Harald Skrobek

Waisenjunge


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hatte einen stark frequentierten Saloon entdeckt, in dem Poker gespielt wurde. Er war ein ausgezeichneter Poker-Spieler und kannte fast alle Falschspielertricks.

      Robin, Jonny und Dave gingen in ihrer Büffeljäger-Kluft einzeln in den Saloon, so, als ob sie sich nicht kennen würden. Jonny und Dave postierten sich so, dass sie den Pokertisch aus der Ferne gut überblicken konnten. An einer Seite des gut belegten Tisches saß ein offensichtlicher Profi-Spieler, der die Karten mit flinken Bewegungen austeilte. Auch sonst machte er einen flinken Eindruck. Sein Gesicht zeigte keinerlei Regungen.

      Robin hatte sich eine Woche lang nicht rasiert. Der struppige Bart machte ihn älter. Außerdem hatte er mit Whiskey gegurgelt und sich damit eingerieben. Er mimte den Biedermann, der schon mal am Lagerfeuer bei kleinen Einsätzen Poker gespielt hatte. Er ergatterte mit einem Whiskey-Glas in der Hand einen freien Platz am Tisch schräg gegenüber dem Kartengeber. Beim Sich-Setzen fiel ihm ungeschickt sein ganzes Geld auf den Tisch, das er hastig wieder einsammelte und einsteckte. Dave sah, wie der Profi-Spieler kurz aufblickte und Robin dabei musterte.

      Sie spielten um bescheidene Einsätze. Robin gewann und verlor. Offensichtlich in Whiskey-Laune forderte er höhere Einsätze. Die Zahl der Spieler reduzierte sich schließlich auf vier. Während das Gesicht des Profis weiterhin ausdruckslos blieb, konnte man an Robins alkoholseligem Gesicht scheinbar genau sehen, ob er ein gutes oder ein schlechtes Blatt hatte. Es lag jetzt ein riesen Pot auf dem Tisch. Die anderen beiden Mitspieler waren schon ausgestiegen. Der Profi brachte Robin geschickt dazu, sein ganzes Geld zu setzen. Doch bevor beide ihre Karten aufdeckten, blitzte Robins Wurfmesser und blieb zwischen Mittel- und Ringfinger der linken Hand des Profis in der Tischplatte stecken. Als der Spieler instinktiv die Hand wegzog, sah man, dass er darunter zwei Karten versteckt hatte. „Zwei Asse, wenn ich mich nicht irre,“ sagte Robin. Von einem Augenblick auf den nächsten war er stocknüchtern. Der Spieler zog blitzschnell eine kleine Pistole aus dem Ärmel. Aber Dave war mit seinem Colt schneller. Er traf den Falschspieler mitten in die Stirn.

      Der Barkeeper versuchte, als erster zu reagieren und sein Schrotgewehr zu fassen. Aber als Jonny mit dem Revolver auf ihn zielte, hob er erbleichend beide Hände. Jonny schnappte sich die Flinte, nahm sie in die Rechte und den Colt in die Linke und richtete beide Waffen auf die Bar-Gäste. Diese erstarrten. Robin zog gelassen sein Wurfmesser aus dem Holz und zeigte den Gästen die beiden versteckten Karten. Es handelte sich tatsächlich um Asse. Dann raffte er einen Großteil des Geldes vom Spieltisch zusammen, stopfte es in die Taschen und zog seinerseits den Revolver. Geordnet verließen die drei den Saloon.

      Die ganze Aktion hatte nicht mehr als drei Minuten gedauert. In einer Seitengasse warteten schon die anderen Texaner mit den Pferden. Eine viertel Stunde später waren sie aus der Stadt und schlugen den Weg nach Süden, Richtung Arkansas, Louisiana, Texas ein.

      *

      Unterwegs erreichte sie die Nachricht, dass die Nord- Virginia-Armee der Konföderierten unter General Lee kapituliert habe, im Süden der Krieg aber noch weiterginge. Sie gaben den Pferden die Sporen und erreichten Texas noch rechtzeitig.

      Jonny und Dave als Nichtkavalleristen wurden für die Feindaufklärung eingesetzt. Robin stellte ihnen dafür sein Fernglas und seinen Kompass zur Verfügung. Er selbst bekam das Kommando über eine Reiterschwadron.

      Jonny und Dave beobachteten mit dem Fernglas wie die feindlichen Reiterarmeen aufeinandertrafen. Sie erkannten, dass Robin mit seiner Schwadron die Angriffsspitze bildete. Revolverschüsse krachten, dann übernahmen die Säbel die Arbeit.

      Ihre Tapferkeit nützte den Südstaatlern nichts; sie wurden von der Masse der Unionsreiter erdrückt beziehungsweise auseinandergetrieben. Gegen Abend war die Schlacht entschieden.

      Jonny und Dave näherten sich vorsichtig der Stelle, wo sie Robin zuletzt gesehen hatten. Das Feld war mit Leichen und Verwundeten übersät. Sie entdeckten zuerst Robins totes Pferd, dann ihn selbst. Fünf Schüsse hatten ihn aus nächster Nähe in Brust und Bauch getroffen. Er lebte kaum noch. „Bringt mich zu meinem Vater,“ hauchte er ihnen noch zu, dann starb er.

