Vera X

Spaghetti extra scharf


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als sonst und unüberhörbar laut den Hausflur. Frau Slomka enttäuschte mich nicht. Sie war sofort zur Stelle. Unter den Neuigkeiten, die sie mir unbedingt unter die Nase reiben musste, interessierte mich nur eine: Die Nachbarin aus der ersten Etage hatte vor Kurzem alte Sachen in den Keller gebracht. Endlich hatte ich eine heiße Spur. Wie heiß, das sollte ich noch erfahren. Es reichte jedenfalls aus, um sich daran gehörig die Finger zu verbrennen.

      Ich nahm mir vor, der Dame einen Besuch abzustatten. Aber ohne Anmeldung. Ironie des Schicksals, dass sie fast den gleichen Namen hatte wie ich. Eine Frau Becker, aber mit >e<.

      Am nächsten Freitagmorgen wartete ich mit Spannung darauf, dass die Nachbarin aus dem ersten Stock das Haus verließ, um zur Arbeit zu fahren. Fast wie Frau Slomka stand ich hinter der Gardine. Ich sah ihr nach, wie sie die Straße entlanglief und bald darauf um die nächste Ecke verschwunden war.

      Ich setzte mich an den Küchentisch und schob ungeduldig eine bereits leer getrunkene Kaffeetasse von einer Seite der Tischplatte zur anderen. Manchmal stand ich auf und ging im Zimmer auf und ab, während ich immer wieder auf meine Armbanduhr sah.

      Endlich hörte ich die Haustür von Frau Slomka. Frisörtermin.

      Ich holte die große Leiter vom Dachboden. Unter dem Balkon von Frau Becker hatte die alte Frau Slomka ihren Wintergarten. Über das mit Dachpappe gedeckte Flachdach konnte ich leicht am Balkongeländer hinaufklettern. Die Fenster waren nur gekippt. Kein Problem, eines davon zu öffnen. Kurz darauf stand ich im Wohnzimmer der Nachbarin.

      Die Einrichtung war modern mit weißen Regalen und einem zweitürigen, weißen Kleiderschrank. Vor dem Wohnzimmertisch aus Plexiglas standen zwei Stühle mit Segeltuchbespannung, die zwar schick aussahen, aber weniger als Sitzgelegenheit geeignet zu sein schienen. Ein Regal war mit CDs gefüllt. Deutsche Schlager. Die ganze Palette. Wie konnte eine junge Frau so einen schlechten Geschmack haben. Ich durchsuchte Schrank und Regale und sah in jede Ecke. Aber ohne Erfolg.

      Auf Zehenspitzen huschte ich in den Flur, der zu schmal war, um darin Möbelstücke unterzubringen. Nur ein Kleiderständer hatte noch in einer Ecke Platz gefunden. Von einem Plakat an der Wand sah mich einer dieser deutschen Schlagerfuzzis blöde an. Unhöflich streckte ich ihm die Zunge heraus.

      Auf gut Glück öffnete ich eine der Zimmertüren und stand im Schlafzimmer. Das französische Bett verhüllte eine gehäkelte Tagesdecke. Richtig niedlich und spießig. Was hoffte ich, hier zu finden? Der Kleiderschrank hatte verspiegelte Schiebetüren. Ich fragte den Rudi, der mich aus dem Spiegel ansah. Aber er gab mir leider keine Antwort.

      Hinter dem Bett stand eine Kommode. Als ich die unterste Schublade öffnete, machte mein Herz einen Hüpfer. Ob vor Aufregung oder Freude, weiß ich nicht mehr. Ich erkannte den blauen Stoffbeutel sofort. Ich benutzte ihn sonst für meine Wäscheklammern. Jetzt befand sich darin das ganze Geld. Das Aas hatte mich tatsächlich beklaut.

      Mein Zorn überdeckte die Überraschung, als die Nachbarin plötzlich mit verschränkten Armen im Türrahmen stand. Sie war nicht zur Arbeit gefahren, sondern nur zu einem kurzen Einkauf in die Stadt. Ein freier Tag.

      „Hab ich's mir doch gedacht“, sagte sie mit sichtlich zufriedener Miene. Sie genoss die Situation richtig.

