„Von wem?“
„Von einem Büro in der Nähe vom Bahnhof Zoo“, antwortete Katrin.
„Und wer führt seit unserem Unternehmensstart die Buchhaltung?“, fragte ich etwas nervös.
„Du kannst beruhigt sein“, meinte Jan. „Katrin und ich kriegen das hin, bis wir einen Steuerberater haben.“
„Nun, es zieht eure Arbeitskraft an anderen wichtigen Baustellen ab. Wir sind hier immerhin noch im Aufbau. Es ist allemal besser, wenn wir die steuerlichen Angelegenheiten den Fachleuten überlassen. Schließlich wachsen wir schon bald in größere Zusammenhänge hinein. Und nach meiner Erfahrung verliert man schnell den betriebswirtschaftlichen Überblick und die Dinge werden unübersichtlich.“
„Misstraust du uns?“, fragte Katrin.
„Auf keinen Fall“, versicherte ich, aber genau ihre Frage gab mir Anlass, ab nun sehr vorsichtig zu sein und darauf zu bestehen, dass bald ein Steuerberater gefunden würde. Im Falle eines Falles würde ich mich halt selbst von Westdeutschland aus telefonisch auf die Suche machen. Was konnte daran so schwierig sein?
Ein schöner Ort – zum Verlieben
Irland, nahe Honeybridge. Am selben Tag überlegte John, ob er den anderen Gästen in diesem urigen Pub einen Drink spendieren sollte. Das jedenfalls würde jetzt in einem Film geschehen. Aber das Leben war kein Film. Vielleicht würde er diese Männer damit vor den Kopf stoßen. Also schenkte er ihnen sein breites, einnehmendes Lächeln und versprach bald wiederzukommen.
„Die Suppe war lecker; war viel Huhn drin“, sagte er. Er hätte dem Wirt kein größeres Kompliment machen können.
„Das Huhn ist gestern noch hinterm Haus im Garten auf Körnersuche gewesen“, erklärte er stolz.
Als John gegangen war, sagte der Rotgesichtige: „Ich hätte wetten können, dass ich ihn hier schon einmal gesehen habe.“
„Gut, dass wir hier noch immer kein Wettbüro haben“, lachte der Wirt und schlug ihm kumpelhaft auf die Schulter.
Der lange Spaziergang wirkte wahre Wunder gegen Johns Jetlag, und in dieser Nacht hatte er einen ausgesprochen erholsamen Schlaf. Zwar wurde er bereits um halb Sieben wach, aber er blieb noch eine Weile im Bett und lauschte dem Geräusch der Wellen und des Windes. Dieses Mal keimten keine Gedanken an Svea auf, vielmehr schlich sich unerwartet ein Gesicht zwischen Wellen und Wind. Es war das Gesicht von Mara.
Draußen wurde es allmählich ungemütlich, denn der Wind wurde heftiger und schlug gegen die Fenster. Als John eine halbe Stunde später aufstand, starrten ihn die Wellen dunkel und drohend an. Beim Breakfast gab Mrs. Ferry bekannt, dass im Radio vor Unwettern gewarnt worden war. John hatte sich zwar überlegt, am Strand entlang die Strecke mit den kleinen, felsigen Buchten auszuprobieren, aber angesichts der Warnung verschob er nun sein Vorhaben.
Die anderen Gäste gingen auf ihre Zimmer oder zogen bereits los, da saß John noch immer bei seiner Tasse Kaffee und überlegte, was er mit dem Tag anfangen sollte. Als der letzte Gast gegangen war, lächelte er Fiona Ferry zu und forderte sie mit einer Geste auf, neben ihm Platz zu nehmen. „Ich habe gehört, Sie haben eine Weile in New York gelebt.“
Wollte er sich anfangs bedeckt halten, um nicht erkannt zu werden, so freute er sich inzwischen auf ihre Unterhaltung. Es hatte etwas Befreiendes an sich, ein normales Gespräch mit Menschen führen zu können, die nicht mit den Worten »Publicity«, »Termin- und Zeit-Management«, mit eingeübten Interview-Statements und Selbst-Marketing-Strategien um sich warfen. Denen es ausschließlich um Fragen der körperlichen Schönheit, der chirurgischen Restaurierung ihrer Hautfalten und der Entfernung ihres Bauchfetts ging. Und das Schönste war, dass diese Menschen hier keine Ahnung von seinem anderen Leben hatten und keine dieser üblichen lästigen Fragen stellten.
