Sieglinde Breitschwerdt

Ein Flaschengeist in Wanne-Eickel


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      „Die armen Mäuse! Das bisschen, was die fressen!"

      „Das stimmt, trotzdem nagen sie alles an, und außer-dem können sie Krankheiten übertragen", murmelte Tante Eulalia ungeduldig und fügte nachdenklich hinzu: „Allerdings ist mir schleierhaft, wie sie die Marmeladen- und Gurkengläser aufbekommen!"

      Fabian hielt beide Zeigefinger über seinen Kopf und meinte kichernd: „Vielleicht sind das Außerirdische?"

      Lachend schüttelte Tante Eulalia den Kopf: „Was du dir immer ausdenkst! Das kommt sicher vom vielen Fernsehen. Jetzt hilf mir mal, den Tisch abzuräumen!"

      Fabian hatte einfach schlechte Laune. Der ganze Tag war schiefgelaufen. Zuerst 'ne vier in Mathe, obwohl das sein Lieblingsfach war, dann die Eltern ab heute für lange Zeit weg, und im Fernsehen gab's auch nichts Spannendes. Zum Lesen hatte er keine Lust, und so beschloss er, ins Bett zu gehen, obwohl morgen Sonntag war. Im Bett wälzte er sich hin und her, knuffte das Kissen unter seinem Kopf zusammen, aber es half nichts! Er konnte einfach nicht einschlafen. Immer wieder dachte er an seine Eltern, auf die er eigentlich sehr stolz war. Nicht jeder hatte so berühmte Eltern. Trotzdem beneidete er seine Freunde, die in einer ganz normalen und nervigen Familie aufwuchsen.

      Irgendwann stand er auf, setzte sich an den Computer und lud sein Lieblingsspiel. Grimmig versuchte er, den alten Punktestand zu knacken. Das war schwierig, denn ständig schwirrte eine Fliege um ihn herum und störte ihn gewaltig. Als er nach ihr schlug, flüchtete sie nach einem eleganten Looping durchs Schlüsselloch. Fabian stutzte. So etwas hatte er noch nie gesehen. Nach einiger Zeit bekam er Hunger. Ihm fielen die schönen Pfannkuchen in der Speisekammer ein, die sogar kalt noch sehr lecker schmeckten.Er schlich durch den Flur. Vor dem Zimmer seiner Tante blieb er kurz stehen, lauschte und grinste. Die alte Dame schnarchte wie eine Kettensäge, ein Zeichen, dass sie tief und fest schlief.

      Luzimops, der Kater, lag auf der Kommode im Flur und döste. Gelangweilt öffnete er ein Auge und beobachtete Fabian, der in Richtung Küche ging. Schnell hüpfte er von der Kommode und heftete sich neugierig an Fabians Fersen. Ein Extraleckerchen wollte er sich keinesfalls entgehen lassen.

      Leise öffnete der Junge die Küchentür und erschrak. Da schmatzte jemand! Erschrocken hielt er die Luft an. Es war ganz eindeutig! Das Schmatzen kam aus der Speisekammer, gleich nebenan! Er hatte noch nie Mäuse schmatzen hören. Ihm fiel die Mausefalle ein, die seine Tante heute Abend aufgestellt hatte. Er nahm sich vor, die Mäuse einzufangen und sie draußen im Garten wieder freizulassen.

      „Oho, auuuaaa!"

      Ein gellender Schrei kam aus der Speisekammer, gefolgt von einem lauten Klirren. Fabian wurde angst und bange, und sein Herz klopfte bis zum Hals. Hatte da nicht jemand Aua gerufen? Er schluckte und fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. Bestimmt hatte er sich verhört. Einbrecher in der Speisekammer? Seit wann klauten die Kartoffeln, Marmeladen- und Gurkengläser statt Schmuck und Silberbesteck?

      Mit klopfendem Herzen drückte er die Türklinke herunter. Gleißendes Licht flutete in den kleinen Raum. Ungläubig riss er die Augen auf. Sah er Gespenster? In dem kleinen Drahtkäfig stand ein kleines blaues Männchen und bibberte am ganzen Körper. Sein Westchen war ganz und gar mit Erdbeermarmelade verschmiert.Fauchend stürzte sich Luzimops zu dem Käfig.

      In letzter Sekunde packte Fabian den Kater im Genick und beförderte ihn in den Flur. Luzimops fauchte empört und kratzte an der Küchentür.

      Fabian kniete sich hin und befreite das blaue, bibbernde Kerlchen aus dem Käfig. Neugierig sah er es sich genauer an. Der kleine Wicht hockte auf seiner Hand zwischen Daumen und Zeigefinger.

