Tullio Aurelio

Der liebe Gott Allahu akbar


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      Jahwe, der Gott des zweiten Schöpfungsberichts, wird noch primitiver dargestellt. Nicht nur, weil er wie ein Töpfer seine Menschen bastelt, sondern auch weil ihm Gefühle zugeschrieben werden, die nicht immer nachahmenswert sind.

      Er ist ein eifersüchtiger Gott. Einer, der dem Menschen den Sprung zur Erkenntnis von Gut und Böse nicht gönnt und ihn dafür bestraft, dass er – Adam und Eva – diese Erkenntnis erringen und ein richtiger, mit Vernunft und Entscheidungsfreiheit ausgestatteter Mensch werden wollte. Jahwe bestraft ihn dafür mit Leid, Mühsal und Tod.

      Hier einige ‚Beschreibungen’ der Tätigkeit des Gottes Jahwe: ‚Jahwe Gott hatte noch nicht auf die Erde regnen lassen’, ‚Jahwe Gott bildete den Menschen aus Staub vom Erdboden und blies in seine Nase einen Lebenshauch’, ‚Jahwe Gott pflanzte einen Garten’, ‚Gott baute die Rippe zu einem Weib’, Adam und Eva vernehmen die ‚Schritte’ Jahwes, Jahwe ‚ruft’ sie, Jahwe ‚verflucht’ die Schlange und den Erdboden, Jahwe Gott ‚machte’ dem Menschen und seiner Frau Kleider aus Fellen und ‚bekleidete’ sie damit, Jahwe Gott ‚verflucht’ Kain - es scheint mir, keiner flucht und verflucht so gern wie Jahwe Gott -, Jahwe ‚reute es’, dass er die Menschen gemacht hatte (Gen 6), dies kurz bevor er seine ganze Schöpfung, mit Ausnahme von Noach und wenigen Menschen und Tieren, zerstörte. Er ‚steigt’ von seiner Stätte herab, um den Turm zu Babel ‚anzuschauen’ und über ihn zu spötteln (Gen 11). Kurz vor Sodoma und Gomorra will er ‚hinunter gehen und schauen’ (Gen 18), und nachdem er sich von der dort herrschenden Sodomie ekeln musste, lies er Schwefel und Feuer regnen (Gen 19). Verhältnismäßig kurz nach der ‚sauberen’ Schöpfung des Menschen als Mann Adam und Frau Eva, die von ihrem Mann ‚erkannt’ wurde und einen Sohn gebar, wollten die Sodomiten die Männer, die Jahwe begleiteten, ‚erkennen’. Dass Jahwe da hart eingreifen musste, ist ja ganz menschlich.

      Gott ist nicht das Original und der Mensch sein Abbild, sondern umgekehrt, der Mensch hat seinen Gott oder, besser gesagt, seine Götter, nach seinem Bild, sich selbst ähnlich, geschaffen.

      Man nennt die menschliche Technik der Gottesnachbildung das anthropomorphe Bild von Gott: Man redet von Gott in der Sprache des Menschen. Man malt sich Gott nach dem Spiegelbild des Menschen. Dadurch entsteht ein Gott, der wie ein Mensch aussieht, denkt und handelt. Und da die Menschen unterschiedlich denken, versuchen sie, sich einen Gott auszumalen, die ihrem eigenen Spiegelbild entspricht. So entstehen mehrere, unterschiedliche, verschiedenartige Gottesbilder.

      Dass es sich so verhält, müsste eigentlich unbestritten sein. Anders lassen sich die unterschiedlichen Götter, die die Erde bevölkern, nicht erklären.

      Die Frage ist: Wozu brauchen die Menschen eine solche eigene Nachbildung, die sie Gott nennen?

      Meine Götter sind außer Dienst

      Eines Tages bin ich aufgewacht und hatte kein Bedürfnis, Gott zu danken, dass ich gesund aufgestanden war. Das ist lange her. Seitdem – es müssen sicherlich schon fast vierzig Jahre sein - bete ich morgens vor und nach dem Aufstehen nicht, vor dem Essen auch nicht. Seit langem gehe ich abends schlafen und danke keinem Gott, dass er mich einen weiteren Tag leben ließ, und bete nicht darum, dass Gott mir eine ruhige Nacht schenkt. Gleichwohl lebe ich, und ich liebe das Leben.

      In meiner Biographie gibt es einen Bruch, den man medizinisch Infarkt nennt. Zu keiner Zeit gab ich irgendeinem Gott die Schuld dafür. Eher mir selbst - was auch richtig ist und der Realität entspricht. Mit dem gebrochenen Herzen hätte ich nicht lange weitergelebt. Damals war es einfacher, ein Spendeorgan zu bekommen. Ich hatte Glück und bekam eins. Seitdem lebe ich weiter, ohne Gott zu danken. Für dieses ‚zweite’ Leben bin ich höchst dankbar, aber dem Spender, den operierenden Ärzten, den Medizinern, die die Nachsorge meistern, den Freunden, meiner Familie, die mir das Weiterleben ermöglicht und sich mit mir freut.