      Kapitel 4: Trapper 1865

      Der Süden kapitulierte am 23. Juni 1865 endgültig.

      Dave und Jonny hatten Robins Leiche in zwei Decken gewickelt und mit Riemen fest verschnürt. Darauf befestigten sie Robins Säbel. Dann fingen sie ein herrenloses Pferd ein, banden den Leichnam darauf fest und machten sich auf den Weg zur Delarosa-Ranch. Als sie dort ankamen, stank die Leiche schon erbärmlich.

      Sie wurden von Robins Vater, seiner Mutter und dessen Bruder auf der Ranch empfangen. Dave übernahm es, über Robins Tod zu berichten und dessen Wusch, zu Hause beerdigt zu werden. Robins Vater und Bruder hörten sich ihre Geschichte mit ausdruckslosen Gesichtern an. Sie hatten den Mund fest zugekniffen. Die Mutter begann zu schluchzen. Lange sagte keiner ein Wort. Schließlich rief der Vater einen Mexikaner herein und ordnete an, er solle auf dem Familienfriedhof ein Grab ausheben.

      Nach der Beerdigung folgte ein überaus üppiger Leichenschmaus, an dem alle Frauen und Männer teilnahmen, die auf der Ranch beschäftigt waren. Am Ende traf sich der Delarosas-Clan in einem geräumigen, mit teuren ausländischen Möbeln und Ledergarnituren ausstaffierten Salon.

      Wieder war es an Dave, das Wort zu ergreifen. Dank seines guten Gedächtnisses und seines Sinns für Dramatik gelang es ihm, seine Zuhörer zu fesseln. Während er von ihren Kriegserlebnissen erzählte, entdeckte er mit Erstaunen sein erzählerisches Talent. Als er von Robins letzter Kavallerieattacke berichtete, merkte er, wie Robins Vater sich kerzengerade aufrichtete. Tränen der Rührung traten in seine Augen. Am nächsten Tag zierte Robins Kavallerie-Säbel eine der Wände des Salons.

      *

      Dave und Jonny blieben vier Wochen auf der Delarosa- Ranch. Dave erlernte in dieser Zeit die Grundzüge der Rinderzucht und die Handhabung eines Lassos. Ferner verbesserte er seine Spanisch-Kenntnisse. Über Langeweile konnte er sich also nicht beklagen, zumal er vom Nachwuchs der Delarosas pausenlos in Beschlag genommen wurde. Den Jungen musste er immer wieder seine Fertigkeiten vorführen, einen Revolver zu ziehen und damit zu treffen sowie ein Messer, ein Scheit Holz oder auch einen Stein zielgenau zu werfen. Ferner unterrichtete er sie in japanischer Kampftechnik. Die Mädchen himmelten ihn an, auch wegen der kurzweiligen, lustigen Geschichten, die er sich ausdachte und ihnen erzählte. Der Versuch, mit einem kessen mexikanischen Stubenmädchen anzubandeln, scheiterte an ihrer erzkatholischen Erziehung. Es blieb bei einem Flirt.

      Er nutzte die Zeit, um einige Briefe an seine Mutter zu schreiben. Die Delarosas versprachen, diese bei Gelegenheit einer Postkutsche mitzugeben.

      Dann machten sie sich, neu beritten und mit zwei Packpferden versehen, in Richtung Süden auf. Jonny zog es zu seiner Mutter. „Ich fühle, dass sie mich noch einmal sehen will, bevor sie sich auf die Reise zu unseren Ahnen aufmacht,“ sagte er in bedächtigem, ernstem Ton.

      Dave sträubten sich die Haare, sobald er die ganze Tragweite dieser Aussage verinnerlicht hatte. ‚Wie kann man solche Dinge fühlen,‘ fragte er sich. ‚Wenn die Indianer das tatsächlich können, sind sie uns hierin weit überlegen.‘

      *

      Die Delarosa-Ranch lag im Norden von Texas. Sie mussten in den Südwesten. Sie überquerten einige Quellflüsse des Red Rivers und machten einen Bogen um das Llano Estacado. Sie ritten durch spärlich besiedeltes Hügelland. Talsenke folgte auf Talsenke, so ging das endlos. Das Land schien kein Ende zu nehmen. Kamen sie an einer Ranch oder an einer kleinen Ortschaft vorbei, füllten sie ihre Vorräte auf, vor allem Bohnen und Mehl. Mit Fleisch versorgten sie sich selber; Präriehasen und Kojoten schienen die im Schritt daherkommenden Reiter nicht als Fressfeinde zu betrachten.

      Eines Abends am Lagerfeuer erzählte Jonny Dave seine Geschichte:

      Sein Vater sei Engländer gewesen und hieß Jonathan Jones. Er stammte wohl aus einem reichen Hause. Damals war die Zeit, in der vor allem Engländer aufbrachen, um überall in der Welt unerforschte Landstriche zu bereisen. Im Alter von 25 Jahren beschloss Jonathan nach Amerika zu segeln und hier im „wilden Westen“ bis zu den dort