Michael Stuhr

DAS OPFER


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meinst du?“ Alicia lächelte ihn an. „Mein Lied? – War mein Gesang nicht okay?“ Fast konnte man meinen, es sei ein unschuldiges Lächeln, aber das Flackern ihrer Lider sagte Diego, dass sie genau wusste, wovon er sprach. Ihre Gedanken konnte er nicht hören, aber er spürte ihre Gegenwehr fast körperlich.

      „Komm Alicia, tu nicht so harmlos. Du weißt genau, was ich meine. Lass mich einfach in Ruhe, und halte dich vor allem von Lana fern. Sie gehört zu mir, da wirst du nichts daran ändern. Halt dich aus unserer Beziehung raus. Hör auf, sie zu bekämpfen und hör auf mir nachzuschleichen.“ Diego atmete tief ein und sah Alicia mit zusammengezogenen Augenbrauen an.

      „Aber ich mag Lana!“ Alicia sagte das mit einem so bezaubernden Lächeln, dass man ihr fast hätte glauben können. „Sie sieht hübsch aus. - Ich denke nur, dass sie nicht so richtig zu dir passt, das ist alles. Ich meine: sie ist doch nicht aus unserem Volk. Ich mache mir da echt Sorgen ...“

      „Hier in Amerika nennt man so was Rassismus“, lachte Stavros, der einen Teil des Gesprächs mitgehört hatte.

      Diego war die Sache zu ernst um auf die Flachserei einzugehen, außerdem machte Alicias Heuchelei ihn langsam wütend. „Lass mich endlich in Ruhe“, forderte er. „Und wo wir schon dabei sind: Wenn du jemals wieder heimlich in mein Zimmer eindringst, wird es dir verdammt Leid tun! Such dir meinetwegen irgendwo einen Freund, der auf so was steht, und dann viel Spaß mit ihm. - Alles klar jetzt?“

      „Ja, ja!“ Alicia lächelte Diego zu und drehte sich zu Stavros um. „Na, wie ist es“, wollte sie von ihm wissen, „willst du mit mir gehen?“

      „Klar doch!“, grinste Stavros. „Für wie lange denn?“

      „So lange, wie es uns beiden gefällt.“

      „Okay! Dann mache ich jetzt Schluss mit dir.“

      „Schade“, meinte Alicia. „War ne schöne Zeit.“

      „Fand ich auch.“ Stavros wandte sich Daryl zu, der ihm auf seinem I-Phone etwas Wichtiges zeigen wollte.

      „Hallo! Ich bin wieder frei“, lächelte Alicia Diego an.

      „Vor Allem bist du ziemlich krank“, stellte Diego fest.

      „Du solltest nicht so hässlich zu mir sein“, beschwerte Alicia sich, „schließlich hat mein Freund gerade mit mir Schluss gemacht.“

      „Freut mich für ihn“, meinte Diego nur und wandte sich von ihr ab. „Ich schau mal nach, wo Lana sich verkrochen hat.“ Er drängte sich aus der Gruppe heraus, die das Geplänkel zwischen ihm und Alicia mit wachsendem Vergnügen verfolgt hatte.

      Zunächst ging Diego an dem Absperrband entlang, das den Feuerplatz absicherte. Als er das riesige Feuer halb umrundet hatte, war er sich ziemlich sicher, dass Lana im Moment nicht auf dem Platz war. Ein Security-Mann hatte allerdings gesehen, dass ein schlankes Mädchen mit langen blonden Haaren die Absperrung durchquert hatte und mit schnellen Schritten auf den Ausgang zugegangen war. Sie war ihm aufgefallen, weil ihr Gesicht aschfahl gewesen war. Sie schien irgendwelche Schwierigkeiten gehabt zu haben, also hatte er sie ziehen lassen ohne sie anzusprechen. Ansonsten war es für die Freshmen nicht so einfach, sich der Schufterei des Holzschleppens zu entziehen. Sogar für den Gang zur Toilette musste man sich abmelden, aber hier hatte der Typ mal eine Ausnahme gemacht.

      Lana musste wirklich übel ausgesehen haben. Diego bedankte sich bei dem Mann und steuerte auf den Ausgang des Theaters zu.

      „He, Diego, alter Haifischjäger, wohin geht´s?“, tönte es da in voller Lautstärke über den Platz. Hercule winkte ihm über fünfzig Meter hinweg wild zu und kam mit Biggy im Schlepp zielstrebig heran.

      Diego blieb stehen. „Habt ihr Lana gesehen?“

      „Nee! Wieso? Ist sie weg?“ wollte Hercule wissen.

