Ben Leo

Schattenhunger


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dass niemand im Raum war. Bajo schritt langsam an dem schönen Mobiliar vorbei und entdeckte zahlreiche Kunstgegenstände und Vasen, die ganz eindeutig von Meisterhand gefertigt worden waren.

      Als plötzlich Stimmen an einer anderen Tür laut wurden, machte sich Bajo fast in die Hose. Geistesgegenwärtig sprang er hinter einen großen Vorhang neben einer Flügeltür, welche zum Balkon führte. Er versuchte noch, den schwankenden Vorhang festzuhalten, als schon einige Männer in die kleine Halle schritten. „Nun, wir können mit der Lieferung nicht länger warten, der Winter naht und dann geht es nicht mehr über die Hochebene“, sagte eine Stimme. „Und wenn…“ „Moment…“, sagte eine andere Stimme und Bajo hörte, wie jemand in die Richtung ging, aus der er gekommen war. Die Tür, durch die er geschlüpft war, wurde geschlossen und dieser jemand sprach leise: „Wir müssen vorsichtig sein, der Palast hat Augen und Ohren…“, als er wieder bei dem anderen war.

      „Wäre ich doch nur vorher zum Pissoir gegangen“, dachte sich Bajo, denn die Angst drückte auf seine Blase. Seine Muskeln waren kurz vorm Krampfen, so angespannt und steif stand er da hinter dem Vorhang und nur sehr langsam wurde er etwas lockerer. Drei Stimmen konnte er nun unterscheiden. Sie unterhielten sich angeregt über Produktionen, Lieferungen und Zahlungen und immer wieder mahnten sie sich gegenseitig zur Verschwiegenheit. Bajo bemerkte erst jetzt, dass der Vorhang, hinter dem er stand, aus zwei Teilen bestand. Seine Neugier erlangte der Angst gegenüber nun wieder etwas Oberhand und er hob langsam den Arm. Ganz sachte schob er einen Finger in Höhe seines Gesichtes zwischen die beiden Teile des Vorhangs. Es tat sich ein kleiner Schlitz auf, gerade breit genug, um etwas im Raum erkennen zu können. Hinter einem Kanapee, welches etwa zwei Meter entfernt mit dem Rückteil zu Bajo gerichtet stand, konnte er zwei Köpfe sehen. Es waren der Schatzmeister Goldmund und ‚Die Kröte‘, der Reichsverwalter, und sie sprachen mit jemandem links von sich. Da sie in ihre Unterhaltung vertieft waren, fühlte Bajo sich etwas sicherer und schob seinen Finger noch etwas tiefer zwischen die Vorhänge und neigte den Kopf ein wenig, um den Dritten zu erkennen. Es war Baron Grohling mit einer groben durchdringenden und fordernden Stimme. Bajo lehnte den Kopf wieder ein Stückchen zurück, da durchfuhr ihn ein Schock und ein Tropfen ging ihm in die Hose, denn es saß rechts vom Kanapee noch ein weiterer und der schien ihn anzustarren! Bajo dachte einen kurzen Moment daran, einfach loszulaufen, doch selbst wenn er es hätte tun wollen, er konnte gar nicht, denn sein Körper war wie gelähmt. Einige Sekunden vergingen so in dieser Schockstarre, bis er merkte, dass der Mann nicht auf ihn, sondern ins Leere starrte. Die Anspannung ließ etwas nach und Bajo konnte wieder normal denken. Aber wer war der vierte Mann? Er hatte die ganze Zeit nichts gesagt.

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      „Wie siehst du die Sache, Delminor?“, fragte Silirius Goldmund. „Sollen wir das Ganze auf das Frühjahr verschieben?“ „Delminor, ein sonderbarer Name, aber passend für diesen sonderbaren Mann“, dachte sich Bajo. „Die ausgemachte Zahlung in Gold und Edelsteinen hat auch nächstes Jahr noch Bestand. Aber ich kann euch nicht garantieren, dass auch das Khirad dann noch zur Verfügung steht. Das Zeug ist sehr begehrt und ich bezweifle, dass ich die Ladung einen ganzen Winter für euch zurückhalten kann“, entgegnete dieser Delminor. „Macht euren Arbeitern mehr Druck und setzt heimlich Sklaven ein, dann werdet ihr es noch schaffen. Aber ich brauche eure Entscheidung, denn ich muss noch heute wieder abreisen.“

      Delminors Stimme war noch sonderbarer als seine Erscheinung. Sie war einnehmend und interessant, doch Bajo spürte in ihr auch etwas Unheilvolles, nicht nur, weil er von Sklaven und Khirad sprach. Die Sklaverei war schon vor einiger Zeit in Großmittenland abgeschafft worden. Offiziell jedenfalls. Was die armen Arbeiter in den Bergwerken, Eisenhütten und Waffenschmieden in Erzingen betraf, so konnte Bajo allerdings kaum einen Unterschied erkennen.

