Tullio Aurelio

Der liebe Gott Allahu akbar


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nicht großartig anders als bei den Sprachphilosophen: Es bleibt an dem, was man meint, über Gott sagen zu können, nicht viel übrig.

      Dass Gottes Wirken in der Welt, und zwar nicht nur naturwissenschaftlich, nicht feststellbar ist, sollte heute ziemlich allgemein anerkannt sein. Allerdings lassen sich die Menschen nicht nur von den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen inspirieren: Mit Sicherheit spielt das Gefühl im Leben aller Menschen eine noch größere Rolle als Logik und rationale Erkenntnis, und das Kuschelgefühl der Geborgenheit in der Nähe und in den Armen eines als real geglaubten Gottes ist öfter stärker als die rationale Erkenntnis, dass Gott wissenschaftlich nicht erfahrbar ist.

      Das versteht allerdings der Gläubige sogar als einen Vorzug des Göttlichen: Gott ist nicht fassbar, nicht festhaltbar, genau weil er Gott ist. Nur, der Gläubige ‚weiß’ immer noch nicht, wie und was Gott sein soll.

      Auch in der Zeit, als die Sprachphilosophie in aller Munde war, konnte man feststellen, dass sie in der deutschen Universitätstheologie keine sichtbaren Spuren hinterließ, geschweige denn beim kirchlichen Personal, bei den Pfarrern und den Kaplänen. Letzteres ist nicht wirklich verwunderlich. Man kann nicht so naiv sein, sich vorzustellen, dass hauptamtliche Seelsorger aller religiösen Richtungen und Bekenntnisse - deren Hauptberuf es ist, über Gott zu sprechen - sich von irgendeinem Sprachphilosophen den Mund verbieten lassen. Aber die wissenschaftliche Theologie, sie hätte sich mit dieser Infragestellung des theologischen Konstrukts durchaus nachhaltiger befassen können. Aber auch an den theologischen Fakultäten waren keine Spuren davon zu entdecken.

      Der Grund scheint allerdings klar zu sein: Der Mensch denkt über das, was seine Grenzen übersteigt, nach. Die Erfahrung der eigenen Grenze lässt vermuten, analog zur empirischen Erfahrung, dass jenseits eines Zauns ein neues Feld beginnt, dass jenseits unserer Grenzen eine andere Welt existiert. Vielleicht gibt es im Menschen eine innewohnende Notwendigkeit, über sich selbst hinaus zu denken, gerade weil er sich als beschränkt und begrenzt erfährt.

      Die Rede über das, was den Menschen übersteigt, kann aber nicht gleich als wahre Beschreibung einer Realität verstanden werden, die der Mensch gar nicht kennt, deren hypothetischer Charakter die Gefahr in sich birgt, dass es diese ‚Realität’ gar nicht gibt.

      Die sogenannte religiöse Sprache könnte also lediglich ein Ausdruck der menschlichen Erfahrung der eigenen Grenzen sein. Religiöse Sprache wäre dann eine Rede von Menschen über sich selbst sein. Sie enthielte in ihrem Kern durchaus einen Sinn, aber keinen, der den Menschen übersteigt.

      Es ist für den Menschen eine bittere Erkenntnis, sich selbst als begrenzt zu erfahren. Diese zunächst reine philosophische Einsicht ist längst nicht so bitter wie die tagtägliche existentielle Erfahrung, dass der Mensch nicht alles kann, was er möchte, dass er nicht alles erreichen kann, was er erreichen möchte, nicht alles versteht, nicht alles begreift, nicht immer gesund ist, nicht immer zufrieden und glücklich ist, dass so viel gegen seine Interessen, seinen Willen geschieht, dass immer wieder Gefahren und Bedrohungen für sein Leben entstehen und überwunden werden müssen. Und überhaupt ist er sich bewusst, auch wenn er es zu verdrängen versucht: Die größte Beschränkung seines Daseins ist das sicher auf ihn zurollende Ende seines Lebens, der Tod. Der Tod ist die schmerzlichste existentielle Erfahrung, die erst dann hingenommen wird, wenn man das Leben, aus irgendeinem Grund, satt hat.

      Den Tod kann der Mensch vielleicht hinnehmen, verstehen tut er ihn nicht. Und er versteht nicht, warum ein Gott, der die Welt und den Menschen erschaffen haben soll, nicht nur den Menschen, sondern alles, was lebt, und vielleicht das ganze Universum, sterblich erschaffen hat.

      Das ist nur ein Aspekt des sogenannten Problems des Bösen, das folgendermaßen formuliert werden kann: Wie kann Gott, der angeblich gut ist, das Schlechte und das Böse erlauben? Die Allgegenwart des Bösen in der Welt in seinen zahlreichen Erscheinungsformen ist die größte Herausforderung für alle positiven Aussagen über Gott, sie ist deren Negation.

