Jens Becker

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      Das Enneagramm ist ein Erkenntnis- und Selbsterkenntnismodell, das neun verschiedene Charakterprofile darstellt, darüber hinaus eine große Reihe Differenzierungen zulässt und die innere Dynamik der Veränderung von Persönlichkeiten beschreibt.

      Gegenüber den anderen Typenlehren bietet das Enneagramm folgende Vorteile:

      – es ist empirisch erforscht, daher keine Glaubenssache wie die esoterischen Modelle

      – es ist keine Wissenschaft, braucht also kein tiefgehendes Studium, um es anzuwenden

      – es ist mit 9 Charakterprofilen und ihren Differenzierungen feiner als andere Modelle

      – es berücksichtigt die innere Dynamik der Veränderung eines Charakters

      Die Wurzeln des Enneagramms sind in vorchristlicher Zeit zu finden, einzelne Quellen vermuten sogar, es gehe auf Pythagoras zurück. Es war Teil der islamischen Weisheitstradition des Sufismus, aber auch des frühchristlichen Mönchstums. Jahrtausendelang wurde es ausschließlich mündlich weitergegeben und war nur einem kleinen Kreis von Auserwählten zugänglich. Dies ist vielleicht der Grund, warum über die wirkliche Herkunft des Enneagramms bis heute keine Klarheit besteht. Das Enneagramm ist ein mystisches Erkenntnismodell, das dem Streben nach göttlicher Vollkommenheit diente. Ich persönlich vermute, es war auch ein Machtinstrument, da seine Kenntnis half, die Psyche der Menschen zu durchschauen. Erst nach 1916 wurde es zum ersten Mal in Schriftform veröffentlicht durch Georg Iwanowitsch Gurdijieff und seinen Schüler Pjotr Demjanowitsch Ouspensky.

      Das Wort „Enneagramm“ setzt sich aus zwei altgriechischen Silben zusammen: ennea = neun und gramma = Zeichen, Punkt.

      Grafisch wird das Enneagramm dargestellt durch einen Kreis, auf dem im Abstand von 40° neun Punkte festgelegt wurden, nach dem Uhrzeigersinn durchnummeriert. Jeder dieser neun Punkte steht für ein Verhaltensmuster. Die Punkte 3, 6 und 9 sind mit einem Dreieck verbunden, die anderen Punkte mit einem unregelmäßigen sechszackigen Stern.

      Um den Sinn dieses Schemas zu verstehen, müssen wir uns dem Enneagramm zunächst auf eine andere Weise nähern. Stellen wir uns das Leben einmal als eine Timeline vor, wie in einem Filmschnitt-Programm. Die Stunde Null ist die Geburt und irgendwo ist das Ende, der Tod. Dazwischen findet das Leben statt mit seinem Reifeprozess, den wir grafisch in die Mitte setzen, wohl wissend, dass dies eine modellhafte Vereinfachung ist. Nun teilt sich das Leben in zwei Lebenshälften, die jeweils mit einer Grundfrage verbunden ist:

      Das Enneagramm versucht, dieser dynamischen Entwicklung zwischen dem Woher und dem Wohin gerecht zu werden.

      In ihrem Buch DAS ENNEAGRAMM UNSERER BEZIEHUNGEN entwickeln die Psychologen Maria-Anne Gallen und Hans Neidhardt dazu folgende Grundthese: In der Kindheit (blaues Kästchen in der Grafik) werden wir entscheidend in unseren Handlungsmustern geprägt. Wir erleben äußere Zwänge und Konflikte (mit Eltern, Geschwistern, Freunden, Gruppen, Gesellschaftsnormen) und passen uns in unserem Grundverhalten so an, dass wir Notsituationen vermeiden. Dies entspricht dem menschlichen Harmoniebedürfnis. Dafür entwickeln wir die Verhaltensmuster, die dann für den Rest unseres Lebens „chronisch“ unsere Sicht auf die Welt und unser Handeln bestimmen.

      Dies betrifft vor allem drei Grundfragen (nach Gallen und Neidhardt):

      1. Das Autonomie-Bedürfnis. Wer bin ich und welche Rechte habe ich? Sich wehren gegen Übergriffe auf die eigene Autonomie. Entwickeln von instinktiven Impulsen, der Bauch-Energie.

      2. Das Bedürfnis nach Beziehungen und Liebe. Zu welcher Gruppe gehöre ich und warum werde ich geliebt? Erfahrungen mit Ablehnung. Entwickeln von emotionalen Eigenschaften, der Herz-Energie.

      3. Das Bedürfnis nach Sicherheit und Ordnung. Ist es hier sicher für mich? Sich in den Verhältnissen auskennen, die Dinge überblicken. Entwickeln der Wahrnehmungs- und Denkfunktion, der Kopf-Energie.

