Peter Urban

Marattha König Zweier Welten Teil 3


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wie Schuppen von den Augen gefallen, dass er diesem Mann als Vorgesetzter nur im Weg stehen würde. Arthur besaß nicht nur das Geschick, unter indischen Bedingungen – schlechten Straßen, sporadischen Nachschublinien, Epidemien, einem schrecklichen Klima – ein Heer aufzustellen und zu führen. Er hatte bereits seit vier Jahren zur Genüge bewiesen, dass er siegen konnte. Der Kleine hatte vier Jahre lang mutterseelenallein und ohne Hilfe von außen im Kernland des Subkontinents gekämpft, während sie sich in Madras und in Kalkutta die Zeit vertrieben hatten. Er war an dieser Aufgabe gewachsen, ganz so, als ob sein bisheriges Leben eine Vorbereitung für all dies gewesen wäre.

      »Bis Stuart eintrifft, halte ich dir mit meinem Geknurre die alten Trottel vom Leib, Junge. Dann kannst du nur noch auf dich selbst hoffen und darauf, dass deine große Strategie aufgeht. Und noch etwas: Mornington! Sei vorsichtig! Wenn du auch nur den kleinsten Fehler machst, knüpft er dich auf. Er will dieses Stück des Subkontinents um jeden Preis. Im Augenblick hat es den Anschein, als ob er mit aller Gewalt den einzigen Offizier im Feld haben will, der sich schon einmal hier geschlagen hat, weil er annimmt, damit mehr Trümpfe gegen die Direktoren in der Tasche zu haben. Aber wenn sein Trumpf nicht sticht, schickt er einen neuen Mann. Oder wenn die Direktoren es schaffen, ihn unter Druck zu setzen und er wählen muss – zwischen seinem Ehrgeiz und seiner Position!«

      »Davie«, entgegnete der junge General, »ich habe keine Angst mehr vor ihm!« Er stockte kurz, als ihm bewusst wurde, was er soeben eingestanden hatte. Doch dann fasste er sich wieder. Eine ehrliche Aussage war immer besser als eine lächerliche Komödie mit großartigen Verkleidungen. »Es gab Zeiten, da hat er mir seinen Willen aufgezwungen, und ich habe mich gebeugt. Mornington ist der Generalgouverneur und damit der Stellvertreter der Krone. Er ist der Oberbefehlshaber. Dagegen kann ich als Soldat nichts tun. Doch er wird mich nicht einschüchtern, und ich werde mich auf militärischer Ebene auch nicht von seinen politischen Ränkespielen beeinflussen lassen. Nur ein Plan verspricht Erfolg – mein Plan! Und ich habe nicht vor, wegen Fort William Fehler zu begehen, die unnötig Menschenleben kosten.«

      Baird verzog den Mund. »Vielleicht muss ein Mann in deinem Alter noch Träume haben. Du wirst schnell feststellen, wie sehr Kalkutta sich einmischen kann. Ich hoffe, dass du die Sache heil überstehst ...«

      Perron hatte sein Lager von Indore nach Ahmednuggur, etwa siebzig Meilen nördlich von Poona verlegt. Die meisten der »campoos« waren Infanterieeinheiten. Die Männer hatte Scindias Feldherr sorgfältig rekrutiert. Sie kamen aus dem Norden, und der Krieg lag ihnen im Blut. Sie wurden ausschließlich von europäischen Offizieren befehligt. Ein »campoo« war gerade auf dem »maidan« zu Exerzierübungen angetreten. Dodd beobachtete die Männer aufmerksam. Er konnte seine Bewunderung nur schwer verbergen. Sie unterschieden sich in nichts von europäischen Truppen. Präzise wie Uhrwerke führten sie ihre Bewegungen aus. Ihre Disziplin war tadellos.

      »Beeindruckend, nicht wahr?« Perron schmunzelte. Der Franzose war sich seiner Macht gewiss. Obwohl Scindia prahlen konnte, dass er den ganzen Maharastra mit einer schwarzen, bewaffneten Wolke aus hunderttausend Fußsoldaten und fast ebenso vielen Reitern überziehen konnte, waren diese wenigen, europäisch geführten Einheiten doch die Speerspitze der Armee des Fürsten. Lange Soldatenreihen standen stramm, als Perron langsam mit seinem neuen britischen Offizier über den »maidan« schlenderte. »Sie führen Ihre Sepoys gut! Pohlmann ist zufrieden!«

      Dodd dachte einen Augenblick nach, ob er antworten sollte. Zwanzig Jahre hatte ihm »John Company« diese Rolle verweigert, obwohl er alle Anlagen besaß, Soldaten vernünftig zu führen. Doch »John Company« beförderte seine Männer nicht nach ihren intellektuellen und militärischen Fähigkeiten, sondern nur nach dem Dienstalter. Diese Unsitte führte dazu, dass er mit seinen fast vierzig Jahren immer noch einfacher Leutnant gewesen war, während Kinder in den königlichen Regimentern bereits mit dreißig Jahren zum General gemacht wurden. Dodd beschloss, das Thema zu wechseln und seine neue Stellung im Stillen zu genießen. »Die Briten werden in den nächsten Tagen angreifen, Oberst!«

