Harald Skrobek

Waisenjunge


Скачать книгу

aber sie fanden ihn. Sein Pferd hatte sich im Gebirge das Bein gebrochen und so musste er sich zu Fuß auf den weiteren Weg machen. Die Apachen fanden ihn völlig entkräftet und halb verhungert in einer Schlucht und nahmen ihn mit in ihr Zelt-Dorf. Er war ein gutaussehender Bursche und beschloss, eine Zeit lang bei den Apachen zu leben. Die Tochter des Häuptlings und Medizinmannes, Heller Stern, verguckte sich in ihn und er in sie. Sie bezogen ein gemeinsames Tipi; ein Jahr später wurde ihr Sohn geboren. Sie nannten ihn nach seinem Vater, riefen ihn aber Jonny. Das Paar bekam noch eine Tochter, die aber als Säugling starb. Als Jonny 5 Jahre alt war, fiel sein Vater in einem Gefecht mit den Komantschen.

      Seine Mutter heiratete Ulzana, der später Unterhäuptling der Chokonen werden sollte. Jonny bekam in der Folge 3 Halbbrüder und 2 Halbschwestern. Ulzana behandelte ihn wie einen Fremdkörper. Er schlug ihn regelmäßig. Als Jonny 15 wurde und die Mannbarkeits-Prüfung bestanden hatte, also zum vollwertigen Krieger avancierte, kleidete er sich wie ein Weißer und ritt davon. Er nannte sich fortan Jonny Jones und trat als Freiwilliger in die texanische Armee ein. Er kämpfte mit dieser erfolgreich gegen die Mexikaner, die die Schmach ihrer Niederlage vom 21. April 1836 nicht verkraften konnten. Texas wurde unabhängig.

      Als 1845 Texas in die USA aufgenommen wurde und die texanische Armee mit der Bundesarmee verschmolz, wurde auch Jonny übernommen. Er diente als Scout und kam im Kampf gegen die Sioux zum Einsatz. Hier lernte er Robin Delarosas kennen und schätzen. Er folgte ihm als sich 1861 die US-Armee in eine Nord- und eine Süd Armee aufspaltete und gegeneinander ins Feld zog.

      *

      Sie kamen ins Gebirge und damit ins Apachen-Gebiet. Eines Abends versetzte sich Jonny in Trance und versuchte, gedanklich Kontakt zu seiner Mutter aufzunehmen. Am nächsten Morgen gebot er Dave, seine Bison-Büchse und seinen Revolver, so wie er selbst, in Decken zu packen und auf dem Packpferd zu verstauen. Die einzige Waffe, die sie am Leib trugen, war fortan das Messer. Jonny lenkte sein Pferd zielsicher in eine enge Schlucht. Er ignorierte die Wachen, die sich hinter den Felsen versteckt hielten, von ihm aber sehr wohl entdeckte wurden, und ritt unbeirrt weiter. Die Schlucht weitete sich zu einem großen, grünen Tal.

      Am Ende des Tales befand sich eine Anzahl Tipis. Sie wurden schon erwartet. Links und rechts hatte sich eine Anzahl junger Krieger, bewaffnet mit Pfeil und Bogen in Stellung gebracht. Sie ritten geradewegs auf das große Versammlungszelt zu. Jonny erkannte schon von weitem seinen Stiefvater Ulzana, ohne das umgekehrt der ihn, seiner Aufmachung wegen, auch erkannt hätte. Sie stiegen von den Pferden ab, aber ehe ein Wort gefallen wäre, kam eine alte, hinfällige Frau angehumpelt und fiel Jonny um den Hals.

      Schweigen breitete sich aus. Selbst das allgemeine Rumoren verstummte. Jetzt, nachdem er seinen Hut abgenommen hatte, erkannte auch Ulzana seinen Stiefsohn wieder. Das Wiedersehen nach so vielen Jahren verschlug ihm die Sprache. „Jonny, du?“ - brachte er gerade noch heraus. Seine Mutter strich Jonny immer wieder über das Gesicht. So, als wollte sie sich versichern, dass er es wirklich war. „Mein Sohn, mein Sohn,“ stammelte sie in einem fort.

      Jonny kämpfte mit seinen Gefühlen. Das war alles schon so lange her. Doch nun kamen die Erinnerungen wieder hoch. Er erinnerte sich, wie seine Mutter, immer wenn sein Stiefvater ihn geschlagen hatte, ihn durch die Berührung ihrer Hände tröstete. Wie hatte Jonny sie dafür geliebt! Und er liebte sie immer noch! All die Jahre hatte er ihr Bild in seinen Gedanken aufbewahrt, das Bild einer schönen, stolzen, energischen Frau. Nun fiel es ihm nicht schwer, dieses Bild auf die hinfällige, zerknitterte Gestalt, die seine Mutter war, zu projizieren. Er fühlte deutlich, dass sie sich nur deshalb am Leben gehalten hatte, um ihn noch einmal zu sehen.

      Die drei wurden nach und nach von Jonnys Halbgeschwistern und den übrigen Dorfbewohnern umringt. Man setzte sich vor dem großen Zelt auf die Erde. Alle, alte und junge, bildeten um sie einen Kreis und Jonny musste erzählen. Er berichtete knapp von seinen Kämpfen gegen die Mexikaner und dann vom großen Krieg mit seinen Bergen von Toten. Er verzichtete darauf, ihnen darzulegen, über welches geradezu unerschöpfliche Reservoir an Soldaten und Waffen die Weißen verfügten. Er kannte ihre diesbezügliche Naivität und das Unvermögen, sich Dinge vorzustellen, die über ihren Erfahrungs-Horizont hinausgingen.

