Susanne Danzer

Der Teufel von London


Скачать книгу

dann kommt das Rohopium ganz sicher mit einem Schiff in die Stadt. Vielleicht über einen der Themseschiffer? Ich denke, dass der eine oder andere gegen ein Zubrot nichts einzuwenden hat.«

      Primes antwortete nicht und wartete stattdessen, bis Celeste den Verletzten verbunden hatte.

      »Kann ich jetzt mit ihm sprechen«, erkundigte er sich bei ihr, »oder sind seine Verletzungen dafür zu schwer?«

      »Ich bin andere Verletzungen gewohnt, die ich zu sehen bekomme«, antwortete Celeste lächelnd. »Der Mann ist noch gut dran. Das meiste sind Abschürfungen. Es sieht aus, als sei er böse gefallen. Ich befürchte allerdings, dass er nicht sprechen wird. Ich habe mich erkundigt, wie er zu seinen Verletzungen gekommen ist. Seine Antwort war kurz und bündig: ›Das geht Sie nichts an! Wenn ich es Ihnen nicht erzähle, dann den anderen erst recht nicht!‹ Ich gehe stark davon aus, dass er versucht einigermaßen heil aus der ganzen Sache herauszukommen. Eine Plauderei mit Ihnen, wird diesem Vorhaben nicht gerade förderlich sein.«

      Primes lächelte.

      »Es ist immer das Gleiche mit diesen schmutzigen Rauschgifthändlern. Sind sie einmal gefasst, können sie sich wie durch eine wundersame Fügung an nichts mehr erinnern.«

      »Scheint auch diesmal so zu sein«, warf Woods ein, der mit vor der Brust verschränkten Armen an der Wand neben der Tür lehnte.

      Gemeinsam mit den Sergeanten bemühten sie sich, den Mann zum Reden zu bringen. Doch letztlich erfuhren sie nicht einmal seinen Namen noch seine Wohnadresse.

      »Ich hatte keine Ahnung, was in dem Päckchen ist«, war das einzige, was er immer wieder vorbrachte. »Deswegen können Sie mich doch nicht einsperren. Ich habe es auf der Straße gefunden. Lag einfach so da rum.«

      »Können Sie das beweisen?«, knurrte Primes, der genau wusste, dass der Mann dazu nicht in der Lage war. »Ich nehme Ihnen das nicht ab, zumal das Päckchen keinerlei Verschmutzung aufweist. Auf mich wirkt es geradezu jungfräulich, als wäre es gerade erst frisch verpackt worden.« Er sah den Mann drohend an. »Ich gebe Ihnen Zeit zum Nachdenken. Wenn Sie sich entschlossen haben, die Wahrheit zu sagen, lassen Sie es mich wissen. Sie sollten sich darüber im Klaren sein, dass der Besitz von Rauschgift bis zu fünf Jahre Zuchthaus einbringen kann.«

      Der Mann knirschte mit den Zähnen. Am liebsten wäre er den Anwesenden, vor allem aber Primes, an die Kehle gefahren – doch er wusste, dass er keine Chance hatte und seine Situation nur verschlechterte.

      Kapitel 4

      In der Villa im Stadtteil ›Mayfair‹ wartete Charles Morrison gemütlich den Morgen ab. Er hatte sich zwei Sessel zusammengeschoben und darauf ausgestreckt. So war es deutlich bequemer und kein Vergleich zu einer Nacht unter einem Kistenstapel im Hafen. Er zog dieses Lager eindeutig vor.

      Zu schlafen wagte er sich jedoch nicht. Er nickte zwar gelegentlich kurz ein, nur um Augenblicke später wieder hochzuschrecken.

      Mit dem ersten hellen Grau des neuen Tages war er auf den Beinen. Mit einer gewissen Bewunderung stellte er fest, dass er sich erfrischt fühlte, trotz des Schlafmangels.

      Ausgeruht begann er mit der Durchsuchung der Villa. Sämtliche Türen ließen sich öffnen. Der Luxus machte Eindruck auf ihn. So etwas hatte er bisher nur auf Abbildungen in Zeitungen gesehen, mit denen er sich des Nachts zudeckte.

      Charles Morrison begann Mister Brownhill zu beneiden. Er hatte es im Leben zu etwas gebracht. Doch nun nutzte ihm auch sein Reichtum nichts mehr ...

      ... man hatte ihn umgebracht. Ermordet, abgemurkst, kaltgemacht. Was auch immer. Tot war tot. Kein schönes Ende, so eingezwängt und blutüberströmt in eine Holzkiste gestopft zu werden. Nun, nach einem Augenblick der sentimentalen Überlegung, war klar, dass jeder in einer Kiste landete. Denn ein Sarg war im Grunde genommen nichts anderes.