      Verlegen baumelte er mit den kleinen Füßchen, verschränkte seine Ärmchen vor der Brust und verbeugte sich.

      „Oh, mein mistiger Großer, ich meine, mein großer Meister! Ich bin der Dshinni Tanball, dein Diener!"

      „Was?" Fabian lachte glucksend. “Du... du bist mein Diener? Warum?"

      „Du hast mich gerettet, und deshalb muss ich dir zu Diensten sein!"

      Demütig senkte er das Köpfchen und wisperte: „Ein uraltes Flaschengeistergesetz!"

      Nur langsam begriff Fabian, was da auf seiner Hand hockte. Vor Aufregung wurde sein Mund ganz trocken, und er fragte mit krächzender Stimme: „Willst du damit sagen, dass du ein Flaschengeist bist? So... so... wie der Dshinni aus Aladin?"

      In diesem Moment sprang die Küchentür auf. Tante Eulalia rauschte mit Luzimops im Schlepptau herein.

      „Fabian, was ist hier los?", rief sie streng. „Warum machst du so einen Krach..."

      Mitten im Satz verstummte sie. Entgeistert starrte sie auf das blaue Etwas, das auf der Hand ihres Neffen hockte.

      „Wa... wa... was ist denn das?"

      Fauchend sprang Luzimops auf den Küchentisch. Aufgebracht drosch er mit seiner Tatze nach diesem mausegroßen Etwas.

      „Hihihilfe!", kreischte der kleine Wicht und schwebte auf Fabians Schulter.

      Bibbernd versteckte er sich hinter dessen rechtem Ohr.

      „Luzimops! Geh sofort vom Tisch runter!", herrschte Tante Eulalia ihn an und verpasste dem Kater einen kleinen Klaps. Der Kater erschr ak dermaßen, dass er auf den Küchenboden plumpste. Beleidigt stellte er seinen Schwanz in die Höhe, ließ ihn ein paar Mal zucken und stolzierte hinaus.

      Vorsichtig näherte sich die Tante ihrem Neffen.

      „Darf ich vorstellen?“, fragte Fabian grinsend. “Das ist Tanball, der Flaschengeist, und das ist meine Tante Eulalia Mehlmann!"

      Ärgerlich runzelte die alte Dame die Stirn.

      „So, so, ein Flaschengeist? Aha!? Und wo ist die Flasche?"

      „Aber Tante, du weißt doch, Papa und ich haben diese komische Flasche geangelt! Und deshalb bin jetzt ich Tanballs Meister, stimmt's?"

      „Stimmt!", wisperte es hinter Fabians rechtem Ohr.

      „So ein Blödsinn!", regte sich die Tante auf. „Ich hab' noch nie gehört, dass es echte Flaschengeister gibt. Was will denn so ein Dingens hier in Wanne-Eickel?!"

      „Bitte, bitte", bettelte Tanball, „Tante des großen Meisters. Ich laste Ihnen auch nicht zur Falle, ich meine, ich falle Ihnen auch nicht zur Last. Ich brauche nur ein plätziges, friediges Winzchen für meine Flasche!"

      Tante Eulalia hatte sich wieder einigermaßen beruhigt. Prüfend sah sie sich um. Ein zerbrochenes Marme-ladenglas lag auf dem Boden. Ärgerlich sammelte sie die Scherben zusammen. Mit spitzen Fingern zog sie ein staubiges Ding aus dem Karton.

      „Ist das die Flasche?"

      „Ja, Tante des mistigen Großen!", säuselte es wieder hinter Fabians Ohr.

      Ich träume, dachte Eulalia Mehlmann, ging zur Spüle, ließ Wasser ein und griff nach Flaschenbürste und Spülmittel. Entsetzt segelte Tanball vor ihre Nase und jammerte: „Was machen Sie denn da?"

      „Ich mach' dat Ding erst mal sauber!", erwiderte sie ungerührt.

      „Aber das ist mein Zuhause!", heulte Tanball. "Ich wohne darin!"

      „Um so schlimmer", tadelte sie. Erbarmungslos und stocherte sie mit der Bürste in der Flasche herum.

      „Wenn bei uns schon ein Flaschengeist wohnt, dann nur in einer sauberen Flasche! Basta!"

      Ehe sich der Kleine versah, wurde er geschnappt. Mit dem feuchten Spüllappen wischte ihm Tante Eulalia die Erdbeermarmelade von Gesicht und Westchen. Zufrieden musterte sie ihn und setzte ihn auf den Toaster.

      „So! Flasche und Geist sind sauber!"

      Sie