Michael Stuhr

DAS OPFER


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Stoff sich die Nähte ihres BHs abzeichnen und darüber eine leichte Jacke, die sie garantiert nicht in irgendeinem Billigladen gekauft hat.

      „Das ist Detective Auburn“, stellt Larence seine Kollegin vor. Die mustert Lou und mich, wie ein paar besonders widerliche Schädlinge. Sie ist perfekt geschminkt und frisiert. Da liegt jedes Haar an seinem Platz, während ich mir mit meinen noch vom Schlaf verquollenen Augen und strubbeligen Haaren etwa so attraktiv vorkomme wie eine Küchenschabe.

      „Sie waren gestern Nacht auf der Golden Gate Bridge und haben einen Selbstmörder beobachtet?“, fragt Larence uns. Schon wieder schleicht sich dieses anzügliche Grinsen auf sein Gesicht.

      „Ja“, erwidere ich, „und was ist daran so lustig?“

      Larence räuspert sich und sein Gesicht wird ernst. „Nichts, nichts“, erwidert er und legt seine Stirn in nachdenkliche Falten. „Also wer sind Sie?“ fragt er und deutet dabei kurz mit dem Kinn auf mich.

      „Lana Rouvier“, nenne ich meinen Namen.

      „Klar!“, nickt er.

      Wieso klar? – Woher kennt der mich? „Darf man erfahren, was sie von uns wollen?“

      „Nun ja“, er räuspert sich erneut, „Miss Álvarez´ Autonummer wurde auf der Brücke notiert, und am Ufer der Bay wurde eine Leiche gefunden.“ Mit zusammengekniffenen Augen sieht Larence uns an.

      „Eine Leiche?“, flüstere ich und denke sofort an meinen Traum und an Diego.

      „Was für eine Leiche?“ fragt Lou und ich spüre, wie sich ihre Hand noch etwas fester um meine schließt.

      „Die Leiche einer Frau“, antwortet Lawrence und beobachtet genau unsere Reaktionen. „Also: Sie haben letzte Nacht auf der Golden-Gate-Bridge eine Person gesehen, die sich umbringen wollte, und nun wundern Sie sich darüber, dass eine Leiche gefunden wurde?“, fragt er lauernd. „Können Sie mir das erklären?“

      „Sie hat überhaupt nichts gesehen“, springe ich schnell ein, weil Lou dasteht wie vom Blitz getroffen und kein Wort herausbekommt. – Was hat sie nur? - „Ich habe sie gebeten, anzuhalten, weil ich einen Schatten hinter dem Geländer gesehen hatte.“

      So! jetzt weiß Lou, dass sie die Ahnungslose spielen soll. Hoffentlich hält sie sich daran. - Im Lügen bin ich einfach besser als sie. Die ersten achtzehn Jahre meines Lebens habe ich mit Vater, Mutter und Bruder in einer Stadtwohnung verbracht. Da lernt man es, hier und da ein paar Dinge zu verheimlichen, das ist einfach lebensnotwendig.

      „Sie habe ich eigentlich nicht gefragt.“ Der Detective sieht mich streng an. – Er ist sauer, weil ich seine Strategie kaputtgemacht habe. Lou ist raus aus der Nummer. Sie braucht jetzt nur noch all seine Fragen mit „Weiß nicht“ zu beantworten, und er wird keinen Millimeter weiterkommen. – Schließlich geht es ihn nichts an, dass wir beide uns in der letzten Nacht eigentlich umbringen wollten. Ich habe keine Lust, mich deswegen zur Beobachtung in eine Klapsmühle einweisen zu lassen.

      „Ich weiß, dass Sie mich nicht gefragt haben.“ Ich schaue Larence trotzig ins Gesicht. „Aber wenn Sie Antworten haben wollen, müssen Sie schon mit der Person reden, die auch etwas gesehen hat. – Also: was ist das für eine Leiche, die da gefunden wurde?“

      Lou drückt kurz meine Hand und lässt dann los. Sie hat verstanden und wird den Mund halten. Gut!

      „Der Körper einer jungen Frau ist am Ufer gefunden worden.“ Larence schweigt und wartet die Wirkung seiner Worte ab.

      „Einer Frau, die Sie gut gekannt haben“, mischt seine Kollegin sich ein und sieht Lou abwartend an.

      „Wie? Wer?“ Lous Stimme klingt so unsicher, dass ich sofort merke, dass sie mehr weiß, als sie zugeben will.

