Jens Becker

Drehbuch-Tool


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Eigenstimulation.

      Wenn wir die 3 Verhaltensmuster den 3 Grundtypen im Grundschema des Enneagramms zuordnen, ergibt sich dieses schon etwas differenziertere Bild von 9 Charakterprofilen (nach Gallen und Neidhardt):

      Die neun Charakterprofile sind mit Namen belegt, die jedoch je nach Enneagramm-Interpretation etwas variieren. Ich halte folgende Namen für sinnvoll, weil sie positive und negative Eigenschaften ausdrücken, und verwende sie jeweils im Plural:

      Warum es gerade neun verschiedene Charakterprofile sind, hat sich wohl ausreichend erschlossen und ist durch empirische Anwendung auch hinreichend gesichert. Interessant ist in dieser Beziehung aber noch folgende Analogie: Die neun Charakterprofile lassen sich in Verbindung setzen mit den ursprünglich neun Grundsünden oder Wurzelsünden des Christentums. Richard Rohr und Andreas Ebert gehen in ihrem Buch DAS ENNEAGRAMM – DIE 9 GESICHTER DER SEELE besonders auf diesen Zusammenhang ein. Aus dramaturgischer Sicht spiegeln die Grundsünden wider, mit welchen inneren Konflikten die Figuren sich auseinandersetzen müssen, um reifen zu können.

      Nach der „Lehre der Leidenschaften“ des Evagrius Ponticus (ca. 390 Jahre n. Chr.) gab es zunächst acht Laster: Zorn, Hochmut, Eitelkeit, Neid, Habsucht, Völlerei, Wollust und Trägheit. Papst Gregor I. hat diese Liste später auf sieben reduziert – die Eitelkeit fiel weg. Im Enneagramm kommt jedoch keines der Laster weg, sondern noch eines hinzu: die Furcht.

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      1.4. Das Enneagramm-Charaktermodell in der Übersicht

      Das Enneagramm als Drehbuch-Tool ist so konzipiert, dass die Nutzer sich einen schnellen Überblick über die Charakterprofile verschaffen oder speziell in einzelne Profile vertiefen können. Hier finden sich Kausalitäten für das Verhalten von Figuren, die man als Autor verwenden oder verwerfen kann – auf jeden Fall sind sie eine zielgerichtete Anregung. Ich verwende bewusst den mechanischen Begriff „Werkzeug“, um noch einmal deutlich zu machen, dass das Enneagramm genau dies ist, nicht mehr und nicht weniger, und vor allem nicht ein Ersatz für die eigene Fantasie.

      Neun Charakterprofile

      Betrachten Sie zunächst das Grundschema des Enneagramms. Vielleicht wundern Sie sich, warum der Kreis hier durch unregelmäßige Formen ersetzt ist, die sich aus verschiedenen Kuben entwickeln. Die Antwort ist ganz einfach: Die Grafiker und ich wollten es mal anders machen, weil wir klassische Vieren sind. (Wenn Sie die Vier kennen gelernt haben, werden Sie verstehen, was ich meine.) Sie können sich jetzt in jedes einzelne Charakterprofil vertiefen.

      Orientierung in den Charakterprofilen

      Sie lernen alle Charaktere von mehreren Seiten kennen – Licht, Schatten, Kindheitsmuster, Dilemma, Innerer Konflikt, Gefahr, Reifung, Verstrickung ins eigene Muster, Entwicklung, Flügel und Konfliktverhalten.

      Verstrickung ins eigene Muster

      Das Problem an den Charakteren ist, dass ihr Verhaltensmuster gerade nicht zum erwünschten Ziel führt, sondern dies genau verhindert. Diese Konstellation nennt man auch die Selbstverstrickungsspirale. Die Figur kann der Selbstverstrickungsspirale nur entkommen, indem sie reift und ihr Verhalten bewusst ändert.

      Entwicklung

      Dieses Schema beschreibt den möglichen Prozess der Reifung. Wichtig ist hier das Verständnis, dass der Charakter sich nicht grundsätzlich ändern kann, sondern sich nur entwickelt, also eine neue Qualität annimmt. Im Leben kann der Prozess der Reifung sehr lang sein, eventuell aber auch durch ein auslösendes Erlebnis recht schnell gehen. In einer dramatischen Handlung muss der Reifeprozess durch ein auslösendes Moment, einen entscheidenden Wendepunkt, eingeleitet werden. Oft können die Figuren ihr Ziel nur erreichen, wenn sie sich ihrem inneren Konflikt stellen und diesen auch lösen. Dies führt zu einer Reifung des Charakters und der Erweiterung des Handlungsspielraumes der Figuren.

