Katharina Georgi-Hellriegel

L(i)eber Bruder


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in Ordnung, aber Ihre Leberwerte lassen ein wenig zu wünschen übrig!“

      Einigermaßen verblüfft ließ ich mir die Sache näher erklären und musste schließlich einsehen, dass es sich wohl nicht um den von mir zunächst vermuteten Messfehler handelte. Nicht nur eine Kennzahl tanzte aus der Reihe, nein, gleich mehrere Werte waren eindeutig zu hoch. Eine Katastrophe sei das nicht, beruhigte mich der Mediziner, aber zur Sicherheit und um die Sache abzuklären, sollte ich doch in den nächsten Tagen einen Internisten aufsuchen, und er gab mir eine Adresse.

      Eine Woche später musste ich dort in aller Frühe antreten, eigentlich noch immer guten Mutes, weil ich mich ja nach wie vor alles andere als krank fühlte. Etwa eine Stunde später, als ich die Praxis dieses übrigens bemerkenswert unfreundlichen Mannes wieder verlassen hatte, war mein persönliches Gesundheitsgefühl um eine weitere Stufe nach unten gerutscht, denn es hatte sich Folgendes ereignet:

      Nach einiger Wartezeit war ich von einer Helferin in einen Raum eingewiesen worden, der außer dem obligatorischen Computer lediglich eine Liege enthielt, auf der ich schon mal Platz nehmen sollte. Ich hatte mich gerade ausgestreckt, als der Arzt, ein vergleichsweise junger Mensch, grußlos hereinstürmte und mich barsch aufforderte, den Oberkörper frei zu machen. Dann hatte er auch schon eine Ultraschallsonde in der Hand und fuhr tastend damit auf meinem Bauch hin und her.

      „Ihre Leber sieht aber schon ziemlich alt aus“, brummte er schließlich geringschätzig vor sich hin, so dass ich mich sogleich in die Defensive gedrängt sah.

      „Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich auch nicht mehr der Jüngste bin“, entgegnete ich keck, aber er war nicht aufzuheitern. Stattdessen ließ er nach weiteren Suchbewegungen das hässliche Wort „Zirrhose“ fallen, und am Ende krönte er seine düsteren Ausführungen sogar noch damit, dass ich mich irgendwann einmal, ganz fern am Zukunftshorizont, mit dem Gedanken an eine neue Leber vertraut machen solle.

      Die wenigen Worte, die wir darüber hinaus noch wechselten, verbesserten die Situation nicht wesentlich, und als ich kurz darauf seine Praxis verließ, war ich erst einmal wie vor den Kopf gestoßen. Auf dem Nachhauseweg verglich ich das Unheil verkündende Urteil dieses Arztes mit den positiven und vitalen Signalen, die mir mein Körper nach wie vor zukommen ließ. Auf der Suche nach einem Ausweg besann ich mich dann auf die mit Sicherheit wahre Feststellung, dass auch Ärzte sich irren können, und ich nahm mir vor, so gut es ging, auf dieses Pferd zu setzen.

      Dabei war es durchaus eine Hilfe für mich, dass mir der ganze Kerl von Anfang an herzlich unsympathisch gewesen war, und von Antipathie zur Unglaubwürdigkeit, so fand ich, war es nur ein kleiner Schritt. Außerdem gelang es mir in den nächsten Tagen, medizinisch Gebildete in meinem weiteren Bekanntenkreis ausfindig zu machen, die die böse Zirrhose-Diagnose erfreulich relativierten und mich zudem in der Auffassung bestärkten, dass sich so etwas per Ultraschall nur mit großer Unsicherheit feststellen lasse.

      So gelang es mir, die nächste Zeit zwar nicht völlig sorglos, aber doch mit akzeptabler Lebensqualität zu verbringen. Als einziges Zugeständnis an den pessimistischen Internisten vereinbarte ich mit meinem Hausarzt, in Zukunft ein- bis zweimal pro Jahr meine Leberwerte bestimmen zu lassen, ganz nach dem Motto: „Wenn diese mit der Zeit deutlich ansteigen sollten, dann können wir uns ja immer noch Sorgen machen.“

      Sie stiegen nicht oder nur wenig an, und so verschwand die ganze Sache allmählich aus meinem Blickfeld, bis im Januar 2001 eine unangenehme körperliche Veränderung bei mir auftrat, die von nun an zwar mein Gesundheitsgefühl beeinträchtigte, in Zusammenhang mit dem Zustand meiner Leber brachte ich sie aber vorerst nicht.

      Es begann recht harmlos und zeigte sich zunächst eher als kosmetisches Problem. Seit einiger Zeit störte mich trotz maßvoller Ernährung ein deutlich hervortretender Bauch, der zwar mein Gesamtgewicht nicht allzu sehr in die Höhe trieb, von mir aber vor allem seiner merkwürdigen Form wegen als lästig empfunden wurde. Obwohl er nicht besonders groß war, unterbrach er spitz und unnatürlich meine ansonsten eher schlanke Figur und wurde von mir deshalb als Fremdkörper empfunden. Wenn auch meine Frau immer wieder betonte, dass so etwas in meinem Alter ganz normal sei und ich auch als leicht Deformierter weiterhin mit ihrem liebevollen Wohlwollen rechnen könne, so war und blieb ich doch unzufrieden damit.

