Nadja Hummes

Blümchenkaffee


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Mimmi sich eine frische Ladung Futter einverleibt hatten, kamen sie angeflogen. Jeder noch so winzige Futterrest wurde von ihnen wertgeschätzt. Ebenso wie die Insekten, welche vom Geruch der Futterreste angezogen wurden. Diese Krähe hier, die gerade mit mir auf dem Baumstamm sitzt, war eine aus eben diesem Vogelschwarm. Jetzt, da sie ihre Federn ausgeschüttelt hat, erkenne ich sie wieder. Ihre Flügel tragen zwei weiße ovale Maserungen. Auf jeder Flügelspitze eine. Sie werden nur dann sichtbar, wenn die Krähe ihre Flügel spreizt. Ansonsten erweckt ihr Gefieder den Anschein, als bestünde es ausschließlich aus schwarzen Federn.

      An diese eine Krähe erinnere ich mich deshalb so genau, weil sie mich durch ihr Verhalten regelrecht verblüffte. Anders als ihre Artgenossen, verspeiste sie ihre erbeuteten Futterreste nämlich nicht sofort, sondern legte sich ein Depot an. Zu meinem Erstaunen, ohne dass die anderen es bemerkten. Am Rande der Weide hatte sie eine Stelle ausgemacht, an der das Erdreich locker war. Sie versenkte ihre Nahrung darin, scharrte Erde mit ihren Krallen darüber und legte mit Hilfe ihres Schnabels sogar Laub und Zweige obenauf. Zielgerichtet und sorgfältig. Sie aß immer erst dann, wenn sie sich sicher wähnte. Wenn Ruhe einkehrte.

      Zuvor hatten andere Vögel ihres Schwarmes ihr manchmal das Futter weggenommen. Das hatte ich mehrfach mitgekriegt. Ebenso hatte ich kurz darauf den Aufbau ihres Depots zur Kenntnis genommen. Sie wiederum hatte registriert, dass mir beide Vorgänge aufgefallen waren. Vermutlich ist dies der Grund gewesen, aus dem sie mir anschließend sehr viel genauer als vorher bei meiner Arbeit zusah. Vielleicht fürchtete sie, dass ich ihr Depot verrate. Dass ich es freilege, zuschütte oder gar auseinander trete. Nichts davon kam mir in den Sinn. Wieso auch? Nichts davon war notwendig. Die Futterreste und Insekten reichten nach wie vor für den gesamten Vogelschwarm. Und das Depot dieser Krähe lag so dermaßen abseits, dass niemand dort entlang lief oder es auf sonst irgendeine Art Mensch oder Tier hätte stören können. Selbst Johnny, Günters Hund, hatte keinerlei Interesse an dem Futterversteck dieser Krähe gezeigt. Er versprach sich mehr davon, seine Nase tief in diverse Kaninchenbauten zu versenken. Damals. In den Zeiten vor dem Lockdown.

      Bevor es in diesem Jahr März wurde.

      „Danke, dass du mir ungebetene Besucher vom Leib gehalten hast. Zum Glück waren es keine Feuerameisen. Keine Ahnung, ob der Klimawandel vielleicht auch die irgendwann herbringt. Könnte möglich werden.“

      Die Krähe blinzelt mich an.

      „Ich mag mir gar nicht ausmalen, was dann hier los wäre. Die hiesige Natur ist von Borkenkäfern und Eichenprozessionsspinnern ohnehin schon genug geplagt. Immer diese blöden Monokulturen, echt. Auf Feldern, in Wäldern und Gärten. Jetzt haben wir die Quittung.“

      Sie blinzelt noch einmal und hüpft näher.

      „Also falls du denen mal begegnen solltest, diesen Feuerameisen, – egal wo: Mach den Abflug. Im wahrsten Sinne des Wortes. Feuerameisen sind unangenehme Zeitgenossen. … Hmmm. Den Abflug machen. Gutes Stichwort. Ich mache mich jetzt besser auf den Rückweg. Also dann: Vielen Dank. Und alles Gute.“

      Ich stehe auf, was die Krähe in Unruhe versetzt und davon flattern lässt.

      Nachdem sie aus meinem Blickfeld verschwunden ist, nehme ich kurzentschlossen eine andere Route als auf dem Hinweg. Nach einer Weile gelange ich zur Landstraße. Dort, wo ich diese hätte überqueren müssen, sitzt ein junger Mann bei geöffneter Fahrertür auf dem Fahrersitz seines Wagens. Unglücklich guckt er in die menschenleere Gegend.

      Mir fällt auf, dass er trotz der leeren Straße das Mindestmaß an Vorkehrungen eingehalten und die Unfallstelle weiträumig abgesichert hat. Das Warndreieck steht ein paar Meter entfernt. Die Warnblinkanlage verrichtet ihren Dienst. Woha. Vorbildlich. Als der Mann mich erblickt, hebt er die Hand und winkt mir zu.

