Susanne Danzer

Der Teufel von London


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schließlich aus seinem Versteck. Jetzt, endlich, waren die Straßen menschenleer. Zudem war ihm das Glück hold, denn es zog Nebel von der Themse heraus und hüllte die Nacht in einen kaum durchdringbaren Schleier. Selbst das Licht der Gaslaternen konnte die Schwaden kaum durchdringen. Charles war das nur recht. Es war, als hätte ihm das Schicksal einen Wink gegeben und würde sein Vorhaben nun unterstützten

      Er wählte nicht den kürzesten Weg nach ›Mayfair‹, sondern vermied alle Polizeistreifen, indem er sich durch kleine schmale Gassen schlich, die kaum von Gaslaternen erhellt wurden.

      Erst gegen vier Uhr erreichte er das Haus von Mister Brownhill und es verschlug ihm den Atem. Mit einer so prachtvollen Villa hätte er niemals gerechnet, geschweige denn sich eine solche überhaupt vorstellen können. Mit großen Augen betrachtete er das wundervolle Gebäude inmitten eines gepflegten Gartens. Charles war selten sprachlos, doch in diesem Moment gelang es ihm vor lauter Staunen nur anerkennend durch die Zähne zu pfeifen. Gefolgt von einem leisen Kichern und einem breiten Grinsen.

      Bevor er über den Zaun kletterte, sah er sich eine Weile um.

      Die Villa lag völlig im Dunkeln. Nicht der kleinste Lichtschein war zu sehen, noch ein Geräusch zu vernehmen.

      Nachdem er sich Zutritt zum Gelände verschafft hatte, untersuchte er zuerst den Schuppen. Die Tür war nicht verschlossen. Er fand einen kleinen Zweisitzer und eines der immer mehr in Mode kommenden Fahrräder. Im hinteren Bereich standen in einer Box zwei Pferde. Er verstand nicht viel von diesen Tieren, aber sie wirkten verschwitzt, so, als hätten sie erst vor kurzem eine mächtige Kraftanstrengung hinter sich gebracht. Wurden sie nicht im Anschluss immer trocken gerieben? Er wusste es nicht genau zu sagen, meinte aber so etwas einmal gehört zu haben.

      Charles griff nach den Schlüsseln, die er beim Toten gefunden hatte. Unbemerkt näherte er sich dem Haupthaus. Er sah das Namensschild neben der Tür und wusste, dass er richtig war.

      George A. Brownhill war in feinen, schnörkeligen Buchstaben kunstvoll in das Messingschild eingraviert worden. Da es keine Flecken aufwies, wurde es zweifelsohne regelmäßig poliert bis es glänzte.

      Er probierte einige Schlüssel durch, ehe er den richtigen herausgefunden hatte, und die Tür geräuschlos öffnen konnte.

      Als er die Villa betrat, kam er sich nicht wie ein Dieb vor – im Gegenteil. Schließlich wollte er ja nur feststellen, wie der von ihm gefundene Tote gelebt hatte. Und warum er vorzeitig aus dem Leben gebracht worden war. Neugier war nun einmal ein starker Antrieb, um auf eine solche Entdeckungsreise zu gehen.

      In der weiten Halle fand sich Charles schnell zurecht, trotz der herrschenden Dunkelheit.

      Auf einem Tisch entdeckte er einen reichlich verzierten Humidor mit Zigaretten einer teuren Marke, so edel wie sie rochen. Das war nicht der billige Tabak, wie er ihn kannte. Jedenfalls kamen ihm die gerade recht. Er streckte sich in einem Sessel aus und begann genüsslich zu rauchen.

      Auf den Gedanken, dass man ihn hier erwischen könnte, kam er nicht.

      Doch er sollte sich noch wundern.

      Nichts rührte sich im Haus und er beschloss, den Tag in der prachtvollen Villa abzuwarten. Passieren konnte ihm hier schließlich nichts ... zumindest kaum etwas, denn Mister Brownhill war ja tot.

      Kapitel 3

      Detective Inspector Archibald Primes schlief fest, als es bei ihm heftig an der Tür klopfte. Es dauerte einen Moment, bis er es registrierte. Mühsam rollte er sich auf die Seite, ließ die Beine aus dem Bett baumeln, hangelte seine Hausschuhe unter dem Bett hervor, schlüpfte hinein und stand auf, um nachzusehen, welcher Besucher zu nachtschlafender Zeit Einlass begehrte.

      Immer noch im Halbschlaf schlurfte er zur Haustür.

      »Wer ist da?«

      »Sergeant Lockwood, Sir!«

      Primes öffnete die alte Tür, die längst einen neuen Anstrich verdient hatte und ließ ihn eintreten.