      »Und sie hoffen darauf, dass ich mich hier festlege und mit ihnen kämpfe.« Perron schmunzelte. »Es ist besser, wenn sie uns hinterherlaufen müssen. Der Monsun wird kommen. Sie werden uns verfolgen, doch die Flüsse werden zu unüberwindlichen Hindernissen anschwellen. Mit dem Regen kommen das Fieber und viele andere Krankheiten. Wenn die Briten sich müde gelaufen haben und vom Fieber geschwächt sind, werden wir stark sein. Sämtliche >campoos< von Scindia werden sich zusammenschließen. Der Rajah von Berar hat versprochen, seine Armee zu entsenden. Sobald wir alle vereint haben, zerschmettern wir den Feind.«

      »Sie werden Ahmednuggur aufgeben müssen.« Dodd verstand sein Handwerk. Nun, da man ihm endlich seine Chance gab, wagte er auszusprechen, was er dachte. »Die Festung ist strategisch unwichtig.« »Sie haben Recht, Major. Ich würde Ahmednuggur kampflos den Briten überlassen, doch Scindia ist von diesem Ansatz nicht begeistert.

      Er hat die Festung bis obenhin mit Munition und Proviant vollgestopft und besteht darauf, dass eine starke Besatzung zu ihrem Schutz zurückbleibt.« Der Franzose zuckte mit den Schultern. »Was soll’s! Ich werde Wellesley einen Haufen Höllenhunde zurücklassen, an denen er sich die Zähne ausbeißen kann. Die Festung wird ihn Zeit kosten. Jeder Tag, den der Ire verliert, ist ein kleiner Sieg für uns. Apropos Wellesley! Cappellini ist mit Ihrer Einschätzung des Mannes nicht glücklich. Wussten Sie, dass Allessandro ihn persönlich kennt? Er hat sich mit unserem Freund bei Seringapatam geschlagen.«

      Dodd konnte die leichte Röte, die seine Wangen bedeckte, nicht unterdrücken. Er fühlte sich plötzlich von Perron in die Enge getrieben und mit einer Falle konfrontiert. Wollte der Franzose ihn erneut auf die Probe stellen? Vertraute er ihm vielleicht doch nicht? Hatte er Zweifel an Dodds ehrlichen Absichten, obwohl der Offizier die Seite gewechselt und in ganz Indien ein gesuchter Mann war, oder durchschaute der Feldherr des Rajahs seine Lügen, was den Iren anbetraf? »Er hat noch nie eine offene Feldschlacht geschlagen«, bemerkte Dodd bitter, »außer bei Malavelley, aber diese Geschichte war nicht von Bedeutung.«

      »Major, er hat Dhoondia zerstört! Bullum! Wynaad! Soonda!« Perron blickte seinem Untergebenen fest in die Augen. Auch wenn der Engländer sich vieles vielleicht nur zusammensponn oder von Hörensagen wusste, so war er doch derjenige, der den Feind von innen kannte.

      »Er wird nicht mehr als fünfzehntausend Mann Infanterie, fünfundzwanzig Geschütze und sechs-, siebentausend Reiter mitbringen. Sie werden in zwei Teilarmeen vorgehen. Eine führt Wellesley, die andere Stevenson. So haben sie es immer gehalten.«

      »Stevenson ist ein alter Fuchs. Er kennt dieses Land in- und auswendig.«

      »Stevenson ist vorsichtig und schlau. Doch er muss einen weiten Weg zurücklegen, um sich mit der Mysore-Armee zu vereinigen. Außerdem ist sein Nachschub von dem des Iren losgelöst. Er wird aus Hyderabad versorgt und hat damit die längere Kommunikationslinie.« »Dodd, sobald wir uns mit den Truppen des Rajahs von Berar vereinigen, verfügen wir über eine drei- oder vierfache Übermacht und haben viermal mehr Geschütze im Felde, aber der Krieg ist keine Spielerei mit nackten Zahlen. Schlachten werden von Generälen gewonnen und verloren. Erzählen Sie mir mehr über Generalmajor Arthur Wellesley.«

      »Er ist jung. Knapp über dreißig.«

      »Jugend ist kein Hinderungsgrund für einen guten Soldaten ...« Perron wollte gerade fortfahren, als sich von hinten eine vertraute Hand auf seine Schulter legte. Er hatte Allessandro Cappellini nicht kommen gehört, denn er war zu sehr in die Unterhaltung mit Dodd vertieft gewesen, während sein Verstand gleichzeitig am Plan gegen die britischen Angreifer feilte.

      Allessandros Uniform war über und über mit Staub bedeckt. Sogar über seinem Gesicht lag eine dicke, rotbraune Kruste, in die lediglich der Schweiß tiefe Furchen gegraben hatte. Der Korse sah aus, als wäre er direkt aus den Abgründen der Hölle nach Ahmednuggur gekommen. »Jean-Francois! Er hat sich so schnell bewegt, dass wir ihn nicht haben kommen sehen. Die >jaghidars< zwischen der Grenze und der Hauptstadt sind zum Feind übergelaufen ...«

      Perron fuhr herum. »Wie bitte?« Diese Nachrichten, die Cappellini ihm soeben atemlos überbracht hatte, waren unglaublich. Seine Späher hatten ihm vor weniger als vierundzwanzig Stunden noch gemeldet, dass die feindlichen Truppen regungslos um Hurryhur verharrten.