Peter Urban

Marattha König Zweier Welten Teil 3


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sich auf sein Feldbett fallen und wies mit der Hand auf einen klapprig aussehenden Stuhl neben dem Kartentisch.

      Der Ire schüttelte den Kopf und griff nach einer Karaffe mit Wasser. »Ich kann die Augen kaum noch offenhalten, Davie! Wenn ich das Zeug trinke, schlafe ich in fünf Minuten ein.«

      Baird grinste. »Eine beschissene Situation für dich. Du machst die Arbeit, rackerst dich ab und bekommst die Prügel, und ich führe das Kommando.«

      Sie hatten sich vor langer Zeit ausgesprochen und ihren persönlichen Konflikt begraben. Baird empfand sogar ein Gefühl der Freundschaft für den Jüngeren, und Arthur erwiderte es auf seine natürliche, ehrliche und geradlinige Art. Es war eine Stichelei des Schotten. Es bereitete ihm Vergnügen zu testen, ob Wellesleys Haut wirklich so dick war, wie der Generalmajor vorgab.

      Arthur hob den Blick von seinem Glas und richtete sich auf. Es kostete ihn viel Kraft, aller Welt diese ständige Komödie unerschütterlichen Gleichmuts vorzuspielen und seine wahren Gefühle hinter einer Maske zu verbergen. Es tat ihm gut, offen mit Davie Baird diskutieren zu können, ohne befürchten zu müssen, dass Worte nach außen ins Expeditionskorps drangen. »Davie, niemand hat dich darum gebeten, nach Hurryhur zu reiten. Du hast Stuart so lange tyrannisiert, bis er nachgegeben hat. Beim letzten Mal hast du eine Bande von Schnapsleichen zum Aufstand verleitet und den Generalgouverneur bedroht. Ich werde nicht zulassen, dass du mein Korps nimmst, während ich an zweiter Stelle für dich den Laufburschen mime. Ich kann nicht mehr gehorchen, wo ich nicht befehle.«

      »Du willst dich mit mir anlegen, Kleiner?« spottete der Schotte. Seine feuerroten Wangen glänzten nach dem vierten Glas Portwein wie im Fieber. Er liebte es, Wellesley auf die Palme zu bringen und zu sehen, wie weit er gehen konnte, ihn zu provozieren, bis der Junge innerlich kochte. Niemand schien ihn je gelehrt zu haben, für seine eigene Sache zu kämpfen. Wenn er jetzt, in diesem Augenblick nachgeben sollte, würde der Junge in den Händen seines Bruders Mornington zu einer Marionette der Politik werden und dabei möglicherweise Schlachten verlieren, nur weil ein ehrgeiziger Mann in Kalkutta sich in den Kopf gesetzt hatte, einen Krieg zu gewinnen.

      Der Krieg war eine Angelegenheit, die man denen überlassen sollte, die dafür ausgebildet waren. In Indien galt die Prämisse der Politik einfach nicht, denn das Land war unendlich groß, und wenn sie über die Grenze ins Maharastra einmarschierten, würden sie vielleicht über Monate eigenverantwortlich entscheiden müssen, wie weit sie gehen konnten.

      Wellesley erhob sich von seinem klapprigen Stuhl. Er stellte sein Wasserglas zur Seite und verschränkte die Arme vor der Brust. »Davie, es gibt zwei Gründe, warum ich bis aufs Messer kämpfen werde. Du bist ein guter General und verfügst in manchen Dingen über mehr Erfahrung als ich. Aber du hasst die Inder so sehr, dass dir am ersten Tag nach dem Grenzübertritt bereits die Hälfte der Sepoy-Regimenter weglaufen würde. Danach hättest du die verbündeten Fürsten am Hals, weil du den Mund nicht halten kannst. Es würde in einer Katastrophe enden.«

      Bairds Augen funkelten. Es war einfach unglaublich, dass der Kleine so ruhig bleiben konnte. Er prügelte sich wie ein Straßenköter, und doch vergriff er sich nie im Ton. Wenn er auf dem Schlachtfeld genauso kaltblütig agieren würde wie in diesem stickigen Zelt, würde England bald von einem herausragenden General hören. »Wie oft hast du Pulverdampf geschnuppert, Junge? Du hast dich mit ein paar verlotterten Banden herumgeschlagen, deren einziges Ziel es war, zu plündern und zu brandschatzen. Dann hast du ein paar drittrangige braune Bastarde aus ihren elenden Holzbaracken vertrieben. Arthur, sei vernünftig! Die Stiefel sind noch viel zu groß für dich. Komm mit mir, als meine Nummer zwei. Lerne vernünftig dein Handwerk, und in ein paar Jahren, wenn du erwachsen bist ...«

      Wellesley griff nach der Portweinflasche und schenkte Baird ein weiteres Glas ein. Dann ließ er sich neben dem Schotten auf der Pritsche nieder. »Welche Route wirst du einschlagen? Welche Strategie hast du dir gegen die Herren in Poona vorgestellt? Wie wirst du vorgehen, wenn sie nicht nachgeben? Willst du die Armee teilen? Willst du durch die Monsunstürme bis an den Tombuddra ziehen, oder versuchst du, über die Flanke und das Gebiet des Nizam entlang des Kistna und des Beemah zu marschieren? Was werden deine Männer abends in ihren Fleischtöpfen vorfinden? Wie fütterst du Pferde, Ochsen, Elefanten?«

      »Nichts als Fragen, mein Freund? In deinem klugen Kopf sind zu viele offene Fragen, um diese braunen Halunken aus Poona zu vertreiben. Du solltest dir nicht so viele Fragen stellen und lieber darüber nachdenken, wie du handeln willst.« Baird bekam langsam Schwierigkeiten, seine kleine Komödie so weiterzuspielen, dass es Wellesley nicht auffiel. Weil er sich in Hurryhur herumtrieb und laut fauchte, trauten die Schnapsleichen aus Kalkutta sich nicht ins Kriegsgebiet, um für Wirbel und Aufregung zu sorgen. Stuart würde schon bald eintreffen. Dann war die Sache endlich ausgestanden.