      Dave sorgte für Aufsehen, erstens wegen seiner Größe und seiner hellen Haare, zweitens wegen seines glatten, freundlichen Gesichts. Vor allem die Frauen starrten ihn unverhohlen an. Dave, der es nicht gewohnt war, dass man ihm ungeniert in die Augen sah, wusste zunächst nicht, wie er darauf reagieren sollte. Als geborener Komödiant stellte er sich aber fast sofort darauf ein und blickte seinerseits schelmisch zurück. Er hörte mit Erstaunen, was die Frauen einander zuraunten. In der Annahme, er verstünde ihre Sprache nicht, ̶ und er sah vorerst keine Veranlassung, ihren Irrtum aufzuklären ̶ sprachen sie ungeniert ihre Gedanken aus. So hörte er zum Beispiel, wie eine jüngere, größer gewachsene, etwas mollige Schönheit zu ihren Nachbarinnen kokett bemerkte: „Wenn die Größe seines Penis seiner Körpergröße entspricht, möchte ich gerne auf ihm davonreiten.“ Sie erntete lautes Gelächter, während Dave betreten den Blick abwandte.

      Er tat das Gesagte als eine dahingeplapperte freche Redensart ab. In den folgenden Nächten, als Jonny bei seiner Mutter wachte, wurde er aber eines Besseren belehrt. Die junonische Schönheit schlüpfte ungeniert in sein Tipi. Nun verstand er auch, was sie mit ‚auf ihm davonreiten‘ meinte.

      Des morgens erregte Dave noch ein drittes Mal Aufmerksamkeit. Er hatte sich angewöhnt, nach dem Aufstehen eine halbe Stunde Bujikan-Übungen zu machen. Zugegeben, diese Übungen wirkten für einen Außenstehenden grotesk. Die Indianer, die ihn schweigend ganz genau beobachteten, errieten jedoch bald, dass es sich bei den blitzschnellen Bewegungen um Kampfübungen handeln musste und sprachen ihn neugierig darauf an. Bereitwillig bot er ihnen eine Demonstration an. Die Apachen waren schnelle, geübte, trickreiche Kämpfer. Nachdem aber eine Handvoll von ihnen gegen Dave auf eine so einfach scheinende Art den Kürzeren gezogen hatte, schauten sie alle betreten drein. Dave bot an, ihnen einige Tricks beizubringen. Doch viel Zeit blieb ihm dafür nicht mehr.

      Jonny verbrachte die ganze Zeit bei seiner Mutter. Diese war aber, jetzt, da sich ihr sehnlichster Wunsch erfüllt hatte, entschlossen zu sterben. Sie lag auf einem Bisonfell auf der Erde, aß und trank nichts mehr und schaute nur unverwandt ihren ältesten Sohn an. Der streichelte ihre Hände. Eine Woche später schlief sie für immer ein. Im Tod sah ihr Gesicht entspannt und glücklich, fast jugendlich aus.

      Gefolgt vom halben Dorf trugen Jonny und seine Halbbrüder den Leichnam in die Berge zum Bestattungsplatz. Am zweiten Morgen nach dem Leichenschmaus verließen Jonny und Dave das Apachen-Lager.

      *

      Jonnys Stamm hatte sein Revier im Grenzgebiet von Texas, Mexico und New Mexico. Er gehörte zum Volk der Mescalero-Apachen, die nördlich von ihnen lebten. Jonny erinnerte sich noch gut an die Erzählungen älterer Krieger, die von gemeinsamen Bison-Jagten in den Prärien New Mexicos schwärmten, von der dortigen schönen Landschaft, der trockenen Luft, dem klaren Himmel. Er hatte sich damals vorgenommen, so erzählte er Dave, das alles einmal zu erleben. Nun verfügten beide über Zeit und Muße, Jonnys Traum Wirklichkeit werden zu lassen.

      Sie hatten vor, New Mexico vom flachen Südosten bis zum bergigen Nordwesten zu überqueren. Da für sie Zeit eine untergeordnete Rolle spielte, hatten sie ihre schnellen Texas-Pferde gegen die vielseitigeren, aber nicht so wertvollen Maultiere eingetauscht. Als Kompensation erhielten sie von Jonnys Brüdern reichlich Proviant dazu einen Bogen samt Pfeilen sowie ein mit indianischen Zeichen versehenes Stück Leder, das die Landkarte von New Mexico darstellen sollte. Jonny und Dave verfügten zwar seit ihrem Clou in St. Louis über reichlich Barmittel, doch mistrauten Indianer allgemein den Dollars des weißen Mannes.

      Ihr Ritt führte sie zunächst am Pecos River entlang nach Norden. Dave übte sich, wann immer möglich, im Bogenschießen, bis er es ebenso gut beherrschte wie Jonny. Mancher Präriehund musste daran glauben und landete am Bratspieß. Sie hatten den Bogen erworben um zum einen, ihre Gewehr-Munition zu schonen, zum anderen, um lautlos zu bleiben. Sie hatten sich vorgenommen, ein Zusammentreffen mit Indianern zu vermeiden; schließlich gab es hier nicht nur Apachen sondern auch deren Feinde, die Comanchen. Immer bevor sie einen Landstrich unter die Hufe nahmen, beobachteten sie ihn genau durch ihr Fernglas und sie bewegten sich so, dass sie notfalls