      „He Sie! Hab’n Sie ’n Handy bei? Wär echt klasse, weil, mein Akku is’ leer. Ich hab’ meine Powerbank zuhause lieg’n lassen. Könn’n Sie jemand’n für mich anruf’n? Äh, bitte, mein’ ich“, ruft er mir entgegen, indem er nach seinem Nasen-Mundschutz greift, welcher bis dato am Rückspiegel seines Wagens baumelte.

      „Klar! Wen soll ich denn anrufen?“ frage ich laut, während ich mir seine Autonummer merke, meine Atemmaske vor mein Gesicht ziehe und mich ihm bis auf zwei Meter Abstand nähere.

      „Polizei wär’ gut. Mir is’n Wildschwein vor’s Auto gelauf’n. Glaub’ ich.“

      „Oha.“

      „Ja, weil weg’n m’ Lockdown. Die Natur geht los. Für das sie ihre Rechte zurückholt.“

      „Och, Wildschweine gab es hier auch vorher schon.“

      „Nee, ne? Echt jetzt?“

      „Joah. So ab und zu. Sind Sie fremd in der Gegend?“

      „Ja, ne. War eigentlich nur auf’er Durchfahrt so. Bis’s gekracht hat. Sieht man ja.“

      „Das sieht man deutlich, ja. War es sehr schlimm?“

      „Weiß nich’. Mir is’ so nix passiert so. Bloß dass meine Karre Schrott is’. Aber dem Vieh geht’s blendend. Das is’ direkt wieder aufg’stand’n. Hat sich geschüttelt un’ is’ dann völlig unbeeindruckt im Gebüsch verschwund’n. Wie in dies’m Film so. Ach fuck, is’ ja auch irgendwie richtig so. So weiß’e, ne so?! Ich mein’, wir sin’ ja auch echt irgen’wie voll die Faschos, ne. So gegen die Natur so.“

      „Gewissermaßen. War es eine Bache oder ein Keiler?“

      „Weiß nich’. Is’n das? N’Bach hab ich hier noch kein’n gesehen. So gar kein`n, ne.“

      „Sie stehen schon länger hier?“

      „Ja. Seit… Nee, weiß nicht. Jedenfalls voll lang so.“

      „Haben Sie irgendwo Frischlinge gesehen?“

      „Frischlinge? Weiß nich’. Is’n das? Pilze?“

      „Äh, nein. Ferkel.“

      „Ey, pass bloß auf, ja?! Paar auf’s Maul?!!“

      „Nein. Bitte nicht aufregen. Das ist ein Missverständnis. Frischlinge sind keine Pilze, sondern junge Schweine. So ähnlich wie die Ferkel vom Hausschwein. Bloß nicht unbedingt rosa. Eher hellbraun. Üblicherweise tragen sie helle Streifen und Punkte. Seitlich und über den Rücken. Meistens sind sie in einer Gruppe unterwegs.“

      „Ach so. … Nee. … Nee, hab’ ich nich’ gesehen. Warum?“

      „Weil eine Bache ein Muttertier ist, um auf Ihre Frage zurück zu kommen. Ein Keiler hingegen ist ein Vatertier. Die Bachen haben ungefähr von März bis Mai Frischlinge. Eigentlich. Aber vielleicht hat sich auch das inzwischen geändert. Mit Blick auf den Klimawandel schließe ich kaum noch etwas aus.“

      „Nee, keine Frischlinge. Hab’ keine geseh’n. Glaub’… das war’n … Keiler?“

      Grübelnd kratzt er seinen Nacken. Seine Stirn legt sich in Falten.

      „Weiß nich’ so genau. Das Tier hatte ziemliche… So voll die Reißzähne so.“

      Wild gestikuliert er um seine Mundwinkel herum.

      „Hier so. Und da so. Hab’ mich krass erschrock’n. War wie in dies’m Film, aber übelst echt. … ‚Zoombies‘. Kenn’n Sie den?“

      „Nein. Aber ganz so schlimm kann es nicht gewesen sein. Der Keiler ist doch direkt weggelaufen.“

      „Is’ abgehau’n, ja. War ich auch voll erleichtert drüber. Hätt’ nich’ gewusst, was ich machen soll. … Tja. … Wenn ich Glück hab’, könn’ die Bullen noch paar Haare oder so finden. Wär’ echt gut so. Wegen Versicherung un’ so.“

      „Soll ich sonst noch jemanden verständigen? Einen Abschleppdienst? Oder einen Krankenwagen?“

      „Nee. Das klär’ ich nachher mit der Bullerei. Wenn die den Schaden aufnehm’n.“

      „O.k.“

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