Vera X

Spaghetti extra scharf


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ein gemeinsames Schicksal verbindet auch manchmal. Ein fremdländisch aussehender Mann mit schwarzem Vollbart hielt mir einen Becher Tee aus einer Thermoskanne hin.

      „Trink mal“, sagte er mit einem schweren Akzent. „Bist neu hier?“

      Ich nickte und nippte verlegen an seinem Tee. Die Situation war mir peinlich. Ich war peinlich.

      Plötzlich bekam ich einen Hustenanfall, der es in sich hatte. Dieser Tee schmeckte und brannte verdächtig nach einem zusätzlichen Schuss Rum.

      „Etwas Sprit muss sein“, sagte mein neuer Kumpel und zeigte mit einem Lachen seine Goldkronen. Er schlug mir kräftig auf den Rücken.

      Sein Name war Salvatore und er stammte aus Sizilien. Er suchte eine Arbeit auf dem Bau.

      „Vielleicht ich geh auch in Fabrik, mal sehen“, sagte er mit viel Zuversicht in der Stimme. Er hatte wohl meine Gedanken erraten.

      „Warum sind die Deutschen immer so schlecht gelaunt“, sagte er. „Muss am Wetter liegen. Ganz sicher. Zuviel Regen. Ist gar nicht gut.“

      In den folgenden Wochen traf ich ihn hier manchmal. Aus Sympathie wurde eine dicke Freundschaft. Was Einmaliges, das fürs Leben hält.

      Er bekam dann eine Arbeit als Kellner in einem italienischen Restaurant. Der Glückliche. Ich sollte ihn und seine Familie noch in große Gefahr bringen. Es war keine Absicht, aber ein schlechtes Gewissen habe ich trotzdem immer noch, wenn ich daran denke. An unserer Freundschaft hat es zum Glück nichts geändert.

      Salvatore zeigte mir die wichtigsten Dinge, die man auf dem Amt wissen sollte. Er deutete auf das Ende des Ganges. Die Toilette. Falls die Blase den Stress nicht aushielt. Aus einem kleinen, grauen Kasten zog ich einen Zettel mit einer Nummer. Eine Digitalanzeige über unseren Köpfen zeigte die Nummer an, die gerade aufgefordert wurde, durch die undurchsichtige graue Tür vor uns einzutreten.

      Eine andere graue Tür öffnete sich, und ein übel gelaunter Mann stürmte heraus. Er drehte sich noch einmal um, und in einer fremden Sprache, die ich noch nie zuvor gehört hatte, schickte er eine lautstarke Schimpfattake in den Raum hinein. Ich verstand nur das Wort >Arschloch<. Und er schimpfte weiter, während er mit schnellen Schritten den Gang entlanglief. Die Blicke der Wartenden folgten ihm, bis er im Aufzug verschwand. Dann verfielen alle wieder in den Sparmodus der Trübsinnigkeit. Es gab da nicht nur deutsche Mitbürger, die schlecht drauf waren.

      Salvatore hob bedauernd die Schultern. „Antrag abgelehnt. Oder Arbeit scheiße. Kann man nix machen.“

      Es fiel mir schwer, mich von diesem Salvatore zu trennen. Ein Moment warmherziger Anteilnahme, den ich gerne länger festgehalten hätte. Aber langsam und unerbittlich tickte die Digitalanzeige weiter von Nummer zu Nummer. Und dann war meine Nummer dran. Ich schritt sehr langsam auf die graue Tür zu, hinter der meine neue Zukunft bereits auf mich lauerte.

      >Frau Greifer< stand auf einem Plastikschild neben der grauen Tür. Ich betrat einen Raum mit einer Blattpflanze, deren große, fleischige Blätter schon fast bis zur Decke reichten. Auf einem Schreibtisch reckten sich Aktenstapel in die Höhe. Schicksale, in Kurzform zwischen zwei Papierdeckel gepresst.

      Frau Greifer, eine grell geschminkte, magersüchtige Matrone, hielt mir zur Begrüßung eine ihrer Krallen entgegen. Knochige, lange Finger, verziert mit rot lackierten Nägeln. Mir viel dazu spontan die Hexe aus dem Märchen ein. Sie mochte vielleicht Mitte zwanzig sein. Die Schnepfe war also etwas jünger als ich. Ich hatte gerade die Dreißig geschafft.

      Ich setzte mich unaufgefordert auf einen Besucherstuhl neben den Schreibtisch. Frau Greifer nahm meine Unterlagen und hielt sie sich in gehörigem Abstand vor die Augen. Als ob sie eine ansteckende Krankheit befürchtete. Ich hatte noch nie davon gehört, dass Arbeitslosigkeit ansteckend sein konnte. Vielleicht war sie aber auch nur kurzsichtig, wer weiß.

      Frau Greifer fackelte nicht lange und kam sofort zur Sache. „So, vom Theater kommen Sie. Na, das können sie vergessen“, sagte sie.

