Peter Urban

Marattha König Zweier Welten Teil 3


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Jean-Francois! Irgendjemand zieht an der Grenze eine große Schau ab. Seine Armee hat sich nicht mit Stevenson zusammengeschlossen. Er ist über die Flanke marschiert, hat Darwan einfach umgangen. Er ist wie ein Geist mit seinen Rotröcken und Sepoys vor der Stadt erschienen. Holkar hat nicht einmal den kleinen Finger gerührt. Er ist nach Chandore verschwunden, nachdem er dem Iren das Haupttor der Stadt weit geöffnet hatte. Amrut Rao hatte zuerst abgelehnt, sich Holkar anzuschließen. Er wollte die Stadt zerstören, um sie nicht dem Feind zu überlassen, doch die Briten waren so schnell drinnen, dass unser Freund nicht einmal mehr die Zeit gefunden hat, sich die nächstbeste Fackel zu greifen ...«

      »Poona ist kampflos gefallen!« seufzte Perron. »Umso besser! Ich wollte mich mit diesem Sepoy-General sowieso noch nicht schlagen. Er ist noch zu nahe an seinen Nachschubbasen ...«

      Major William Dodd hatte schweigend und leichenblass die Unterhaltung zwischen Perron und Allessandro Cappellini mitverfolgt. Sein

      Französisch war ausreichend gewesen, um das Wichtigste zu verstehen. Damit war seine Theorie über die fehlende militärische Erfahrung des jungen Bruders des britischen Generalgouverneurs in einer Rauchwolke verpufft. Shee hatte sich in seinem grenzenlosen Hass gegen den Kommandeur des 33. Regiments eine Legende zusammengesponnen, die diesem jähzornigen, verbitterten und versoffenen Halunken recht gewesen war, aber in keiner Weise der Wahrheit entsprochen hatte. Und Dodd musste nun einen Weg finden, um vor seinem neuen Dienstherren Perron nicht das Gesicht zu verlieren. Nach dem Fall von Poona konnte er nie wieder behaupten, welch unerfahrenem Gegner sie entgegentraten.

      Als Elphinstones Späher an der Marschlinie aufgetaucht waren, um Generalmajor Wellesley zu melden, dass Amrut Rao Poona in Brand stecken wollte, hatte der Ire nicht lange gezögert, sondern mit 400 Reitern Bisnapah Pundits einen nächtlichen Gewaltmarsch von gut vierzig Meilen unternommen, um die Hauptstadt des Peshwa zu retten. Die Operation war ein Erfolg gewesen, auch wenn sie ihren Preis gehabt hatte: Arthur spürte heute – drei Wochen später – immer noch jeden einzelnen Knochen im Leib, und der Beritt der Männer, die ihm durch die Nacht gefolgt waren, war nach Hurryhur zurückgeschickt und durch neue Pferde ersetzt worden.

      »Zum Teufel, nun sehe sich einer dieses unvernünftige Kind an!« fluchte er leise vor sich hin, als er Bajee Rao II. beobachtete. Der junge Mann ritt einen prachtvollen Schimmel. Das große Tier glänzte im Sonnenlicht. Es trug einen sonderbaren, juwelengeschmückten Lederpanzer, in den verschlungene Blumenmuster aus Goldfaden gewirkt worden waren. Ein riesiger Kriegselefant mit einem ähnlichen Panzer folgte ihm. Über die Stoßzähne hatten sie ihm einen Silberschaft gezogen, der in einer scharfen Spitze endete. Sein »mahout« schwitzte unter einem altmodischen, pittoresken Kettenhemd. Hinter ihm befand sich der »howdah« aus dunkelrotem Zedernholz. Hauchdünne goldene Rauten waren als Zierde angebracht worden. Über dem Korb flatterte ein Dach aus smaragdgrüner Seide im Wind. Links und rechts von Bajee Rao marschierte seine Leibgarde: Männer in farbenprächtigen Hemden, die mit einer Uniform nur wenig gemein hatten. Manche von ihnen waren mit Steinschlossgewehren bewaffnet, andere mit altertümlichen Hellebarden, deren Klingen so sorgfältig poliert waren, dass sie aus Silber geschmiedet zu sein schienen. Der Rajah zeigte sich seinen Untertanen und schien dabei zu vergessen, wer ihn zurück auf seinen »muzznud« gehoben hatte. Nach dem Fall der Hauptstadt war Bajee Rao II. mit einer starken britischen Eskorte aus Bombay nach Poona gebracht worden, obwohl er seit der Unterzeichnung des Vertrages von Bassein schon mehrfach insgeheim versucht hatte, seine neuen Verbündeten zu verraten. Er konspirierte beständig gegen »John Company«, schickte Kuriere zu Scindia, zum Rajah von Berar und sogar zu Holkar, der ihn verraten und verkauft hatte. Natürlich wusste Arthur über jeden Winkelzug bestens Bescheid und las meist auch gleich die Kopien der Schreiben an die Feinde mit, denn er hatte einen exzellenten Nachrichtendienst und Montstuart Elphinstone, dessen Vorahnungen den General täglich überraschten.