      „Nun Grohling, ich kenne einen Schleuser am Eronsee. Der kann mir Sklaven aus Marabia besorgen, die würde ich dir über den Fluss schicken“, sagte die ‚Kröte‘. „Die Kähne brauchen flussaufwärts zu lange“, entgegnete Grohling. „Und sie müssten an Kontoria vorbei, die Gefahr entdeckt zu werden, ist zu groß! Sorgt ihr lieber dafür, dass die umgebauten Getreidekarren zu uns kommen, dann können wir schon die erste Fuhre fertigmachen. Und du, Silirius, musst dem König noch etwas Gold abschwatzen. Sag ihm, das wäre für die Arbeiter, sie würden sonst nicht den kommenden Winter überleben. Mit dem Gold kann ich einen Stammesfürsten der Waldmänner an der Grenze zu Concorsien bezahlen. Er hat mir erst vor kurzem etwa 30 gefangene Holzhirten aus den Wäldern von Nham als Sklaven angeboten. Ich denke, die sind noch zu haben.“ „Viel kann ich dir nicht geben“, krächzte Silirius. „Die Kasse ist leer, der König hat ein zu großes Herz für das Volk!“ „Ich glaube eher, du hast eine zu große Hand, die du nebenbei aufhältst!“, warf die ‚Kröte‘ ein und alle lachten hämisch und aus vollem Hals. „Psssst“, zischte Delminor, selbst noch lachend. „Seid auf der Hut! Dieses Geschäft ist für uns alle sehr wichtig. Wir dürfen nichts auf Spiel setzen!“ „Also gut, die Sache ist abgemacht“, führte Grohling fort. „Die erste Fuhre geht in einem Monat los. In zwei Monaten haben wir mit Hilfe der Sklaven die zweite Lieferung fertig. Das sind dann die ‚neuen Geräte‘. Und du, Delminor, sorgst für die Zahlung am Übergabepunkt. Der letzte Tross nimmt dann das Khirad mit zurück.“ „Gut, beschlossene Sache! Ein lukratives Geschäft für uns alle!“, beendete Delminor die Unterhaltung. So plötzlich wie die Männer aufgetaucht waren, verschwanden sie nun auch wieder. Mit dem Klappen der Tür fiel auch Bajo unter einem leisen Seufzer die Anspannung aus dem Gesicht und gleich darauf entspannte sich sein Körper gänzlich, denn der andere Druck, der ihn plagte, lief plätschernd in eine Bodenvase…

      Bajo schlich sich auf demselben Weg, auf dem er gekommen war, zurück zu der noch größer gewordenen Schlange vor den Latrinen. Die Wachen hatten wohl auch heimlich etwas getrunken, denn sie unterhielten sich noch lebhafter mit den wartenden Gästen als vorher. Keiner von seiner Gruppe hat Bajo vermisst und so mischte er sich wieder unter das Volk und verdrängte die gerade erlebte Sache erst einmal. Nach einem Stück leckerer Torte und einer kleinen Schale Himbeerpudding machte sich Bajo auf, die erste Kutsche in Richtung Stadt zu nehmen. Es war früher Nachmittag, er hatte noch keine Lust, nach Hause zu gehen und fuhr deshalb den ganzen Weg mit zurück zum Hauptkontor. Um keinem, den er kannte, zu begegnen, nahm er einen kleinen Umweg in Richtung Fähre. Sein Ziel war ein hohler Baum an der Uferböschung, unweit des Anlegers. Er hatte diesen Platz schon vor vielen Jahren gefunden und suchte ihn immer auf, wenn er alleine sein wollte. Mit Brettern und Stroh hatte er sich ein gemütliches kleines Nest gebaut, welches in dem Baum auch vor Regen geschützt war. Von hier aus konnte Bajo immer wunderbar die Schiffe auf dem Fluss beobachten oder auch in Ruhe über sein bescheidenes Leben nachdenken.

      „Boah, was war denn das!“, rief er sich selbst zu und sank in sein Nest. „Da will man nur mal was Neues entdecken und dann plötzlich so ein Abenteuer!“ Für Bajos tristes Leben war das wirklich ein ungeheuerliches Erlebnis! Während er sich immer wieder vor Augen hielt, was da passiert war, wippte er aufgeregt hin und her. „Mann, so einen Schiss hatte ich ja noch nie im Leben! Und so einen Druck auf der Blase wohl auch nicht!“, kicherte er in sich hinein. „Und wenn die Vase anfängt zu stinken, na dann ist aber was los. Der arme Diener, der das ausbaden muss.“

      Aber als er sich nochmal die Amtsträger, den Baron und diesen komischen Delminor vor Augen führte, wurde ihm ganz mulmig zu Mute. Was hatte das bloß alles zu bedeuten? Was waren das für heimliche Geschäfte? Und dieses Khirad, davon hatte er schon gehört. Das war so ein neues Zeug zum Kauen. Sollte wohl aus Talikien, dem abgeschiedenen Nordteil von Likien, kommen und einem einen Wahnsinnsrausch bescheren. Viel, viel stärker als das Hennefkraut. Aber damit hatte Bajo sowieso nichts mehr am Hut. Er überlegte kurz, die Geschehnisse Tante Nele zu erzählen, verwarf das aber gleich wieder. „Davon sollte niemand etwas wissen, diese Männer sind mir nicht geheuer!“, ermahnte er sich selbst. “Und was sollte ich auch schon tun? So ein kleiner Popel wie ich, ist sowieso machtlos!“

      1.2 Verzweiflung

      Die Vorkommnisse im Palast hatten Bajos schlechte Gedanken für ein paar Tage etwas vertrieben. Und wie es bei ihm immer so war, fühlte er sich mal einigermaßen gut, dann musste er gleich wieder