Fiona Ferry und John erzählten sich einiges, was sie beide mit New York verband. Aber das war es auch schon. John sah, wie Mara die Teller abräumte. Er sagte zu Fiona: „Schön, dass Sie Familie haben, die Ihnen hier zur Hand geht.“
„Ja, meine Nichte hatte zwar erst andere Pläne, aber die haben sich zerschlagen. Deshalb glaube ich, dass Mara ganz gern hier ist. Zumindest für eine Weile.“
Mrs. Ferry machte nach außen hin immer einen ausgeglichenen Eindruck. Sie schien es nie besonders eilig zu haben. Doch an diesem Morgen war es anders. Sie wirkte ein wenig gestresst.
„Halte ich Sie von etwas ab, Mrs. Ferry?“
„Sorry, John, aber heute bin ich mit meinen Gedanken wirklich woanders. Mein Wagen ist liegen geblieben, und die Werkstatt kann sich erst heute Abend darum kümmern. Roger, unser Manager, muss mit seinen Kids zum Arzt wegen eines Impftermins. Aber Mara und ich, wir müssten zum Einkaufen fahren. Und jetzt überlege ich, wie wir das am besten hinkriegen.“
„Kein Problem für mich, ich könnte Sie doch fahren“, schlug er spontan vor.
„Nein, das kann ich nicht annehmen. Sie machen hier schließlich Urlaub und sind nicht im Arbeitseinsatz.“
Mara stand in der Nähe und bekam das Gespräch mit. „Wieso nicht, Fiona. John macht das sicher nichts aus. Und es ist doch nur eine Viertelstunde Fahrzeit. Ich lasse mich von ihm absetzen und sehe zu, dass mich irgendjemand wieder zurückfährt.“
Damit war alles eingetütet.
Fröhlich plaudernd fuhren die beiden in den Ort. Mara war eine hübsche junge Frau Mitte Zwanzig, mit der man sich gut unterhalten konnte.
„Es war nicht korrekt von mir, Sie gewissermaßen in Ihrem Urlaub dazu zu nötigen, aber ich habe den Eindruck, dass Fiona im Moment arg strapaziert ist. Alles ist neu. Die monatelange Vorbereitung – und jetzt der Ernstfall.“
„Es läuft doch gut“, meinte John. „Die Gäste machen alle einen sehr zufriedenen Eindruck. Und was mich betrifft, so helfe ich Ihnen doch gerne. Ich freue mich, dass ich Sie beide kennen lernen durfte.“
„Das beruht wohl auf Gegenseitigkeit“, sagte Mara. „Nun entlasse ich Sie in die irische Freiheit und gehe einkaufen. Die Rückfahrt bekomme ich hin. Irgendjemand fährt schon nach Honeybridge zurück.“
„Ich gehe aber gerne einkaufen und würde mich freuen, Sie begleiten zu dürfen“, bot John an.
Er beobachtete mit Interesse, mit welchem Geschick Mara mit dem Gemüsehändler, dem Metzger, Käsehändler und Bäcker feilschte. Als alles bezahlt und eingepackt war, traten sie aus der Markthalle hinaus in die verregnete Kälte.
Mara war ihm sehr dankbar. „Ohne Sie wäre ich aufgeschmissen gewesen. Tausend Dank! Genießen Sie noch Ihren Tag.“ Sie ging auf eine Telefonzelle zu.
„Wohin gehen Sie?“, fragte John, „mein Auto steht dort hinten“, und er zeigte in die entgegengesetzte Richtung.
„Ich rufe einen früheren Nachbarn an, der hier wohnt, und werde ihn bitten mich zurück zu fahren.“
„Das kommt nicht in Frage“, sagte John entschieden. „Ich fahre Sie zurück. Wenn ich aber ehrlich bin, so könnte ich nach unserem Einkaufsbummel schon wieder eine Tasse Kaffee vertragen“, gestand er.
Sie schaute ihn lächelnd an. „Na gut, Sie haben gewonnen. Gehen wir dort drüben in das Café.“
„Lassen Sie uns erst die Einkäufe ins Auto bringen“, meinte John. „Dort bleiben sie kühl, und dann gehen wir für eine Viertelstunde auf einen Kaffee ins Warme.“
Im Café setzten sie ihre Unterhaltung fort. Mara erzählte, dass sie fast einmal nach New York geflogen wäre, um ihren Onkel und Fiona zu besuchen, aber dann hatte sich leider dieser schreckliche Unfall ereignet, bei dem ihr Onkel ums Leben gekommen war. Sie erzählte von ihrer Ausbildung im schönen und friedlichen Dublin, von ihren Verwandten im nordirischen Belfast, wo immer noch Gewalt das zivile Leben bestimme und erst vor Kurzem ein IRA-Anschlag und die britische Reaktion darauf zwölf Tote gefordert