      Trotzdem ärgerte Wellesley sich. Er würde Barry Close in Poona zurücklassen müssen, nur um zu verhindern, dass dieses unbedarfte und arrogante Kind auf dem Thron ihm und seinen Truppen auf ihrem Marsch gegen Scindia in den Rücken fiel. Er verbrachte täglich Stunden damit, sich gegen jede Intrige Bajees einen neuen Schachzug zu überlegen, und diese Zeit fehlte ihm bei der Vorbereitung seines Feldzugs. Nachdenklich drehte er den Krug mit dunklem Bier zwischen den Händen. Während seines Gewaltmarsches durch den Dschungel auf die Hauptstadt des Maharastra hatte ihn der Gedanke an ein kühles, frisches Bier und ein vernünftiges Abendessen manchmal beinahe um den Verstand gebracht. Nun verdarb der protzige Bengel auf seinem Schimmel ihm den Genuss.

      Zahlmeister Dunn legte dem General mitfühlend die Hand auf die Schulter. »Ich verstehe Sie ja, mein Junge! Trotzdem sollten Sie sich den Abend nicht verderben. Wann haben Sie das letzte Mal etwas Vernünftiges zu beißen bekommen?«

      Arthur zuckte mit den Schultern und wandte sich seinem Bier zu. »Wir verschwinden aus diesem Schlangenpfuhl, sobald Stuart mir meine Befehle bestätigt und mich darüber aufklärt, ob dieser verdammte Friede von Amiens irgendwelche Auswirkungen auf unsere Operation hat. Scindia wuselt heute zwar noch ziel- und planlos durch die Gegend, aber morgen oder übermorgen hat er sich vielleicht gefangen und beschließt, gegen Poona zu marschieren ...«

      Immer wenn der Ire sich unbefangen aussprechen und weder Ratschläge noch brillante Geistesblitze hören wollte, verzog er sich klammheimlich zu seinem Sergeant. John war kein strategisches Genie, er war lediglich ein alter Schotte, der mit beiden Beinen im Leben stand. Er schöpfte seinem Kommandeur einen großen Teller mit kräftigem, heißem Hammelragout und frischem Gemüse voll. Dann schnitt er ein paar Scheiben Brot und setzte sich neben ihn. »Mein Junge, möchten Sie mir erzählen, was Sie bedrückt, oder ist es Ihnen lieber, wir wechseln das Thema?«

      »Das Problem ist das Thema, John! Der Generalgouverneur verfolgt eine politische Strategie. Er will aus dem britischen Imperium in Indien das Imperium Britisch-Indien machen ...« Arthur schlang ein paar Bissen Ragout hinunter und spülte mit Bier nach. Seine Augen fixierten die von Sergeant-Major Dunn. »Ach, zum Teufel mit der Politik! Sobald Stuart den Befehl bestätigt, knöpfen wir uns Scindia vor!«

      Der Marquis von Mornington hatte den Brief der Direktoren schockiert zur Kenntnis genommen. Sie kritisierten scharf seine Politik im Kernland Indiens. Sie nahmen den Vertrag von Bassein mit großer Besorgnis zur Kenntnis und beschwerten sich darüber, dass seine militärischen Ambitionen die Ostindische Kompanie ein Vermögen kosteten, aber keinen sichtbaren Profit hervorbrachten. Wie er diese Buchhalter hasste! Sie dachten an nichts weiter als an Tuchballen, Tee oder Gewürze, die in London versteigert würden. Sie waren kleine Geister, erbärmliche Krämerseelen, und sie sahen nicht, wie sehr ihre Position auf dem Subkontinent gefährdet würde, wenn er nicht den Marattha und anderen potentiellen Verbündeten Frankreichs sein Gesetz aufzwang.

      »Henry«, fragte er leise seinen Bruder und Privatsekretär, »haben wir außer Barry Closes Bericht über die politische Situation in Poona Neuigkeiten aus dem Maharastra?«

      »General Wellesley hat über den Generalstabschef von Madras mitteilen lassen, dass Holkar von kriegerischen Handlungen abzusehen gedenkt. Er hat mit Holkar einige fruchtbare Gespräche geführt. Dabei muss es ihm irgendwie gelungen sein, sich unter vier Augen mit dessen General Meer Khan zu verständigen. Der Mann hat die Seiten gewechselt und schließt zu Stevensons Teilheer auf.«

      Mornington schaute Henry ungehalten an. »Ja, ja! Ich weiß, dass unser Bruder leidenschaftlich gern den großen Diplomaten spielt, doch dafür bekommt er nicht den Sold seines Königs! Militärische Fakten?«

      »Richard, du scheinst zu vergessen, dass Holkar ein militärischer Faktor ist!« fauchte Henry Wellesley seinen ältesten Bruder an. Seit Jahren schon ertrug er Richards Arroganz, seinen Hochmut, seine herablassende Art und seine Demütigungen. Lange Zeit hatte er es nicht gewagt, sich zu widersetzen. Doch nun war der Generalgouverneur zu weit gegangen. Henry musste sich auflehnen.

      »Richard, warum lässt du ihn diese Expedition überhaupt führen, wenn du mit seiner Vorgehensweise nicht einverstanden bist? Schick doch einfach einen anderen Mann ins Maharastra! Einen Mann, der in der Lage ist, sich mit fünfzehntausend britischen Soldaten und Sepoys gleichzeitig gegen drei Fürsten zu schlagen. Aber erspare unserem Bruder deinen Zynismus.«

      »Erspar mir deinen Zynismus, Henry, und hör