Tullio Aurelio

Der liebe Gott Allahu akbar


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sorgen sollte oder hätte sorgen sollen. Vögel fressen sogar andere Vögel. Da fragt man sich, welche Vögel hat der liebe Gott lieb.

      Elohim hatte nach Beendigung der Schöpfungsarbeit – er hatte gerade den Menschen nach seinem eigenen Bild erschaffen -, kurz vor seiner verdienten Sabbatruhe, dem Menschen, dem Beau der neuen Schöpfung, die Gewalt über Tiere aller Art gegeben. Die Menschen sollen über die Tiere herrschen, also mit ihnen tun, was sie wollen. Kräuter und Samen sollen auch den Menschen zur Verfügung stehen. Diese, das wird extra erwähnt, sollen die Menschen essen: ‚Das sei eure Nahrung’ (Gen 1,29). Ob die Menschen auch Fleisch essen dürfen, wird nicht explizit erwähnt. Aber wenn sie schon über die Tiere herrschen, dann sollten sie auch mit ihnen tun, wie es ihnen schmeckt. Die Tiere aber, so steht in Gen 1,30, sollen sich vegetarisch ernähren: „Allem Wild des Feldes, allen Vögeln des Himmels... gebe ich alles grüne Kraut zur Nahrung.“ Und natürlich meinte es der Schöpfer nicht nur gut, er hat ja, wie er selbst feststellt, alles gut gemacht.

      Man muss sich fragen, wie degeneriert die Schöpfung ist, und zwar auch nach der reinigenden Sintflut und dem neuen Anfang: Bären fressen am liebsten Lachs, wenn sie müde und erschöpft von der langen Reise in den Nordatlantik, sich zum Laichen niederlassen. Nach den Bären kommen die Vögel an den Fresstisch mit frischem Lachs. Die Vögel fressen ansonsten gern auch kleine Fische, wenn sich die Flut zurückzieht und langsam zur Ebbe wird.

      Aber auch das umgekehrte Beispiel ist zu beobachten: Fische fressen gern junge Vögel, die noch nicht im Fliegen geübt sind und sich auf dem Wassersiegel des Meeres ausruhen wollen. Sie sind ein leckeres Appetithäppchen für hungrige Fische.

      Es kommt noch schlimmer: Fische fressen natürlich nicht nur Vögel, sondern auch und am liebsten

      Fische. Sollte aber ein Mensch oder auch dessen Leiche ins Meereswasser fallen, dann schütze ihn oder sie der liebe Gott. Bisher hat aber keiner beobachtet, dass der liebe Gott einen lebenden Menschen oder dessen Leiche vor dem aufgesperrten Maul eines Hais gerettet hätte.

      Hat sich die Schöpfung von der ursprünglichen Absicht des Schöpfers derart entfernt, oder wurde sie vom Schreiber der Schöpfungsgeschichte nicht richtig wiedergegeben? Irgendwie hat man den Eindruck, in der Schöpfung des lieben Gottes frisst jeder jeden, wir alle, Kräuter, Tiere und Menschen, sind eine Horde sich gegenseitig fressender Wesen.

      Schlimmer wird es noch, wenn wir aufhören, an die niedlichen Vögel und an die anderen Tiere zu denken, und beginnen, uns mit dem Hunger der Menschen in der Welt zu befassen. Denn nicht alle Menschen sind in der Lage, sich am gedeckten Tisch zu setzen und den lieben Gott für die Speise zu danken, die er ihnen zubereitet hat.

      Einer von neun Menschen muss heutzutage hungrig ins Bett gehen. Heute leben 7,5 Milliarden Menschen auf Erden, fast 800 Millionen haben nicht genug zu essen, mehr als 200 Millionen müssen hungern, mehr als 8 Millionen, meistens Kinder, sterben jedes Jahr an Hunger.

      Lenkt Gott wirklich die Welt? Warum strengt er sich dann nicht mehr an, so dass alle Menschen sich an einen gedeckten Tisch setzten und ihm dann zu Recht für Speise und Trank danken können?

      Warum sind wir, die am Tisch sitzen und beten, satt, bevor wir anfangen zu essen, und Millionen von Menschen hungern, auch wenn sie den himmlischen Vater inständig bitten, ihnen zu essen zu geben? Ist diese Frage noch zu naiv? Oder ist der liebe Gott nur für die Satten zuständig? Und wer ist für den Hunger der Welt verantwortlich? Das andere Gesicht des göttlichen Januskopfes?

      Die Antwort auf diesen Einwand lautet oft: Wenn andere Menschen hungern, dann ist der Mensch selbst daran schuld. Man meint also, für das Gute auf der Welt ist der liebe Gott zuständig, für die andere Seite der Realität – etwa für Hunger und Krieg - ist eher der Mensch verantwortlich, der sich von der Profitgier statt von der Liebe zum Mitmenschen leiten lässt, ansonsten steckt hinter dem Phänomen des Bösen in der Welt der Teufel selbst.

