Dietmar Kottisch

Der Totenflüsterer


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der linken hielt sie die Zigarette.

      „ Hast du es ihr verboten? Oder hast du sie gebeten, nicht zu rauchen?“

      Als ob Klara von seiner erotischen Spannung ahnte. Er gab ihr keine Antwort.

      Dann kam Irmgard wieder zurück. „Hätten Sie keine Lust dabeizusitzen?“ fragte sie Klara, und ohne eine Antwort abzuwarten, ergänzte sie: „Mein Mann hat kein Interesse an den Stimmen.“

      Klara überlegte kurz. Wenn sie jetzt auch nein sagen würde, würde sie sich auf die gleiche interessenlose Stufe stellen wie Irmgards Mann. Also sagte sie kurzerhand „Ja.“

      Und holte sich einen Stuhl und setzte sich zwischen Paul und Irmgard.

      Paul zuckte mit den Schultern. „Machen wir weiter.“

      „Dieses <Muss Irmgard wissen> wirst du gleich erfahren.“

      Dann drückte sie wieder auf die Play-Taste.

      Die andere Männerstimme, Toni, meldete sich: >Esther nicht bewusstseinslos..<

      Esther: > Heiner mein Kind nicht Hammermörder<

      Toni: >Muss nicht Irmgard wissen<

      Plötzlich eine weitere Stimme: >Schnauze, Toni<

      Irmgard: „Was sagt er da, Esther? Du warst nicht bewusstlos?“

      Esther: >Ich nicht bewusstseinslos … Esther Hammer genommen ...<

      Paul hörte das Zittern in Irmgards Stimme.

      Klara riss die Augen weit auf. „Oh Gott…“

      „Esther, du hast den Hammer genommen? Bitte sag es mir…“

      >Esther Hammer genommen …<

      Wilhelm: > … Esther mit Hammer…Wilhelm getötet …Esther Mordweib..<

      Esther: >Du mein Mann … viel Leid in Familie … Wilhelm macht kaputt meine Kinder … viel Schnaps .. viel Schläge .. Wilhelm greifen Lore … Lore noch Kind … Wilhelm muss sterben .. . Esther hat Hammer genommen …Meine Kinder Heiner und Lore…traurig…<

      Eine sehr lange und aufschlussreiche Passage.

      Paul spürte eine ungeheure Anspannung. Irmgard saß da und war ganz ruhig. Aber ihr Gesicht war leichenblass. Klara hielt eine Hand vor den Mund.

      Irmgard drückte auf die Pausetaste und nahm einen Schluck Tee.

      „Was ich gehört habe, ist, dass nicht der Sohn den Alten erschlagen hat, sondern dass es Esther selbst gewesen ist, hab ich richtig gehört?“ sagte Paul.

      „Das, was ich jetzt sage, entnahm ich den Aussagen auf den anderen Bändern. Ich habe meine Schwester ausgefragt, du kannst die Bänder alle hören. Für die Polizei war das damals eindeutig. Der Junge hatte gestanden, beide Elternteile waren tot. Aber es lief anders ab. Wilhelm kam nach Hause, war schon besoffen und wollte Esther das Geld abnehmen. Als er sie schlug, fiel sie zwar gegen die Tischkante, war aber nicht bewusstlos, sondern rannte in die Abstellkammer und holte den Stielhammer und schlug ihn ihm auf den Kopf. Dann hat sie zusammen mit Heiner den Mann ins Schlafzimmer gezerrt und aufs Bett gelegt und nochmals zugeschlagen. Dort im Schlafzimmer hat die Polizei auch das viele Blut gesehen, im Wohnzimmer hat es Lore weggewischt. Dann erst wurde der Notarzt gerufen und Esther wurde ins Krankenhaus gebracht, weil die Schläge und das Stürzen auf die Tischkante innere Blutungen verursacht hatten. Wilhelm lag zwischenzeitlich tot im Schlafzimmer, bis dann Heiner die Polizei anrief und gestand, weil er seine Mutter schützen wollte. Er konnte nicht ahnen, dass sie bald sterben wird.“

      „ Und er hat sich an Lore vergangen, seiner eigenen Tochter!“ flüsterte Klara. Dann holte sie eine leere Tasse und schenkte sich Tee ein.