      Sie erklärte mir, dass in meinem Fall nur eine Umschulung infrage käme, und zwar in einen Beruf mit richtiger Arbeit. Sie hatte da auch schon was für mich: Maler und Lackierer. Auf die Idee wäre ich nicht gekommen. Für Frau Greifer machte es wohl keinen Unterschied, ob man Gesichter anzumalen hatte oder Türen und Fenster. Man darf nur nicht zu viel Farbe auftragen. Dann gibt es Probleme. Das ist das ganze Geheimnis. Den Tipp hätte ich gerne an Frau Greifer weitergegeben. Womöglich wäre der schwarze Lidstrich über ihren Schweinsäuglein weniger dick ausgefallen.

      Ich sagte nichts und fügte mich. Blos hatte ich nicht die Absicht, Maler und Lackierer zu lernen. Aber das behielt ich lieber für mich. Ich kuschte und tat, was man mir sagte.

      Meine Anträge füllte Frau Greifer aus. Ich musste nur die nötigen Angaben dazu machen und meine Unterschrift daruntersetzen.

      Ein Formular durfte ich dann doch selber ausfüllen. Es war ein psychologischer Test.

      „Damit überprüfen wir Ihre Gesinnung“, sagte Frau Greifer. „Wir müssen wissen, mit wem wir es zu tun haben.“

      Das sah ich ein.

      Drei Blätter, mit denen ich mich schwertat. Obwohl meine Muttersprache Deutsch ist, muss ich zugeben, dass ich die Fragen nicht verstand. Ich denke, irgendein durchgeknallter Psycho von einer Uni hatte diese von einer höheren Warte aus formuliert. Zu hoch, um für einen Normalo wie mich durchschaubar zu sein. Ich malte deshalb nach dem Zufallsprinzip Kreuze bei den vorgegebenen Antworten, die zur Auswahl standen.

      Nur ein Satz war für mich klar: >Wie schätzen Sie Ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt ein, als gut, weniger gut oder schlecht?<

      Dass die Stellen sowohl an den Theatern als auch anderswo rar waren, wusste ich. Ich kreuzte bei >schlecht< an.

      Wahrscheinlich verstand Frau Greifer die meisten Fragen auch nicht. Jedenfalls kommentierte sie die Auswahl meiner Antworten nicht. Nur diese eine Frage, die wir beide verstanden, beunruhigte sie sehr.

      Frau Greifer sah mich mit einem entsetzten Blick an. „Wie kommen Sie darauf, dass ihre Aussichten auf dem Arbeitsmarkt schlecht sind?“

      Ich stammelte ein paar unverständliche Sätze als Entschuldigung.

      „So geht das nicht!“, sagte Frau Greifer in einem Ton, der zur Ankündigung des baldigen Weltuntergangs getaugt hätte. „Sie sind ja völlig unmotiviert! Wie sollen wir Sie damit an einen Arbeitgeber vermitteln?“

      Ich setzte mein nettestes Lächeln auf. „Ups, das Kreuz ist verrutscht. Wir können es etwas mehr nach rechts rücken. Dann stimmt es wieder.“

      Frau Greifer lächelte nicht. „Da müssen wir aber noch an uns arbeiten!“

      Ich blickte schuldbewusst und einsichtig. Natürlich würde ich an mir arbeiten. Ich wusste nur noch nicht, wo ich damit anfangen sollte.

      Bis zu meiner Umschulung, mit der ich endlich als nützlich in die Gesellschaft eingegliedert werden sollte, wurde ich in Gelegenheitsjobs vermittelt.

      Meine erste Stelle hatte ich in einem Supermarkt. Zusammen mit zwei anderen Arbeitslosen füllte ich Regale auf, was mir nicht besonders schwer erschien. Ich kannte den Unterschied zwischen einer Erbsensuppe mit Einlage und einer Tomatensuppe. Und ich konnte die Aufschriften auf den Konservendosen lesen. Immerhin war ich ein Mensch mit Fachabitur.

      Die Aufsicht über uns Aushilfskräfte hatte Heinrich, ein Azubi im zweiten Lehrjahr. Er mochte fünfzehn oder sechzehn sein. Ein kleiner Bursche mit roten Haaren und vielen Sommersprossen auf der blassen Haut.

      Wenn man davon ausgeht, dass ein Azubi der letzte Arsch im Unternehmen ist, dann sind Aushilfen so was wie der Blinddarm. Damit kann wirklich keiner mehr was anfangen. Sie sind da, aber sie gehören doch nicht zur Firma. Was soll man davon halten?

      Heinrich nahm seinen Job sehr ernst und ermahnte uns ständig in einem zackigen

      Befehlston, nur ja alles richtig einzusortieren. Für Heinrich gab es keinen Zweifel, dass wir Idioten waren, denen