Nadja Hummes

Blümchenkaffee


Скачать книгу

kannst, dieses... für dich sein“, resümiert sie staunend. „Ehrlich gesagt, bewundere ich dich da fast ein bisschen.“

      „Was? Wieso denn das?“

      „Also, für mich wäre das nichts. Wenn ich Falk nicht hätte und er mich nicht… Ginge gar nicht. Da haben wir uns letztens noch drüber unterhalten. Könnten wir nicht. Würden wir auch nicht wollen. Weder er noch ich. Du bist da anders als ich.“

      „Außer einer wirklich guten Freundschaft verbindet mich ja auch nichts mit ihm.“

      „Du nun wieder“, lacht Nici. „Hätte ich sagen müssen: ‚Ich bin da anders als du‘? Oder wie? Oder wie man halt sagen möchte. Ist ja auch egal. Die Hauptsache ist doch, dass man glücklich ist. Und wenn man’s nicht ist, dann muss man halt sehen, dass man es wird. Und darauf hinarbeiten. Damit es wird.“

      „Äh, ja. Gut, dass Glücklichsein individuell definiert wird.“

      „Wo du Recht hast, hast du Recht. Wenn ich mir so vor Augen führe, was manche Leute unter ‚glücklich sein‘ verstehen…“

      „Nici?“

      „Ja?“

      „Lass gut sein. Bitte. Ich bin gerade nicht in Plauderlaune. Ist nichts gegen dich. Wirklich nicht. Weswegen hast du mich angerufen?“

      Stille.

      „Na ja… Seit März haben wir ja nichts mehr voneinander gehört. Aber… Ehrlich gesagt… Ach Lenja. … Ich bin es so leid“, wispert sie auf einmal kaum hörbar. „Es ist… irgendwie… dieses… diese… Diese Tatsache, dass viele erwachsene Menschen es nicht mit sich selber klar kriegen, dass es Menschen gibt, die eine andere Meinung haben und vertreten und das Leben anders leben, als sie selber es tun!!! Dass sie schon diese Tatsache an sich nicht aushalten können!!! Und am besten noch meinen, aus eben diesem Grund – ich drücke es mal höflich aus: blöd – gegen andere werden zu dürfen!!! Ich könnt’ kotzen! Ehrlich!“ platzt es aus ihr heraus.

      „Du liebe Güte, Nici. Was ist denn passiert?“

      „Wenn ich das mal selber wüsste. Es gab keinen konkreten Anlass. Keine bestimmte Situation. Es ist mehr so dieses… Irgendwie ist es inzwischen echt zu viel! Zuviel von immer derselben Leier! Too much negative input but less positive.“

      „Too much input von welcher Leier?“

      „Du weißt doch, dass Falk und ich seit März im Home-Office sind.“

      „Ja. Geht ihr euch gegenseitig auf die Nerven?“

      „Nein, das ist es nicht. Das geht alles.“

      „Ist es, weil ihr Sebastian bei euch habt? Die Kitas öffnen bestimmt bald wieder.“

      „Nein, Sebastian ist relativ unproblematisch. Der spielt und baut den ganzen Tag vor sich hin. Wir sind ihm viel zu langweilig. Weil wir den Großteil des Tages im Home-Office sitzen. Nein, das ist es auch nicht.“

      „Was ist es dann?“

      „Es ist… Wie soll ich sagen? … Irgendwie haben die Leute alle viel zu viel Druck auf’m Kessel. Naja, nicht alle. Aber viele. Weil die mit irgendetwas nicht klarkommen. Mit der ganzen Situation… oder sich selber… oder beides… oder was auch immer. Und das lassen die dann an anderen aus. Auch an mir. Und darauf kann ich einfach nicht mehr!!!“

      Nicoles Stimme wird zunehmend von einer Mischung aus Wut, Trauer und Verzweiflung durchzogen.

      „Wer lässt das an dir aus?“

      „Andere Eltern, die ihre Kinder seit dem Lockdown zu Hause haben. Nachbarn. Verwandte. Falks Arbeitskollegen. Trinker, die den gesperrten Spielplatz in unserer Siedlung belagern. Wildfremde Leute im Supermarkt …“ sprudelt sie los. „Ich kann gar nicht alle aufzählen. Meistens gehen sie genau dann auf mich los, wenn sie ihre Situation oder Emotion oder was weiß ich entweder nicht gut oder eben überhaupt nicht meistern können“, fährt sie in besagter Stimmlage fort. „Und zwar sowohl auf ihre Handlungsaktivität bezogen als auch hinsichtlich ihrer eigenen geistigen, körperlichen, seelischen, emotionalen und nervlichen Bewältigung mit sich selber. Und weißt du was? Das zieht sich durch sämt­liche Alters­klas­sen, Ge­schlech­ter, Berufs­grup­pen, Bil­dungs­level, Ein­kom­mens­klas­sen… Ich kann einfach nicht mehr!“