      Menschen um mich danken auch Gott dafür. In meinem (neuen) Herzen weiß ich aber: Ich lebe mit dem Herzen eines jüngeren Mannes, der kurz davor verunglückt und gestorben war. Hat Gott, irgendein Gott, ihn sterben lassen, damit ich lebe? Es wäre zynisch, das zu glauben und es von einem Gott zu erwarten. Also wir wollen auch für mich keinen Gott inkommodieren. Und Gott bleibt, soviel ich es beurteilen kann, auch fern von alledem.

      Am 4. Juli 2017 lief im ZDF die Sendung Sarah und ihr neues Herz. Sarah musste mit 18 Jahren wegen irreparabler Herzinsuffizienz ein fremdes Herz bekommen. Es war zum Zeitpunkt der Sendung nun neun Jahre her. Während der ganzen Sendung wurde die religiös-theologische Frage nicht mal angedeutet. Es war eine Gott-freie Sendung. Anders als bei meiner Transplantation, die mir im Nachhinein Anlass gab, mir über Gott gründlich Gedanken zu machen, schienen die Gedanken der jungen Sarah, wenigstens bei der Sendung, nicht davon berührt.

      Sarah machte sich nach neun Jahren berechtigte Sorgen darüber, wie lange ihr neues Herz – die Implantate haben bekanntlich eine begrenzte Dauer – ihr das Leben schenken wird und ob sie ein weiteres Herz bekommen wird. Gleichzeitig lebt sie gern und dankbar, dass ihr geholfen werden konnte. Sie will weiter leben, für sich selbst, aber auch für den Menschen, von dem sie das Herz bekommen hat.

      Es war eine sehr schöne Sendung. Ob Sarah rein persönlich an einen Gott glaubt, weiß ich nicht. Die ganze Sendung funktionierte allerdings hervorragend, ohne dass Gott irgendeine Rolle spielte, ohne dass der Mensch ihn in irgendeine Rolle geschoben hätte.

      Selbst lag ich einige Male auf einem Krankenbett, sogar postoperativ, nach lebensrettenden Eingriffen in meinen physischen Haushalt. In zwei solchen Gelegenheiten schrieb ich im Krankenhaus jeweils ein Buch zu Ende, das ich bereits früher begonnen hatte. Sowohl das erste Buch Gott, Götter und Idole als auch das zweite Wir sterben und wissen nicht wohin sind eine eigene Auseinandersetzung mit den menschlichen Gottesbildern und den Bildern des Jenseits. Diese Bilder der Menschen sind ein gewaltiges Zeugnis, ein Schrei aus ihrer Not, in der Hoffnung, dass sie einen Widerpart haben, ein fernes Modell abbilden, auf das Original treffen: Gott selbst und das Weiterleben nach dem Tod.

      Obwohl ich einmal kurz vor einer Operation stand, bei der ich nicht mal wusste, ob ich wieder aufwachen würde, konnte ich mich mit diesen Bildern nicht trösten. Ich fand sie schön, weil sie mitunter meine Bilder von Gott oder dem Jenseits waren, aber ich fand sie unecht, weil sie eben meine oder, allgemein gesagt, menschliche Konstrukte waren, um sich zu trösten.

      Nun fühle ich mich nicht so, dass ich nach der Feststellung dieses Ergebnisses froh oder stolz wäre. Keinesfalls. Denn die allgemeine Notsituation der Menschen und meine damalige Lage wurden dadurch keinesfalls gelindert.

      Es gab Zeiten, da konnte ich mich rein gruppendynamisch dem Gebet nicht entziehen. Wir beteten in Gruppen, in der Gemeinde, im Gottesdienst. Ich wollte mich dem auch nicht entziehen. Das Beten fiel mir jedoch immer ein wenig schwer. Irgendwie funktionierte in meinem Gehirn die Logik, die zum Danken und Beten verführt, nicht ganz. Ganz egoistisch verblendet kann man doch nicht sein, dass man Gott für die eigene Gesundheit, für den eigenen guten Schlaf, für das eigene Sattwerden dankt, wenn gleichzeitig viele andere Menschen nicht gesund sind, nicht satt werden, nicht gut geschlafen können, nicht mal ein Laken besitzen, in dem sie sich zum Schlafen einwickeln können. Warum soll Gott gerade an mich denken und die anderen vergessen?

      Ich füge hier hinzu: Ich habe heute kein Bedürfnis zu beten und in Gesellschaft eines Gottes zu leben. Ohne ihn lebe ich unbeschwert. Wie ich leben heute viele, vielleicht sogar die meisten Menschen. Sie stehen auf, gehen zur Arbeit, wenn sie eine haben, schuften den ganzen Tag, kehren nach Hause zurück, essen zu Abend, wenn sie zu essen haben, gehen ins Bett, wenn sie eins haben. Kein Gedanke an einen, wenn überhaupt, fernen Gott, wenn es ihn überhaupt gibt, der ihr Leben nicht im Geringsten berührt.

      Bei vielen Menschen ist das immer so gewesen, von der Geburt an. Sie sind, wie man es schön ausdrückt, so sozialisiert worden. Gott, wenn überhaupt, ist für diese Menschen eine ferne Chiffre, die den Alltag nicht tangiert. Das Phänomen kann man auch als praktischen Atheismus bezeichnen, eine Gottlosigkeit, die nicht theoretisch fundiert ist, die aber im Alltag einfach praktiziert wird. Die gelegentliche Ausübung einiger religiöser Riten, wie Taufe, Hochzeit und Beerdigung, sind