      »Natürlich, Davie! Wie ein wütender Bulle auf den ersten losstürmen, der sich der Armee in den Weg stellt ... Das ist auch ein Plan. Irgendwie erinnerst du mich an die Franzosen, die so etwas Ähnliches bei Azincourt versucht haben. Die Sache ist in die Hose gegangen.« Der General griff in die Tasche seines roten Rocks und zog ein paar eng beschriebene Seiten Papier hervor. »Das ist die Kopie eines Memorandums, das ich vor zwei Wochen an Stuart geschickt habe. Möchtest du es lesen?«

      Baird schüttelte den Kopf. Seine Wangen glühten, seine Augen funkelten übermütig. »Du Hurensohn! Über den Kopf eines ranghöheren Offiziers hinweg direkt an den großen Chef! Das ist Insubordination! Dafür kommst du vors Kriegsgericht, und sie reißen dir genussvoll den goldenen Tand von den Schultern.«

      »Rutsch mir den Buckel runter, Davie! Du hast verloren! Gib endlich auf und verschwinde zurück nach Madras. Du störst hier in Hurryhur. Wenn du meine Truppen willst ... nur über meine Leiche.«

      Schallendes Lachen erschütterte das Zelt und das Feldlager. Baird lachte, dass ihm Tränen über die Wangen liefen. Es dauerte eine ganze Weile, bevor der Generalmajor sich wieder gefangen hatte. Er schluckte ein paarmal kräftig, dann kippte er ein weiteres Glas Portwein, um seine Stimme wiederzugewinnen. »Sobald Stuart und seine Bande gepuderter Lackaffen hier auftauchen, packt der alte Davie seine Koffer, mein Junge. Ich hab einfach nicht mehr genug Biss, um mich mit einem toll gewordenen Köter zu prügeln, der gerade einmal halb so alt ist wie ich selbst und noch alle Zähne im Maul hat. Ich kenne den verdammten Wisch zwar nicht, aber ich bin mir sicher, dass du Recht hast. Du und deine verdammte Logik! Hast du denn gar kein Gefühl mehr im Leib? Pass nur auf, dass die Praxis dir deine hübsche Theorie nicht wiederlegt und du hinterher dastehst wie ein Vollidiot.«

      Wellesleys Blick traf den von Baird. Der kalte Schleier, der meist über seinen Augen lag, war verschwunden. »Vertrau mir, Davie! Versuche es wenigstens!« bat er den alten Offizier. Seine Stimme zitterte und er spürte, dass er nicht mehr lange gegen die Tränen würde ankämpfen können. Er war übermüdet und zu Tode erschöpft. Er fühlte sich schrecklich allein gelassen. Seit Wochen schon besuchte Charlotte ihn nicht mehr in seinen Träumen. Der Gedanke an Tod und Blutvergießen schien ihren freundlichen Geist zu verscheuchen oder zu erschrecken. Schon als er mit Bullum und Wynaad abgerechnet hatte, hatte sie sich von ihm zurückgezogen.

      Baird legte seine Bärenpranke um Arthurs Schulter. »Mein Vertrauen ist ohne Bedeutung. Du musst lernen, dir selbst zu vertrauen, mein Junge! Du darfst nie an dir zweifeln oder dich darauf einlassen, wegen irgendwelcher Unpässlichkeiten in trüben Gedanken und Grübeleien zu versinken. Nur wenn du an das glaubst, was du tun willst, wirst du Erfolg damit haben.« Der alte Schotte hatte freundlich, beinahe sanft zu seinem jungen Kameraden gesprochen. Sir Davie hätte es selbst nicht für möglich gehalten, dazu fähig zu sein, doch Wellesley war ihm gegenüber immer so offen und ehrlich gewesen.

      Sie waren beide Männer von Ehre und hatten ehrenvoll um dieses Kommando miteinander gestritten. Arthur hatte keine Querelen vom Zaun gebrochen, als er aus Madras nach Hurryhur gekommen war. Obwohl er die Möglichkeiten gehabt hatte – der Stab und die Kommandeure der indischen Hilfstruppen waren ihm fast sklavisch ergeben –, hatte er nicht versucht, Baird auszumanövrieren, sondern mit offenen Karten gespielt, seine Pläne dargelegt, seine Nachschublinien erklärt und ihm sogar angeboten, die Verhandlungen mit einigen geringeren Marattha-Fürsten an seiner statt zu führen. Sir Davie hatte abgelehnt, sich in Arthurs diplomatisches Ränkespiel mit den Maratthas einzumischen, denn er kannte