      Jeder Mensch bekommt in der Kindheit Impulse, die zu Konflikten führen. Das Bedürfnis, die Wiederholung dieser Konflikte zu vermeiden, führt schließlich zu einer Neigung in der Ausformung der Persönlichkeit, für die Gallen und Neidhardt das treffende Wort „Schlagseite“ benutzen.

      Schlagseite:

      Bauch-Energie Meine Autonomie ist nicht selbstverständlich garantiert.

      Herz-Energie Ich fühle mich nicht ausreichend geliebt.

      Kopf-Energie Es ist hier nicht sicher für mich.

      Aus den negativen Erfahrungen werden Vermeidungsstrategien entwickelt, um Tabus auszuweichen und Strafen zu entgehen. Eventuell werden die Tabus später auch bewusst gebrochen. Die Summe dieser Erfahrungen führen zu einem Weltbild und zu Idealen, nach denen der Mensch strebt (Ich bin gut, wenn ich mich so und so verhalte). Analog zur Typenlehre in der ILP und zu den „Belbin Team Roles“ unterscheidet also auch das Enneagramm menschliche Verhaltensmuster zunächst einmal nach drei Gruppen, den Grundtypen, je nachdem welche Neigung primär ausgeprägt ist:

      Zugleich dürfen wir aber nicht vergessen: Dies ist eine modellhafte Vereinfachung. Jeder Mensch ist ein Mikrokosmos, in dem alle drei Zentren angelegt sind und auch funktionieren: Alle neun Typen denken, fühlen und handeln, haben einen Sexualtrieb, einen Selbsterhaltungstrieb und soziale Antriebe. Alle neun Typen begehen Irrtümer des Kopfes, Irrtümer des Herzens, Irrtümer des Bauches. Das Enneagramm kann uns jedoch zeigen, welche Entwicklungsmöglichkeiten jeweils primär angelegt sind und uns daher zu einer kausalen Charakterentwicklung führen (wenn – dann). Da Figuren im Vergleich zum komplexen Menschen relativ simpel aufgebaut sind, kann die modellhafte Vereinfachung des Enneagramms uns die nötige Klarheit über die Summe ihrer Charaktereigenschaften und ihrer Entwicklungspotentiale geben.

      Welche Eigenschaften sind nun für die drei Grundtypen bestimmend?

      BAUCHTYPEN sind triebbeherrscht und stark sexuell geprägt. Sie reagieren direkt und sofort, ohne lange nachzudenken. Sie kämpfen sich regelrecht durchs Leben, wirken nach außen selbstbewusst und willensstark, sind aber hinter der Fassade insgeheim verletzlich und oft von Selbstzweifeln geprägt. Sie wollen anderen sagen, wo es lang geht, streben nach Macht und schätzen Gerechtigkeit.

      Typischer Satz: He, da bin ich!

      Frage: Wie findet ihr mich?

      HERZTYPEN sind emotional und stark sozial geprägt. Sie erleben sich im Spiegel anderer, sind kommunikativ und pflegen sehr aktiv zwischenmenschliche Beziehungen. Dabei beanspruchen sie stark das Interesse anderer und können rechthaberisch sein. Sie verstecken ihre Aggressionen oft und suchen Beliebtheit durch Aufopferung und Aktivität. Nach außen wirken sie eher harmonisch und heiter, sie selbst fühlen sich aber oft nichtig und melancholisch.

      Typischer Satz: Ihr müsst mich lieb haben!

      Frage: Mit wem bin ich hier zusammen?

      KOPFTYPEN denken immer erst gründlich über die Situation nach und gehen dann planmäßig vor. Sie sind nüchtern veranlagt und schätzen Werte wie Pflicht und Ordnung. Ihre eigenen Bedürfnisse stellen sie gern zurück für andere. Sie können übertrieben an Ängsten leiden und verstecken ihre verletzlichen Empfindungen vor anderen. Nach außen wirken sie meist wissend und in sich ruhend, doch sie fühlen sich selbst eher einsam und durcheinander.

      Typischer Satz: Das hab ich kommen sehen.

      Frage: Wie soll ich das verstehen?

      Die 3 Grundtypen unterteilen sich jeweils wieder in 3 Untertypen, die Verhaltensmuster. Sie zeigen an, welche Not-Lösungs-Strategie der jeweilige Charakter bevorzugt:

      A — BLOCKIERUNG: Strategie der Ausblendung, damit die Not aus dem Bewusstsein verschwindet.

      B — ÜBERENTWICKLUNG: Strategie der Überaktivität, um den empfundenen Mangel auszugleichen.

      C