Vera X

Spaghetti extra scharf


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reicht!“, sagte ich entschlossen. Zu lange wollte ich mich hier nicht aufhalten. Ich hatte nicht mitgezählt, aber es schien mir sowieso genug Zaster zu sein. Mit der Plastiktüte in der einen Hand und der Pistole in der anderen trat ich langsam zur Tür.

      „Keiner rührt sich! Zehn Minuten! Sonst schieße ich!“

      Wie ein harmloser Bürger trat ich wieder auf den Gehweg und lief durch die kleine Seitenstraße zum Bahndamm. Niemand folgte mir. Ich konnte es nicht glauben. Mein Plan hatte funktioniert.

      Hinter Gebüsch versteckt entledigte ich mich meiner Verkleidung. Unter dem blauen Arbeitsanzug trug ich eine leichte Sommerhose und ein ärmelloses T-Shirt. Ich zog die klobigen Arbeitsschuhe von den Füßen und schlüpfte in meine weißen Turnschuhe. Mit Feuchttüchern wischte ich mir die Schminke aus dem Gesicht, und ich nahm die grauhaarige Perücke ab, die bei der sommerlichen Wärme schon an einigen Stellen Juckreiz verursachte. Die ganzen Sachen legte ich auf das Geld in der Plastiktüte. Und die Plastiktüte warf ich in meine Segeltuchtasche. Ich wollte keine Spuren hinterlassen. In aller Seelenruhe trabte ich zum Bahnhof. Ich löste eine Fahrkarte und fuhr zurück nach Düsseldorf.

      Zu Hause fiel ich erst einmal völlig erledigt in einen Sessel. Zum Glück fing ich erst jetzt an zu zittern wie die Pappel im Wind. Wie hätte das in der Sparkasse ausgesehen.

      Wie leichtsinnig die Leute doch sind, dachte ich. Geben einfach alles Geld her, wenn man nur ein bisschen droht. Aber schließlich hatten die in der Sparkasse auch genug davon.

      Ich packte die Plastiktüte aus und zählte meine Beute. Ein unbeschreibliches Gefühl. Das Knistern von Geldscheinen ist was Besonderes. Vor allem, wenn es so viele auf einem Haufen sind. Vor mir lagen sortiert und gebündelt zwanzigtausend Deutsche Mark. Eine hübsche Summe. Ich hatte effektiv gearbeitet. Aber ich musste an die Zukunft denken. Wenn man keine vernünftige Arbeit hat, dann ist das auch nicht gerade viel. Ich nahm mir vor, die Sparkasse noch einmal heimzusuchen. Ein paar Wochen wollte ich warten. Erst sollte sich die Aufregung wieder gelegt haben.

      Ich entsorgte die Sachen, die ich bei dem Überfall getragen hatte, in die Mülltonne, auch die grauhaarige Perücke.

      Die Pistole habe ich dann doch noch meinem Neffen geschenkt, als Zugabe zu seinem Geburtstagsgeschenk. Der Gedanke machte mir Freude, dass er jetzt täglich mit einer Pistole, die bei einem Überfall benutzt worden war, auf Verwandte zielte.

      Vorläufig rührte ich das Geld nicht an. Ich wollte mich nicht verdächtig machen. Sicher ist sicher. Mein Leben sollte vorläufig weiterlaufen wie bisher.

      Bald fand sich auch ein geeignetes Versteck für die Beute. Der Keller in unserem Haus war verwahrlost und schmutzig, mit unverputzten Wänden. Selten ließ sich hier einer der Hausbewohner blicken. Höchstens einmal, um ausgediente Möbelstücke zu deponieren, die anderswo im Weg herumstanden. Ich rückte einen losen Ziegelstein aus einer Wand und legte das Geld in die Öffnung dahinter. Wer würde schon vermuten, dass dieses alte Gemäuer einen Schatz hütete. Ich fühlte mich wieder wie ein Mensch, der das Glück für sich gepachtet hatte.

      Später las ich beim Frühstück in der Tageszeitung alles über den gemeinen Überfall auf eine Sparkasse in Untereschenbach. Das Foto der Überwachungskamera zeigte einen älteren Herrn, der gerade mit einer Pistole die Angestellten bedrohte.

       Vom Täter keine Spur.

       Wer kennt den grauhaarigen Mann?

      Ich grinste und hatte meinen Spaß an diesem Artikel.

      In einem anderen Stadtteil und in einem anderen Haus saß eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter ebenfalls beim Frühstück. Auch die Mutter las in der Zeitung.