      „Am Feuer ist sie nicht mehr“, gab Diego Auskunft, „und einer der Wachleute hat sie zum Ausgang gehen sehen. Sie soll ziemlich blass gewesen sein.“

      „Total überanstrengt“, vermutete Biggy. „Diese Holzschlepperei ist doch die pure Schikane.“

      „Dann wäre sie doch sicher zu mir gekommen, damit ich sie heimbringe“, meinte Diego. „Da muss noch was Anderes gewesen sein!“

      „Ruf sie doch einfach an“, schlug Hercule vor.

      „Mach ich nicht so gerne.“ Diego kniff ein wenig die Lippen zusammen, zog aber doch sein Handy heraus und aktivierte das Display. „Sie soll sich nicht kontrolliert fühlen.“

      „Dann mach ich das!“ Kurz entschlossen schnappte Biggy ihm das Handy aus der Hand und begann sofort darauf herum zu tippen. „Schließlich machen wir uns Sorgen!“ Ungeduldig nahm sie das Gerät ans Ohr und nickte nach ein paar Sekunden. Der Ruf ging wohl durch. Plötzlich nahm sie das Handy wieder herunter und sah es mit zusammengezogenen Augenbrauen an. „Weggedrückt!“, stellte sie fest. „Hier, probier du mal!“, forderte sie Diego auf.

      Die gespeicherte Nummer war schnell gewählt, und diesmal kam sofort die Ansage, dass der Teilnehmer zurzeit nicht erreichbar sei.

      „Habt ihr euch gezankt?“, wollte Biggy wissen.

      „Blödsinn!“, wehrte Diego ab. „Nicht die Spur. – Ich geh sie jetzt suchen.“

      „Ja, mach das!“, stimmte Biggy zu. „Hercule und ich fahren derweil zum International House. Vielleicht ist sie ja schon dort.“ Entschlossen nahm sie den verdutzt dastehenden Hercule bei der Hand und zog ihn in Richtung Ausgang.

      ‚Super, diese Frau!’, stellte Diego still für sich fest. Wenn sie auch manchmal einen etwas verpeilten Eindruck machte: wenn es darauf ankam, wusste sie genau, was zu tun war. Ohne noch eine Minute zu verlieren machte er sich daran, die Gänge des Greek-Theatre nach Lana abzusuchen.

      Nach einer Odyssee durch die Restrooms war es Diego klar, dass Lana sich nicht mehr hier aufhielt. Fast war er dankbar dafür, dass er bei seiner Suche auf Alicia stieß, die es für ihn übernahm, tiefer in die für Frauen reservierten Räume hinein zu gehen. Bevor er den braven amerikanischen Girls einen Schock fürs Leben verpasste, weil er plötzlich in der Damentoilette auftauchte, ertrug er schon lieber das anzügliche Grinsen seiner Helferin.

      „Tja, nirgends zu finden“, stellte Alicia schließlich fest. „Hat sich wohl schon verdrückt.“

      „Nett, dass du mir geholfen hast“, bedankte Diego sich und versuchte zum x-ten Mal, Lana über Handy zu erreichen. – Wieder keine Verbindung.

      „Gehen wir“, meinte Alicia gleichmütig. „Sie ist weg, sieh es ein.“

      „Ja, gehen wir!“ Etwas zu spät fiel es Diego auf, dass er gerade an Alicias Seite vom Gelände ging. So war das von seiner Seite aus nicht geplant gewesen, aber wenn Lana es nicht nötig hatte, ihm Bescheid zu sagen, wenn sie ging ...

      Auf dem Parkplatz stoppte Alicia und sah ihm ins Gesicht. „Ciao Diego“, sagte sie im Ton größter Aufrichtigkeit, „tut mir Leid, dass sie einfach so abgehauen ist. Ich fahr dann auch mal nach Hause.“

      „Ja, danke noch mal.“ Nachdenklich sah Diego ihr nach. - Eigentlich war diese Alicia doch ganz in Ordnung. Unwillig steckte er das Handy ein, das er die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte.

      So langsam ärgerte es Diego, dass Lana nicht zu erreichen war. Eigentlich hatte er ja vorgehabt, zum International-House zu fahren, um nachzusehen, ob sie inzwischen dort war, aber als das Handy klingelte und Hercule sich meldete, erfuhr er, dass sie dort auch nicht angekommen war. „Dann lass sie“, teilte er dem verdutzten Hercule mit „Sie ist schließlich alt genug und muss wissen was sie tut.“ Damit beendete er das Gespräch, stieg in seinen Wagen und fuhr zum Wohnheim.

      In seinem Zimmer angekommen war die leichte Verärgerung über Lana immer noch nicht verflogen. Angezogen legte Diego sich auf sein Bett und wartete darauf, dass sie ihn endlich anrief. Immer wieder drängte sich Alicias Lied in seine Gedanken, und ihr Bild tauchte vor seinem inneren Auge auf. – Eigentlich hatte sie sich heute doch