      Das behaupten die Gottesanwälte. Plötzlich schwenkt man von einer verborgenen, uns nicht bekannten Ebene, aus der der Vater im Himmel die Welt lenkt und vielen Menschen Essen und Geborgenheit zukommen lässt, auf die beobachtbare Ebene des Realen, auf der wenigstens vordergründig die Menschen, unser Planet, das Universum ohne Zugriff irgend eines Gottes tätig sind. Dort, wo das Unkrau wächst, sind nur die Menschen tätig. Das wird sogar stimmen, aber wir könnten auch behaupten, dass der Mensch auch für die gute Seite des Lebens verantwortlich ist. Warum sollte Gott nur fürs Gute und der Mensch fürs Schlechte verantwortlich sein?

      Es könnte also sein, dass der himmlische Vater auf keine uns bekannte Weise für unser Essen und für unsere Kleider sorgt, sondern nur der Mensch. Und in der Tat ist es so: Wenn wir nicht für uns und die Mitmenschen sorgen (können), dann hungern und frieren wir.

      Die Frage, ob der liebe Gott im Alltag eingreift, die Vögel ernährt und für unser Essen sorgt, ist nur vordergründig naiv. Diese naive Vorstellung ist ein Überbleibsel der früheren mythischer Weltdarstellung, in der die Götter, Gott, die Gottheit in die Welt eingreift, möglicherweise vom Himmel oder von einem Berg herunter kommt und die Geschichte der Menschheit lenkt. Nicht wenige Menschen glauben es auch heute noch, ohne zu wissen, wie Gott es bewerkstelligt. Praktisch alle Religionen bieten Muster, um den Einfluss Gottes in der Welt zu erklären.

      Interessant ist auch die Umkehrung der Medaille: In der Not, ob sie vom Menschen oder von der Natur verursacht, geben die Notleidenden nur selten Gott die Schuld, sie rufen vielmehr Gott um Hilfe. Oder sie sehen auch in der Not einen Gottesplan, der die Not letzten Endes zum Besten des Menschen wenden wird.

      Menschen denken oft selektiv über Gott. Will man aber dem himmlischen Vater gerecht werden, dann müsste man ihn für alles verantwortlich machen oder für gar nichts.

      Die Sackgasse der Erkenntnis

      Die Grenzen der Sprache

      Der religiöse Mensch glaubt sich von Gott begleitet und geschützt: „Wo ich gehe, wo ich stehe, ist der liebe Gott bei mir. Wenn ich ihn auch niemals sehe, weiß ich dennoch, Gott ist hier.“ Gleiches gilt im Christentum auch für Jesus, den Heiland und Sohn Gottes: „Jeden Schritt und jeden Tritt geh du, lieber Heiland, mit. Gehe mit uns ein und aus, führe du uns selbst nach Haus.“

      Eine lange Zeit lang bezweifelte ich den Inhalt solcher Gebete nicht unbedingt. Ich akzeptierte deren verborgenen, nicht realistischen Sinn und fühlte mich dabei irgendwie auch wohl. Ich wusste aber seit immer: diese Gebete sind nicht wörtlich, eigentlich gar nicht erst zu nehmen.

      Im Laufe der Zeit, besonders beeinflusst durch die selektive Handlungsweise Gottes, der dem einen Glück, dem anderen Unglück beschert, wurden meine Zweifel immer offenkundiger und eindeutiger zur Sprache gebracht. Interessanterweise wurden die Zweifel nicht nur durch die Begegnung mit der Philosophie, speziell mit der Philosophie der religiösen Sprache, größer, sondern besonders durch die vertiefte Beschäftigung mit der Bibel.

      Dass gerade durch die Bibel Zweifel an der Richtigkeit der Rede über Gott entstehen können, kann nur im ersten Augenblick verwundern. Tatsächlich ist die biblische Sprache ein Steinbruch von archäologischen Resten des Gottesglaubens, die eine langsame Entwicklung der Rede der Menschen über Gott – vom Polytheismus bis zum späten Monotheismus - zum Vorschein bringen.

      Viele unserer heutigen Alltagssätze über Gott besagen, dass Gott gut ist und für die Menschen sorgt. In der Bibel ist der Gott Israels nicht immer gut oder zumindest nicht zu allen gut. Der Gott Israels ist zu Israel gut, er ist allerdings eifersüchtig, kann zornig werden, bestraft die Anbeter anderer Götter, befielt die Tötung derer Frauen und Kinder, bestraft Menschen, die aus Mitleid seine grausamen Befehle nicht genau und vollständig befolgen... In der Bibel liest man vielerlei über Gott, und die dort aufscheinenden Gottesbilder sind nicht immer erbaulich.

      Es kann also vorkommen, dass man Zweifel bekommt, ob die allgemeine menschliche Rede von Gott, auch die, die in der Bibel nachzulesen ist, eine echte Aussage über Gott selbst oder nur eine menschliche Ansicht über Gott ist, die sich im Laufe der Zeit sogar stark gewandelt hat. Nur wer durch den religiösen, frommen Eifer so benommen ist, dass