      Natürlich hielt ich mich schon seit einiger Zeit mit dem Essen zurück, musste aber feststellen, dass dies meine Figur nur unwesentlich verbesserte. Deshalb entschied ich mich nach einiger Zeit dafür, nun endlich Nägel mit Köpfen zu machen. Weil mir die ständigen kleinen Portionen auf die Nerven gingen, beschloss ich jetzt, für ein paar Tage mit dem Essen ganz aufzuhören, um während dieser Zeit in Ruhe meinen Bauch beobachten zu können. Dies gelang mir ohne große Schwierigkeiten drei Tage lang, und tatsächlich zeigten sich danach erste Erfolge. Allerdings merkte ich kurze Zeit später, dass ich mir dafür etwas eingehandelt hatte, was mir nun auch wieder nicht recht war: Meine Verdauung nämlich kam nach dieser Fastenzeit nicht mehr so richtig in Gang.

      Zunächst fehlte tagelang der Stuhlgang völlig, und als er endlich doch wieder einsetzte, tat er das in Form eines kräftigen Durchfalls, der von nun an in wechselnder Intensität zu meinem ständigen Begleiter wurde. Dies galt nicht nur für die nächsten Wochen, sondern schien überhaupt nicht mehr aufhören zu wollen. Mit meiner Figur hatte ich nun keine Probleme mehr, aber das ständige Klo-Gerenne ging mir dafür umso mehr auf die Nerven, und außerdem verlor ich in jener Zeit nicht nur an Gewicht, sondern zunehmend auch an Energie und Kraft.

      Ich fühlte mich zwar nicht richtig krank und blieb auch weiterhin arbeitsfähig, aber sogar mir als erfolgreichem Verdränger wurde nach mehr als einem Monat klar, dass irgendetwas absolut nicht in Ordnung war. Also suchte ich von Neuem meinen Hausarzt auf, und diesmal konnte ich ihm von echten Beschwerden berichten.

      „Da müssen wir wohl mal gründlich Ihren Verdauungsapparat untersuchen“, war sein einleuchtender Kommentar, und sogleich entwarf er ein maßgeschneidertes und gründliches Untersuchungsszenario, welches nach einigem Vorgeplänkel in einer ausgewachsenen Darmspiegelung gipfeln sollte. Überrascht davon, dass meine Behandlungsbedürftigkeit nun gleich derart umfangreich geworden sein sollte, erbat ich mir einige Tage Bedenkzeit und beließ es vorläufig bei der obligatorischen Blutprobe.

      Als ich nach etwa einer Woche wieder auf dem Sprechzimmerstuhl saß, hatte ich Erfreuliches zu berichten: Mein Durchfall war nach mehr als zwei Monaten endlich zum Stillstand gekommen! Über die Ursache dieses verblüffenden Tatbestandes konnten wir beide nur rätseln, aber es war ja eigentlich auch egal. Bei positiven Überraschungen fragt man nicht lang nach Erklärungen, und so schieden wir in bestem Einvernehmen voneinander. Alle angekündigten Untersuchungen wurden abgeblasen, ich nahm lediglich noch die Ergebnisse der Blutentnahme mit nach Hause, deren Leberwerte im bisher bekannten Rahmen geblieben waren.

      Nun konnte ich endlich daran gehen, die Leistungsfähigkeit meines Körpers wieder auf den alten Stand zu bringen, und ich tat dies auf mancherlei Weise. Neben meiner Lieblingsdisziplin, dem Schwimmen, wurde nun auch wieder mit dem Fahrrad gefahren, und sogar zwei Hanteln kaufte ich mir in jener Zeit, um meinem etwas verfallenen Oberkörper etwas Gutes antun zu können.

      Die folgende Geschichte, die wenige Wochen später spielt und mit einem Schlag die eben geschilderte körperliche Aufbruchstimmung für lange Zeit zunichte machte, hat mit dem Fahrradfahren zu tun. Nachdem ich wieder damit angefangen hatte, betrieb ich es nicht nur tagsüber, sondern manchmal auch nachts, und deshalb geht es jetzt um die Nacht vom 25. auf den 26. Mai 2001.

      Diese besondere Nacht hatte zu Beginn des Wochenendes mit einem Freitagabend gut angefangen, und so wäre es wohl auch weitergegangen, wenn ich nicht gegen Mitternacht beschlossen hätte, eine kleine Radtour anzuberaumen. Ein derart später Zeitpunkt für ein solches Vorhaben mag dem einen oder anderen vielleicht etwas merkwürdig vorkommen, in meiner Familie wundert sich aber niemand darüber, vorausgesetzt ich bitte nicht um Begleitung.

      Nach kurzen Vorbereitungen verabschiedete ich mich also artig von meiner für heute bereits bettlägerigen Frau. Sie hat mit den Jahren gelernt, darauf zu vertrauen, dass ihr nachtaktiver Gatte solch späte Abwesenheiten nicht etwa dazu nutzt, das Schlafgemach einer heimlichen Geliebten zu betreten, sondern lediglich und ausschließlich in die Pedale seines Fahrrads zu steigen.

      Entschlossen