      Das Böse in der Welt

      Im Hinduismus wird eine schöne, poetische, ergreifende Sicht des Seins vermittelt: Brahman ist der Anfang allen Seienden. Brahman ist nicht Gott, er ist bereits vor allen Göttern und vor der Welt.

      Brahman ist nicht der Schöpfer im Sinne der westlichen Theologie. Er ist der Anfang von allem, die Weltseele, um das mit einem westlichen Wort auszudrücken. Aus ihm geht alles hervor: die Materie, die zahlreichen Atman der Natur und des Menschen und das Bewusstsein. Er ist der Anfang aller Dinge, nicht ihr Schöpfer, sondern ihr Ursprung, aus dem alles herausströmt.

      Der einzelne Atman (in unserer Sprache: die Seele eines Wesen) ist ein Teilchen vom ursprünglichen Bewusststein, aus dem alles hervorgeht, und jeder Atman, wenn er dem Gesetz des Samsara entflieht und nicht mehr geboren werden muss, vereinigt sich wieder mit seinem Ursprung, dem Brahman.

      Es ist eine grandiose Sicht des Universums, die poetisch und tiefgründig ist, die mir bildlich sehr gut gefällt. Sie impliziert allerdings auch die Schlussfolgerung, dass alles, Gutes und Schlechtes, in Brahman seinen Anfang hat.

      Eine Variante dieser Vision des Universums ist der Pantheismus, die Meinung, dass Gott in allem sei und alles (wiederum) göttlich sei. Auch der Pantheismus lässt die Schlussfolgerung zu, dass Gott und die Welt beides, das Gute und das Böse, enthalten und letztlich das Gute und das Böse sind.

      Die Frage, ob die hinduistische Religion und der Pantheismus der Frage nach dem Bösen in der Welt eine ausreichende Antwort geben, bekommt allerdings keine befriedigende Antwort. Deren Antwort heißt einfach: Die Welt ist so, wie sie ist. Ob sie gleichzeitig Gott ist (Pantheismus) oder in Brahman ihren Ursprung hat, ist für ihren jetzigen Zustand gleichgültig.

      Besonders die westliche Philosophie, die der Westen von Griechenland geerbt hat, und besonders die westliche christliche Theologie, die griechische philosophische Kategorien importiert und getauft hat, konnte sich mit dieser Antwort nicht zufrieden geben.

      Für alle Religionen, die keinen weltimmanenten Gott, sondern einen oder mehrere Götter außerhalb oder sogar jenseits dieser Welt bekennen, ist es charakteristisch, das innerweltliche Denkschema und Erklärungsmodell der Kausalität auf Gott zu übertragen. In unserer Welt hat jedes Phänomen eine Ursache. Die Menschen erklären sich das, was sich in der Welt ereignet, durch eine Ursache, die außerhalb des Ereignisses selbst liegt.

      Nichts scheint einfacher, als wichtige Weltereignisse einer außerweltlichen Ursache, Gott oder den Göttern, zuzuschreiben: die Welt selbst, ihre Existenz und ihre Grundstrukturen.

      Dieses Erklärungsschema wird im Alltag als Grundmuster zur Erklärung aller irdischen und kosmischen Phänomene angewendet, es wird aber auch philosophisch begründet und verfeinert. Am Gründlichsten haben sich im Gefolge ihres großen Meisters Aristoteles die Scholastik und ihr Lehrer, Thomas von Aquin, damit befasst.

      Thomas von Aquin sah das Kausalitätsprinzip als einen der fünf Wege, die den Menschen zur Annahme der Existenz Gottes führen können. Vorsichtig war Thomas auf jeden Fall, denn er sprach nicht von Gottesbeweisen, sondern von Spuren und Wegen, von Analogien, die uns zur Annahme führen können, dass Gott existiert.

      Thomas schrieb, im ganzen Universum hat jedes Ding, jedes Wesen, das entsteht und vergeht, eine Ursache. Dieses Prinzip, die kausale Verkettung der Ereignisse kann man aber nicht ins Unendliche führen. Irgendwann muss es ein Wesen, ein Etwas geben, das alles verursacht, aber selbst nicht verursacht ist: eine causa non causata, eine causa prima, eine Erste Ursache, die selbst keine Ursache hat.

      Viel weiter als Aristoteles kam Thomas von Aquin mit seinen Überlegungen aber auch nicht. Denn schon Aristoteles hatte von einem ersten unbewegten Bewegenden gesprochen, also von einem in sich ruhenden Wesen, dass alles in Bewegung setzt. Es gibt allerdings einen wesentlichen Unterschied zwischen Aristoteles und Thomas: Bei Aristoteles ist der unbewegte Bewegende nicht Gott. Aristoteles hatte von den griechischen Göttern nicht unbedingt die beste Meinung. Es dachte an ein Etwas, das wie ein stiller Motor das Universum in Gang setzt. Dieser ‚Motor’ kann Gutes und Böses in Gang setzen.

      Bei Thomas ist die Erste Ursache Gott.