      Detective Auburn spürt das auch. „Nun tun sie doch nicht so!“, fordert sie. „Schließlich war sie monatelang Ihre Freundin. Sie scheinen sich ja ziemlich schnell getröstet zu haben“, Sie wirft mir einen abschätzigen Blick zu. „aber ganz vergessen haben Sie sie doch bestimmt noch nicht.“

      „Alicia?“ Lous Gesicht wird aschfahl. „Alicia ist tot?“

      „Genau!“ Detective Auburn scheint den Moment zu genießen. Sie mag Lou nicht, und sie lässt es sie spüren. „Ihre ehemalige – Gespielin ist heute Morgen tot am Ufer der Bay gefunden worden“, sagt sie mit kaltem Lächeln, „und Sie beide hat man auf der Brücke gesehen. Was für ein seltsamer Zufall, dass ausgerechnet Sie und Ihre neue Freundin dort waren, nicht wahr? Na, kommt die Erinnerung langsam wieder?“

      Mich hat es auch kalt erwischt. Alicia, die mich in den Selbstmord treiben wollte, hat die Nacht selbst nicht überlebt? Ich spüre, wie mir die Knie weich werden, aber nur kurz, dann habe ich mich wieder einigermaßen im Griff. „Das ist absurd!“, protestiere ich. „Sie verdächtigen uns doch nicht wirklich?“

      Detektiv Larence hebt kurz die Schultern. „Wäre nicht das erste Lesbendrama, das tödlich endet“, meint er nur.

      Lesbendrama, wie sich das anhört! Geht es noch abwertender?

      „Sie haben diese Alicia Moss doch auch gekannt, Miss Rouvier“, hakt seine Kollegin sofort ein. „Man hat sie zusammen beim Feuer im Greek-Theatre gesehen. Sie haben sich gestritten.“

      „Ja, das stimmt“, gebe ich zögernd zu.

      „Worum ging es denn dabei?“

      Ich schweige. - Ich kann doch unmöglich sagen, dass Alicia mir dort am Feuer diese Selbstmordgedanken eingepflanzt hatte, weil sie Diego für sich haben wollte.

      Larence legt den Kopf ein wenig schräg, als würde er nachdenken. „Schätze mal, diese Moss wurde lästig, und da haben Sie sie einfach so beseitigt.“ Jedes Lächeln ist aus seinem Gesicht verschwunden. Er meint es wirklich ernst! „Ich schlage mal vor, dass wir alle zusammen in mein Büro fahren und dort versuchen, die Sache zu klären.“

      „Haben wir eine Wahl?“, will Lou wissen.

      „Nein! Wenn Sie einen Anwalt anrufen wollen, können Sie das jetzt tun.“

      Festgenommen! Verhaftet! – Was weiß ich, wie die das hier genau nennen. Auf jeden Fall stehen wir unter Mordverdacht und müssen mitkommen. Mann, oh Mann, wir stecken ganz schön tief im Dreck!

      Als Detective Auburn uns unsere Rechte vorliest, drängt sich ein einziges Wort in meine Gedanken und will nicht mehr weggehen: Merde! Merde! Merde! ...

      04 MORGUE

      Knapp zwei Stunden später neigt sich der Alptraum, in den ich da hineingeschlittert bin, scheinbar dem Ende zu. Vor Lous Haus hatten zwei uniformierte Polizisten in einem Streifenwagen gewartet, in den ich einsteigen musste, während Lou mit den Detectives in deren Wagen gefahren war. Damit hatte man wohl verhindern wollen, dass wir unsere Aussagen miteinander abstimmen.

      Mordverdacht! - Man hatte uns behandelt wie Schwerverbrecher. Wir konnten fast schon dankbar dafür sein, dass man uns keine Handschellen angelegt hatte.

      Verhört hat man uns auch in verschiedenen Räumen. Während ich mit Larence in einem tristen Vernehmungsraum gehockt habe, hat diese Auburn sich wohl Lou vorgenommen. Bei dem Gedanken, dass meine Freundin dieser arroganten Zicke ausgeliefert ist, ist mir regelrecht schlecht geworden.

      Larence hat den Raum immer wieder mal verlassen, wohl um sich mit seiner Kollegin über den Fortgang des Verhörs auszutauschen. Vielleicht aber auch nur, um mich ein wenig schmoren zu lassen. – Wenn das der Plan war, dann hat er ganz gut funktioniert: Allein in diesem fensterlosen Raum mit seinen kieselgrau gestrichenen Wänden zu sein, ist mir so auf das Gemüt geschlagen, dass ich schon nach wenigen Minuten laut schreiend an die Tür hätte hämmern können.

      Man macht sich keine Vorstellung davon, wie deprimierend es ist, in so einem totenstillen, schlecht beleuchteten Raum zu hocken, in dem alles grau ist. Der unvermeidliche Spionspiegel starrt auf einen herab wie ein Feind, und man weiß, wenn die