      „Der nette Herr Bäcker mit >ä< aus dem zweiten Stock. Lassen Sie mich raten. Das Geld stammt aus einem Lottogewinn. Oder haben wir etwa eine Sparkasse überfallen? Auch ich lese manchmal Zeitung. Und dann noch bei den Nachbarn einsteigen. Was sagt man dazu.“

      Ich zischte zurück: „Warum geht die nette Frau Becker mit >e< aus dem ersten Stock eigentlich nicht zur Polizei und gibt das Geld dort ab? Will sie den Zaster etwa für sich behalten? Das ist aber nicht die feine Art.“

      „Ich wollte es ja abgeben“, sagte sie mit einem Schmollmund. „Einen Finderlohn gibt es dafür bestimmt.“

      „Das wird aber längst nicht so viel sein wie das, was in dem Beutel ist“, konterte ich. „Das hat sich die nette Nachbarin sicher auch schon gedacht. Deshalb liegt das Geld auch noch hier.“

      Mit einem unschuldigen Blick entgegnete sie: „Die Versicherung wird den Schaden schon ersetzen. Dann muss man es nicht unbedingt zurückgeben. Ich will meinen Anteil. Sechzig Prozent.“

      Ich konnte es nicht fassen. So ein ausgekochtes Früchtchen.

      „Fünfzig Prozent und nicht mehr“, sagte ich kurz und bündig. „Das ist fair und lässt sich besser rechnen.“

      „Einverstanden.“

      Sie hielt mir ihre kleine Patschhand hin. Ich schüttelte dieselbe kräftig. Jetzt hatte ich eine Partnerin.

      Äußerlich ging sie ja glatt als Traumfrau durch mit ihren dunklen Mandelaugen und einer klasse Figur. Eine Traumfrau, die einem Bankräuber die Beute klaute und dann fünfzig Prozent als Schweigegeld verlangte. Ich fragte mich, ob die Haare auf ihren Zähnen auch schwarze Locken hatten wie die auf ihrem Kopf.

      „Wollen wir uns nicht duzen?“, schlug sie vor. Ich nickte verlegen.

      „Ich bin der Rudi“, sagte ich. „Du kannst auch Rudi zu mir sagen. Das machen alle.“

      „Witz ist nicht gerade deine Stärke, wie?“, maunzte sie mich an. Und da hatte sie verdammt recht.

      Ich überlegte, was das >T< vor dem Namen an ihrem Türschild bedeutete. Vielleicht Theodora oder Tarantella.

      „Ich heiße Tamara“, sagte sie mit einem gekonnten Klimpern ihrer langen, künstlichen Wimpern. Sie versuchte sich an ihrem schönsten Lächeln. „Möchtest du Tee? Es ist türkischer. Der ist gut.“

      Mit gequälter Miene stimmte ich zu. Ich war gerade um vierzigtausend Piepen erleichtert worden.

      „Den kannst du ruhig trinken“, sagte sie, während sie das Tablett mit dem Teegeschirr auf den Tisch stellte. „Ich habe nichts hineingetan außer Tee. Leichen kann ich mir nicht leisten. Ich habe niemand, der den Dreck hinterher wegmacht.“

      Ich lachte und trank den türkischen Tee, der zugegeben ausgezeichnet schmeckte. Hinterher brühte ich mir in meiner Wohnung doch noch einen starken Kaffee auf. Nichts kann mich davon abbringen.

      Ich besuchte Tamara jetzt regelmäßig, aber nun kam ich durch die Eingangstür. Sie war meine Komplizin, und wir hatten einiges zu besprechen. Was sollte mit dem Geld passieren? Wir waren uns schnell einig, dass es vorläufig nicht angerührt werden sollte. Also musste es irgendwo versteckt werden, wo es nicht irgendein Schlaumeier finden konnte. Das mit dem Keller hatte jedenfalls nicht funktioniert.

      Tamara kamen die hirnrissigsten Ideen, wie im Wald vergraben. Sie hatte zu viele Filme gesehen.

      Ich saß eines Abends wieder in ihrem Wohnzimmer auf einem der unbequemen Segeltuchgestelle, die sich Sessel nannten. Tamara hatte auf einmal einen Gedankenblitz.

      „Komm mal mit“, sagte sie und zog mich mit sich in die Küche. Sie deutete auf eine Wand. Die kannte ich bereits.

      „Und was jetzt“, sagte ich leicht genervt.

      „Da muss dringend eine neue Tapete her“, entgegnete sie.

      „Und was dann?“

      „Mann, das ist die Lösung für unser Problem. Du machst ein Loch in die Wand, und wir verstecken das Geld darin. Ich habe auch eine Zigarrenkiste, da können wir es reinstecken.“

      Ich schlug mir heftig mit der Handfläche an die Stirn. „Das ist eine Mietwohnung. Da kann man nicht einfach Löcher in die Wand graben.“

      „Mit der Tapete drüber macht es doch nichts“, sagte sie. „Und nützliche Einbauten müssen schon erlaubt sein. Hast du eine bessere Idee?“

      Ich hatte keine. Vielleicht wäre es doch gut gewesen, die Lehre zum Maler und Lackierer zu machen. Und vorher hätte ich noch Maurer lernen können. Handwerker werden immer gebraucht.

      Ich ließ mich breitschlagen. Am Wochenende suchten wir im Baumarkt eine neue Tapete aus. Mit einem komischen Gefühl in der Magengegend schleppte ich die