämien seien gleich bleibend. Dabei sind sie eben erst angestiegen. So eine Unverfrorenheit», schimpfte Hedwig Sandmann.

      «Das sagen sie jedes Jahr von Neuem. Und jedes Jahr wird es teurer», bekräftigte Line Melchior.

      In Sankt Gallen angekommen, stiegen die beiden Ausflüglerinnen in den Bus nach Sankt Georgen um und spazierten dann zum Friedhof, auf dem die Schwester von Line, Gerlinde Steiner, begraben lag.

      Als sie vor dem Grab angekommen waren, heulte Line plötzlich los: «Hier hätte Gerlinde nie ruhen wollen. Diese Ecke ist feucht. Die völlig falsche Seite.»

      «Line! Wir haben Januar. Kein Wunder, dass es hier feucht ist. Auch wenn heute ein ausgesprochen schöner frühlingshafter Tag ist mit einem völlig schneefreien Boden.»

      «Hier liegt sie trotzdem falsch!», blieb Line stur und trocknete sich die Tränen mit einem bestickten Stofftaschentüchlein.

      «Sollen wir sie vielleicht umgraben?», scherzte Hedwig, ohne zu ahnen, was sie damit für ein Durcheinander auslöste.

      «Genau, Hedwig, das machen wir. Los, gehen wir wieder runter in die Stadt und besorgen uns eine Schaufel, ein Stemmeisen und zwei Taschenlampen.»

      «Handschuhe haben wir.»

      «Handschuhe?»

      «Wegen der Fingerabdrücke.»

      «Das ist meine Schwester. Die kann ich aus- und wieder eingraben, so oft ich will.»

      «Das bezweifle ich ernsthaft.»

      Im Do-It-Yourself fanden die beiden Grabschänderinnen sofort eine Schaufel und zwei Taschenlampen.

      «Junger Mann», orderte Hedwig Sandmann einen Verkäufer zu sich, «wo befinden sich die Stemmeisen?»

      «Wofür brauchen Sie denn die?»

      «Geht Sie nix an! Also?»

      «Hier.» Der eingeschüchterte Verkäufer holte ein kleines Stück Eisen aus einem der Regale hervor.

      «Dieses winzige Ding?»

      «Grössere haben wir leider nicht. Und noch schwerere auch nicht», fügte der Verkäufer viel sagend hinzu.

      «Na gut. Geben wir uns halt mit dieser Attrappe zufrieden», murrte Hedwig Sandmann.

      Zurück auf dem Friedhof, kurz nachdem es dunkel geworden war, räumten die beiden Täterinnen zuallererst sorgfältig die Blumengestecke weg und gruben dann vorsichtig die kürzlich in die Erde gepflanzte immergrüne Schneeheide wieder aus.

      Dann schaufelten sie die Erde über dem Sarg auf einen Haufen neben das Grab.

      «Ein tieferes Loch für diesen Sarg hätten sie nicht buddeln können. Du meine Güte! Endlich», seufzte Hedwig, als ihre Schaufel auf Holz traf.

      Sie kniete selbst in der freigelegten Öffnung, direkt