      Er stand auf und ging auf die Terrasse, holte tief Luft. Irmgard nutzte diese Pause und kam nach. Sie steckte sich wieder eine Zigarette an. Irmgard fragte, ob sie noch einen Schluck Wein bekommen könnte.

      Klara stand auf und ging in die Küche. Sie öffnete eine Weißweinflasche und goss ein Glas ein. Dann ging sie damit auf die Terrasse und reichte es dem Gast mit einer Untertasse, die sie als Aschenbecher benutzen sollte.

      „Und dieses Geheimnis haben Sie die ganze Zeit für sich behalten?“ fragte sie.

      „Ja. Aber wem würde es was nützen, wenn jetzt die Wahrheit ans Licht käme? Heiner lebt in einer anderen Welt. Zwar ist er Grabpfleger, aber mehr kann er nicht tun. Lore lebt noch immer bei ihrer Oma.“

      Paul drehte sich zu den Frauen um. „Ich muss immer an diese Reflektion denken, dass der Mensch sein ganzes Wissen mit hinüber nimmt. Aber was passiert da? Esther hat es nicht überwunden, sonst würde sie es uns nicht sagen.“

      Er drehte seinen Kopf zur Seite, als ihm Irmgard den Zigarettenrauch genau ins Gesicht blies und sich sofort entschuldigte.

      „Vielleicht stimmt das Dogma der Kirche, dass es eine Art Fegefeuer gibt. Ich will es lieber Reinigungsprozess nennen, das hört sich moderner an,“ sagte Klara.

      „Reinigungsprozess für die nächste Bewusstseinsstufe, meinst du wohl?“

      Irmgard drückte den Rest der Zigarette auf dem Unterteller aus. Dann gingen sie wieder hinein.

      Paul und Klara fühlten eine Traurigkeit; irgendwie hatten sie Mitleid mit Irmgard, weil sie die ganze Zeit über mit keinem Menschen darüber sprechen konnte.

      Irmgard trank ihr Glas aus und drückte auf die Play-Taste.

      Esthers Stimme: >Wilhelm schlecht Vater und schlecht Mann … Heiner nicht Sohn von Wilhelm<

      >Bastard…Esther hat Wilhelm betrogen…<

      Später dann bestellte Paul ein Taxi für Irmgard, weil sie noch 2 Gläser Wein getrunken hatte.

      Ihren Wagen würde sie morgen abholen.

      Am Abend dann spielte er wieder ein. Er musste mit Esther kommunizieren, weil er jetzt um ihr Geheimnis wusste.

      >Esther hier … Paul besser Mann für Irmgard…<

      Er stemmte seinen Ellenbogen auf den Schreibtisch und legte sein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger, als er die Mitteilung hörte. Was sollte das nun heißen? Ich wäre ein besserer Mann für ihre Schwester, weil ich mich für ihre Stimmen interessierte, und ihr Mann nicht? Oder sollte das etwa bedeuten, dass sie über seine sexuelle Spannung Bescheid wusste? Er schüttelte den Kopf und dachte: Lass das nur nicht Klara hören!

      Und dann kam noch einmal ihre Stimme > sexy dominus<

      Der dominante Paul.

      Er starrte das Tonband an.

      Er konnte nicht ahnen, dass diese Worte eine Voraussage waren.

      Nach einer kurzen Pause, in der er sich immer wieder aufs Neue wunderte, dass die Jenseitigen doch so nah am Geschehen waren, und dass sie sich verschiedener Sprachen bedienten, sagte er: „Esther, ich weiß, was damals passiert ist. Und es tut mir so unendlich Leid für dich und deine Kinder.“

      Dann kamen ein paar Worte, die er nicht verstand.

      „Ich habe gehört, wie du mit deinem Mann gesprochen hast.“

      >Esther hat Wilhelm getötet … ja Paule…<

      „Ich habe dein Bild gesehen, Esther. Du bist eine schöne Frau.“

      >Paul Charmeur …und…< Der Rest ihrer Worte ging im statischen Rauschen und Knacken unter. Paul schaute sich unwillkürlich um, ob nicht Klara in der Ecke stand!

       11.

      Es blieben einige Fetzen in seinem Bewusstsein hängen, als er aufwachte und sich wieder an dieses Bild erinnern konnte: das bekannte tote Babygesicht mit plötzlich weit aufgerissenen Augen, das sich dann blitzartig zu einer Fratze verwandelte.

      Sein