      „Mensch Nici. Nimm dir das doch nicht so zu Herzen. Und lass mal für einen Augenblick von dieser päda­go­gisch-psy­cho­lo­gisch-ana­ly­ti­schen Sprech­weise ab. Du bist doch hier nicht auf einem Elternabend oder Pädagogentreff oder so. Wir kennen uns schließlich lange genug.“

      „Tschuldige. Siehst’e, das ist auch so’n Punkt! Wehe, ich drücke mich nicht durch und durch abgefeimt aus. Dann wird’s mir gleich wieder sonstwie ausgelegt. Und dann wird das künstlich zum Thema aufgeblasen und rauf und runter zerpflückt. Bloß, damit die was zu wettern und belehren haben und von sich selber oder vom eigentlichen Punkt ablenken und sich selber aufwerten können!“

      „Lasse das nicht so nahe an dich heran. Du weißt doch: In das Titelblatt von heute wickelt man schon morgen den Fisch vom Wochenmarkt ein.“

      „Als ich noch kein Kind hatte, hieß das Totschlag-Argument immer: ‚Du hast ja keine Kinder, also kannst du da gar nicht mitreden‘, oder ‚Wart‘ mal ab, bis du Kinder hast, dann singst du auch ein anderes Lied.‘ Aber weißt du was?! Tatsächlich habe ich vor einiger Zeit unseren eigenen Nachwuchs zur Welt gebracht…“

      „Ist mir nicht entgangen“, versuche ich sie aufzumuntern.

      „… und ich singe kein anderes Lied. Ich sage und sehe die Dinge immer noch ganz genau so wie vorher. Und jetzt? Na? Jetzt ist den Leuten das eine Totschlag-Argument also ausgegangen und schon haben sie ein neues.“

      „Das wundert mich jetzt nicht. Wie lautet es?“

      „Na wie wohl?! ‚Ich kann zwar nicht dies oder das, aber…‘, oder ‚Vielleicht war das nicht so astrein von mir, aber…‘“

      „… aber…?“

      „…‚aber wenigstens hat mein Kind ein gutes Leben!‘ oder ‚…aber wenigstens hat meine Familie ein gutes Leben!‘ oder ‚…aber wenigstens haben wir ein gutes Leben!‘ Und so weiter. Was die dann halt immer so an Argumenten haben. Irgendetwas in dieser Richtung kommt jedes Mal. Und die ganz besonders netten, die treten dann noch nach. Sowas wie ‚Im Gegensatz zu deinem armen Würmchen‘, oder ‚Was man von dir ja leider nicht sagen kann‘, oder ‚Im Gegensatz zu euch‘, oder ‚Deine Familie kann einem echt leid tun‘, und lauter solche Nettigkeiten. Bloß, weil sie es nicht aushalten können, dass ich und meine Familie anders ticken und leben als sie! Und dass wir anders an die Dinge herangehen als sie! Ich könnte an die Decke gehen! Echt! Die sollen doch einfach mal den Ball flach halten!!! Ich spucke denen doch auch nicht in ihre Suppe! Ich lasse die doch auch nach deren Fasson selig werden! Leben und leben lassen! … Und das einfach mal in aller Gelassenheit. Aushalten können. Gerne auch freundlich gesinnt. Mit einer großen Portion Wohlwollen. Das wäre mal etwas.“

      „Ja, das wäre schon einmal eine gute Grundlage.“

      „Woher maßen die sich eigentlich an zu beurteilen, ob meine Familie und ich ein gutes Leben haben oder nicht?! Woher bitteschön?! Ich habe die nicht zum Tee eingeladen! Keinen von denen!“

      „Ich vermute, die gehen von ihrem eigenen Maßstab aus. Mensch, Nici. Lasse dich doch nicht so fertigmachen. Denke dir deinen Teil und zeige denen innerlich den Stinkefinger. Wir wären längst nicht so lange und so eng miteinander befreundet, wäre ich der Meinung, du hättest keine guten Maßstäbe. Behalte einfach deinen Kurs bei, dann kommt das Schiff schon gut durch die Klippen. Du machst das schon richtig. Das meine ich ehrlich.“

      „Danke.“

      „Bitte. Was sagt Falk eigentlich dazu?“

      „Er steht voll zu mir. Und hinter mir. Und Sebastian auch. Der ist zwar noch ein kleines Kind, aber wenn er möchte, kann er sich auf seine kindliche Art doch ziemlich