      Das Enneagramm kann Denkanstöße geben, in welchen Kausalketten eine solche Reifung stattfinden kann und dabei glaubwürdig ist.

      Flügel

      Natürlich kommen die 9 Charakterprofile selten in Reinform vor und die Übergänge zwischen ihnen sind fließend. Wenn eine Figur in ihrem Charakter nicht klar zuzuordnen ist, dann ist es wahrscheinlich, dass es eine Mischform aus zwei nebeneinander liegenden Profilen ist. Zum Beispiel kann die 3 zur 2 neigen und zur 4, aber sicher nicht zur 8. Diese verwandten Nachbarprofile werden Flügel genannt. Daraus ergeben sich ganz neue Optionen, die das System des Enneagramms wesentlich differenzierter machen – vor allem dann, wenn man noch den reifen und unreifen Zustand der Profile in die Überlegungen mit einbezieht.

      Konfliktverhalten

      Wenn die Figuren sehr erregt sind, weil sich Konflikte und Stress bis zu einem unerträglichen Maß angesammelt haben, kann die Figur ihr übliches Verhaltensmuster ändern und plötzlich daraus ausbrechen. Die Figur übernimmt dann die Licht- oder Schattenseite eines bestimmten anderen Charakterprofils. Die Verbindungslinien des Enneagramms zeigen diese Bewegungen an. In Pfeilrichtung wird die Schattenseite eines anderen Profils übernommen. Das ist für die Figur kontraproduktiv, führt zu Misserfolg und erhöht den Druck weiter. Dies wird auch als Stresspunkt bezeichnet. Wenn die Figur reift und lernt, aus ihrer Selbstverstrickung auszubrechen, wird sie gegen die Pfeilrichtung handeln, findet zur Lichtseite eines anderen Profils und wird Erfolg haben. Dies wird auch als Trost- oder Relaxpunkt bezeichnet.

      1.5. Das Enneagramm-Charaktermodell im Detail

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      Charakter 1 – Perfektionisten Idealisten Dogmatiker

      Bauch-Typ selbstbezogen

      Licht

      Figuren vom Typ 1 sind Idealisten und streben nach Vollkommenheit. Sie setzen sich im Großen und im Kleinen für eine bessere Welt ein und bemühen sie sich deshalb, gerecht und verantwortungsbewusst zu handeln. Sie haben ein ausgeprägtes Gewissen und neigen zu ständigen inneren Konflikten, ob ihr Handeln nun gut und richtig ist oder nicht. Sie versuchen, auch andere von ihren Grundsätzen zu überzeugen, weswegen sie gute Lehrer und Mentoren sein können.

      Schatten

      Figuren vom Typ 1 tun sich schwer mit der Akzeptanz von Fehlern bei sich und anderen. Sie können die Welt in ihrer ganzen Unfertigkeit und Unperfektion nicht annehmen. Daher neigen sie zur Verbissenheit und Humorlosigkeit. Sie setzen sich gern unter Zeitdruck und können ihren Weg geradlinig und konsequent gehen bis zur totalen Askese. Diese Eigenschaften werden von der Eins einer ständigen Selbstkontrolle unterworfen. Sollte die Eins mit sich selbst nicht zufrieden sein, kann sie auch zur Selbstbestrafung greifen.

      Kindheitsmuster

      In der Regel waren Figuren vom Typ 1 Musterkinder, die versucht haben, die Regeln der Erwachsenen zu erfüllen, um von ihnen geliebt zu werden. Oft waren dabei auch die Eltern schon perfektionistisch und haben sehr hohe Anforderungen an das Kind gestellt. Einser wollten als Kinder diesen Erwartungen möglichst perfekt entsprechen und haben nicht dagegen rebelliert. Vielleicht mussten sie auch zu früh Verantwortung übernehmen, z.B. weil ein Elternteil fehlte oder weil sie das älteste von mehreren Kindern waren.

      Dilemma

      Das Problem der Eins ist ihre ständige Fixierung nach einer Vollkommenheit, die es real gar nicht gibt. Sie ist angewidert von der Fehlerhaftigkeit der Welt. Weil niemand den Anforderungen der Eins auch nur annährend gerecht wird, ist die Eins permanent unzufrieden mit der Welt, mit den anderen und mit sich selbst. Sie kann sich zum Ordnungs- und Sauberkeitsfanatiker sowie zum Nörgler entwickeln.

      Innerer