      Die kleine Ida deutete mit dem Finger auf ein dort abgebildetes Foto: „Den Mann kenn ich.“

      Die Antwort der Mutter war knapp und unmissverständlich: „Iss dein Müsli.“

      Aber die kleine Ida ließ nicht locker. „Das ist der Mann aus dem Zug. Der aus der Toilette gekommen ist, obwohl er gar nicht reingegangen ist. Das hab ich dir doch erzählt.“

      Die Mutter interessierte das nicht. Sie hatte andere Sorgen. „Iss endlich“, sagte sie. „Du kommst noch zu spät zur Schule.“

      In Gedanken war sie bereits bei den Einkäufen, die sie zu erledigen hatte. Sie stand auf und holte aus dem Schrank eine Schultasche. Für sie war die Angelegenheit damit erledigt. Sie hatte nicht mit der Hartnäckigkeit einer Sechsjährigen gerechnet.

      Am nächsten Morgen filzte die kleine Ida heimlich den Mülleimer in der Küche. Sie holte die Tageszeitung vom Vortag heraus und steckte sie unbemerkt in ihre Schultasche.

      Schulstunden können langweilig sein. Wer hat schon Lust, blöde Rechenaufgaben zu lösen, wenn es Wichtiges zu erledigen gibt.

      Als Ida am Mittag aus der Schule kam, machte sie sich nicht wie gewöhnlich auf den Heimweg. Sie lief in die andere Richtung zum Polizeipräsidium.

      Der diensthabende Polizist schaute etwas ratlos, als ihm ein kleines Mädchen, das kaum mit dem Scheitel über den Tresen reichte, eine Tageszeitung überreichte und dazu eine unglaubliche Geschichte erzählte. Ida hatte sogar eine Zeichnung von dem verschwundenen Mann gemalt, die sehr einem bunten Strichmännchen ähnelte.

      „Weißt du, wir haben hier auch Leute, die zeichnen können“, sagte der Beamte. „Möchtest du dir das mal ansehen?“

      Ida war einverstanden.

      Der Beamte hielt die Aussage der Kleinen für glaubhaft und er holte einen Mitarbeiter der Kripo dazu. Das war Paul Wenig, ein dicker und gutmütiger Polizist, wegen seines Bauchumfangs von allen nur Bärchen genannt und erst sechsundzwanzig Jahre jung.

      Ein Protokoll wurde aufgenommen. Die Verbindung zu dem Überfall auf die Sparkasse in Untereschenbach war schnell hergestellt. Es gab nicht viele grauhaarige Männer mit Arbeitsanzug, die an jenem Tag in dem kleinen Ort aus dem Zug gestiegen waren.

      Der Polizeizeichner fertigte nach Idas Angaben ein Bild an, das zur Fahndung nach dem Sparkassenräuber eher geeignet zu sein schien. Danach war für Ida klar, was sie später einmal werden wollte: Zeichnerin bei der Polizei.

      Eine Kleinigkeit fehlte allerdings noch. Die kleine Ida reckte keck den Kopf nach oben. „Gibt es dafür auch eine Belohnung?“

      Verlegen sahen sich die beiden Polizisten an.

      Der dicke Paul fasste mit der Hand an sein Doppelkinn und überlegte. „Mal sehen … Eigentlich schon … Bei wichtigen Hinweisen ist das immer so … Dafür gibt es ein extra großes Kindermenü von Burger King. Wie hört sich das an?“

      Ida strahlte.

      Paul lief ins Nebenzimmer und entleerte das weiße Sparschwein mit der rosa Schnauze. Die Kaffeekasse der Abteilung.

      „Mist. Reicht nicht“, schimpfte er.

      Die wenigen Münzen, die aus dem Bauch des Sparschweins herausrollten, raffte er mit einem Handgriff zusammen. Dann eilte er an seinen Spind und holte seine Brieftasche.

      Ein Kollege unterbrach seine Schreibarbeit und sah ihm interessiert zu. „Darf man wenigstens wissen, wohin du mit unserem Geld durchbrennst?“

      „Ich muss mal eben weg“, sagte der dicke Paul. „Eine Dame ausführen. Ist übrigens dienstlich. Wir sind da an einer wichtigen Sache dran.“

      „Hört sich ja toll an. Hoffentlich weiß sie, dass Polizisten wenig verdienen.“

      Bald darauf lief Paul mit der kleinen Ida an der Hand die Straße hinunter in Richtung Burger King.

      Das Kindermenü bestand aus einem Hamburger, einer großen Portion Pommes, einem Milchshake und einem in Plastik verpackten Spielzeug als Zugabe. Zum Nachtisch gab es ein Eis mit einer Schicht Schokolade darauf.

      Paul war eigentlich auf Diät, wie meistens. Und wie meistens löste sich dieser Vorsatz beim Anblick der vielen Leckereien in Wohlgefallen