      »Was gibt es denn, Lockwood?«, erkundigte er sich mit einem Gähnen, während er sich die Schlafmütze, die in ihrer Form einer Zipfelmütze entsprach, vom Kopf zog. »Sie müssen verzeihen, aber ich bin noch im Nachthemd. Ist ja auch noch verdammt früh, wie Sie zugeben müssen.«

      »Wir haben jemand in den Docks mit Rohopium erwischt, Sir ... er sieht übel zugerichtet aus und hielt ein blutiges Messer in der Hand«, erklärte der Sergeant, der im Yard und in der Londoner Unterwelt als ›Babyface‹ bekannt war, was durchaus stimmte, wenn man in sein unschuldiges, glattrasiertes und rotbäckiges Gesicht blickte.

      »Schon wieder die Docks!«, knurrte Primes, der keine gute Erinnerung an diese Gegend hatte. Dann sah er an sich herunter und sagte: »Geben Sie mir eine Viertelstunde, Sergeant. So kann ich wohl kaum mit Ihnen zu einem Tatort fahren.«

      Lockwood grinste vielsagend.

      »Ich warte vor dem Haus auf Sie, Sir!«

      Er drehte sich auf der Stelle um, trat wieder auf die Straße hinaus und zog die Tür leise hinter sich zu.

      Zwanzig Minuten später trat Primes aus dem Haus, kletterte auf den Zweispänner, mit dem Lockwood gekommen war und lehnte sich in das weiche Lederpolster zurück. Er war immer noch ein wenig schlecht gelaunt, weil man ihn zu nachtschlafender Zeit aus dem Bett geholt und in die Kälte hinausgezwungen hatte. Zudem war er morgens ohnehin nicht zu genießen. Jedenfalls gab es Menschen, die das behaupteten und ihm dann sicherheitshalber aus dem Weg gingen, bis er seinen ersten Kaffee oder starken Tee gehabt hatte. Je stärker das Gebräu, desto eher schien es seine Lebensgeister zu wecken.

      Während der Fahrt zum Yard wechselte er mit dem Sergeant, der die Zügel fest in der Hand hielt, nur ein paar nichtssagende Worte. Für eine richtige Unterhaltung war er schlichtweg zu müde.

      Primes schien ganz ruhig ...

      ... doch das änderte sich schnell, als er sein Büro betrat.

      Sergeant Woods erwartete ihn. Er war unrasiert und hatte in der Eile die Fliege vergessen. Mit offenem Hemdkragen stand er vor einem Mann, der aus mehreren Wunden im Gesicht blutete und nach billigem Fusel stank. Der Gestank war auf nüchternen Magen kaum zu ertragen.

      »Das nächste Mal gehen Sie ruhig näher an die Klinge heran, wenn Sie sich rasieren, Woods!«, bemerkte Primes mit einem versöhnlichen Lächeln, wie beiläufig, und betrachtete interessiert den Mann, der vor Woods auf einem Stuhl saß, während er seinen Hut und Mantel ablegte.

      Ohne auf eine Erwiderung Woods zu warten, nahm Primes hinter seinen breiten Schreibtisch Platz. Jetzt sah er sich den Mann, der in den Docks aufgegriffen worden war, noch genauer an.

      Vor ihm lagen verschiedene Dinge, die Detective Sergeant Woods dem Verletzten abgenommen hatte.

      »Sie wollen uns also nicht sagen, woher Sie dieses Päckchen Rohopium haben?«, fragte er ihn direkt, zündete sich eine Zigarette an und inhalierte den Rauch. »Überlegen Sie es sich gut. Man hat Sie angeblich überfallen und wie ich sehe, auch erheblich verletzt. Warum?«

      Primes vermochte nicht zu sagen, ob ihn der Mann überhaupt verstanden oder gehört hatte, denn er wiederholte immer wieder nur ein einziges Wort: »Arzt!«

      Der Inspector gab Woods einen Wink.

      »Ist Dr. Montgomery schon im Haus?«, erkundigte er sich.

      »Sie ist schon seit Stunden in der Pathologie«, antwortete Woods. »Es gab ein Mord. Ich werde mal sehen, wo sie steckt.«

      »Machen Sie das, Sergeant. Und lassen Sie sich nicht abschrecken, wenn sie versucht Widerstand zu leisten. Sorgen Sie auf alle Fälle dafür, dass sie hier erscheint. Ich lasse keine Entschuldigung gelten. Verstanden?«

      »Natürlich, Sir. Ich soll Dr. Montgomery selbst gegen jeden Widerstand hierherbringen.«

      »Exakt! Und ich hoffe für Sie, dass sich unsere geschätzte Ärztin nicht lange bitten lässt. Sonst müssen Sie sie womöglich noch an ihrem Haarknoten herbeizerren«, gab Primes ihm mit auf