      Einen Moment zögerte Charles vor dem in die Wand eingelassenen Tresor, den er entdeckt hatte.

      Er betrachtete den Schlüsselbund genauer und wusste, dass er den passenden Schlüssel in der Hand hielt. Doch obwohl ihn die Neugierde gepackt hatte, unterließ er es einen Blick in den Safe zu werfen. Eigentlich wäre es eine gute Chance gewesen, sich weiteres Geld oder womöglich teuren Schmuck zu besorgen, mit dem er erst einmal über die Runden kommen würde. Ein Zimmer, regelmäßige Mahlzeiten und vielleicht einen neuen Anzug. Sein Leben würde wieder bergauf gehen.

      Es blieb still in der Villa. Immer wieder hielt er inne und lauschte.

      Der dicke Teppich dämpfte die leisen Schritte des ungebetenen Besuchers, der sich jetzt erst einmal eingehend im obersten Stockwerk umsah.

      Staunend stand er im Halbdunkel vor dem zum Bersten gefüllten Kleiderschrank des Hausbesitzers.

      Charles ließ seinen Blick über seine Kleidung gleiten und konnte der Versuchung nicht widerstehen.

      Die Anzüge passten ihm beinahe wie angegossen, als hätte man sie für ihn geschneidert. Zwar war der Hosenbund etwas zu weit, aber das würde kaum jemand merken. Ein Gürtel würde das Ganze schon richten.

      Lange betrachtete er sich in einem großen vergoldeten Spiegel. Wie verwandelt kam er sich vor. Er sah aus wie der Mann, der zu sein er sich vorgenommen hatte, als er damals nach London kam.

      Charles hatte keine Bedenken, sich an den Anzügen des Toten zu bedienen. Die nützten ihm ja eh nichts mehr. Er selbst besaß nur den einen ... und der war mit Blut verschmiert, und zwar mit dem des Toten. Da war es doch nur gerecht, wenn er für einen Ausgleich sorgte.

      Charles ließ sich Zeit.

      Er suchte sich Hemden aus und probierte mehrere Seidenschals. Nur mit den Schuhen haperte es. Sie waren eine Nummer zu klein und vorne zu eng.

      In einem der Zimmer im oberen Stock hatte er einen Koffer gesehen. Den holte er und packte hinein, was er sich ausgesucht hatte. So würde er alles leichter transportieren können und dabei wie ein Reisender aussehen, der gerade erst für einen Besuch in der Stadt angekommen war.

      Zuletzt betrat er das Bad.

      Er setzte Wasser auf und brachte es zum Kochen. Nach einer halben Stunde hatte er ausreichend heißes Wasser beisammen. Dann mischte er es mit etwas kaltem, bis es eine angenehme Temperatur hatte und stieg in die frei im Raum stehende Badewanne.

      Ein Bad war jetzt genau das richtige – und er hatte es mehr als nötig.

      Er hatte sich eine Flasche mit einem Badezusatz geangelt, den Inhalt geopfert, und schon nach kurzer Zeit fühlte sich wie neugeboren.

      Seiner Meinung nach konnte Mister Brownhill nichts dagegen haben, dass er sein Rasiermesser benutzte. Ein Gefühl, dass für ihn völlig neu war.

      Als er das Bad verließ, war er wie verwandelt. Niemand würde ihm noch den heruntergekommenen Landstreicher ansehen.

      Was ihn jetzt noch quälte war der Hunger. Seine letzte Mahlzeit war schon zu lange her. In diesem riesigen Haus, das so luxuriös ausgestattet war, musste sich doch auch Essbares finden lassen.

      Charles nahm sich den bereitgestellten Koffer und begab sich nach unten.

      Bisher war alles gut gegangen. Niemand hatte ihn gestört.

      Ihm fiel wieder der Tresor ein, der im Arbeitszimmer auf ihn zu warten schien.

      Es wäre doch schade, wenn ich nicht zumindest einen Blick hineinwerfen würde. Wer weiß, was sich darin entdecken lässt.

      Da er den passenden Schlüssel besaß, war es leicht den Tresor schnell zu öffnen. Neben zahlreichen Papieren, die er nur flüchtig durchsah, fand er eine kleine Metallkassette.

      Er vermutete darin Bargeld und packte sie, ohne hineinzusehen, direkt in seinen Koffer zu den anderen Sachen.

      Im Tresor sah er zum ersten Mal das Foto einer schönen jungen Frau. Sie lächelte und er, der kaum Bekanntschaften mit dem schönen Geschlecht gemacht hatte, war von ihrem Anblick wie verzaubert, weshalb er das Bild ohne nachzudenken einsteckte.

      Er fühlte sich immer noch absolut