Nadja Hummes

Blümchenkaffee


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und in der Strunzdorfer Konditorei, da habe ich mich auch telefonisch erkundigt und die sagten mir, sie seien nur noch in der Minimalbesetzung da, beide, und fertigen nur noch schon vorbestellte Hochzeitstorten an und liefern die aus. Und es sei ja vorher schon so schwierig gewesen. Wegen der Unkosten und so weiter und sie hätten ja eine Sitzecke und die sei immer gut besucht gewesen, aber das fällt ja inzwischen alles weg und jetzt wissen die selber nicht, ob ihr Betrieb demnächst überhaupt noch da ist. Einhorntorte und so etwas, das nehmen die gar nicht mehr an. Ja, du liebe Güte, da habe ich aber einen Schrecken gekriegt! Was mache ich denn jetzt? Können Sie mir denn da weiterhelfen?“

      „Das hoffe ich doch“, spreche ich uns beiden zuversichtlich Mut zu.

      Geduldig lausche ich der stolzen Großmutter, welche mir im weiteren Verlauf unseres Telefonates eine ebenso wortgetreue wie ausführliche Beschreibung der Einhorntorte wiedergibt. So, wie ihre Enkelin sie ihr beschrieben hat. Im Geiste rechne ich bereits die Menge der dafür benötigten Lebensmittel hoch. Zwei Erwachsene und zwei Kinder. Laut dieser schnuckeligen Oma verspeist jede Person circa drei oder vier Stück Kuchen. Über den Geburtstag und die anschließenden zwei Tage verteilt. Sie selbst wird nicht mitessen. Denn weil Oma mit ihren dreiundsiebzig Jahren zur Risikogruppe gehört, darf sie vorerst leider nicht zum Geburtstag ihrer Enkeltochter kommen. Aber selbstverständlich wird sie, wann immer es die jeweiligen Beteiligten wollen, per Video dabei sein.

      Gegen Ende des Gespräches einigen wir uns darauf, dass sie mir die Unkosten für die Lebensmittel erstattet und jenen Betrag um einen kleinen Bonus ergänzt. Schon jetzt ist mir klar, dass besagter Bonus keineswegs die aufzuwendende Arbeitszeit vergüten wird. Dennoch. Diese reizende alte Dame ist eine so herzensgute Vollblutoma, dass ich ihr dieses Anliegen weder abschlagen kann noch möchte.

      *

      O tempora, o mores.

      Einhornkuchen.

      Ein Drama in drei Akten.

      Erster Akt: Der Biskuitboden.

      Sorgsam trenne ich das Eigelb vom Eiweiß. Jedes kleine abgesplitterte Stück Eierschale wird akribisch mit einem sauberen Lebensmittelpinsel heraus gefischt. Während das mit Zucker aufgeschäumte und steif geschlagene Eiweiß schon im Kühlschrank steht und dort auf seinen Einsatz wartet, heizt der Backofen bereits vor.

      Hayden untermalt die Szenerie seit Anbeginn. Im Stimmungsbarometer seiner Orchesterklänge verquirle ich diverse Zutaten in großen Kaffeebechern und Müslischüsseln und stelle sie separat, zur weiteren Verwendung, bereit. Sooo… Bitte nicht rutschen! Ich weiß, dass in meiner Küche wenig Platz ist, aber trotzdem: Nicht hinfallen, o.k.?! Nicht kaputt gehen. Bitte. Ich brauche diese Zutaten noch. Und neues Geschirr möchte ich mir zur Zeit auch keines kaufen. Nicht bewegen. Einfach brav stehenbleiben. Jaaa! Guuut! So stehenbleiben!!! Jaaaaa! Genau so! … Uff!!!

      Zweiter Akt: Die Quarkcreme.

      Der Biskuitboden ist mittlerweile fertig und in Sicherheit. Er steht zum Auskühlen im Schlafzimmer. Normalerweise empfiehlt es sich, Biskuitbackwerk einen ganzen Tag lang auskühlen zu lassen, bevor es weiter verwendet wird. Doch dieses Zeitfenster hat die Vollblutoma nicht. Ihr pressiert’s. Nun denn, – der Biskuitboden ist abgedeckt. Weichet, ihr Wespen! Für euch gibt es hier nichts zu holen!

      Fertig angerührte Schlagsahne? Anwesend. Mit Puderzucker angereicherter Magerquark? Anwesend. Abgekühlte Zitronengelatine? Anwesend. Vier Lebensmittelfarben sowie fünf bislang unbenutzte große Tassen? Anwesend.

      Nun denn.

      Behutsam vermenge ich Puderzuckerquark, Schlagsahne und Zitronengelatine miteinander und befülle jede einzelne der fünf Tassen zu dreiviertel mit dieser Masse. Jetzt muss ich bloß noch die Farben unterrühren. Bloß noch. Ha! Von wegen! Es ist der Teil der Arbeit, auf den ich mich am meisten gefreut habe. Farben! Her damit!

      Rot, Gelb, Blau und Grün werden hingebungsvoll auf vier der Tassen verteilt. Die Masse in der fünften Tasse bedenke ich mit einem sorgfältigen Blick, – ob sie auch keine Farbspritzer abbekommen hat. Denn sie soll für’s Erste noch weiß bleiben.

      Ja, alles in Ordnung. Na bitte, geht doch.

      Ab in den Kühlschrank! Zumindest mit all jenen Tassen, die darin noch Platz finden.

      Dritter Akt: Aufbau der Torte.

      Hm. Ein bisschen Inspiration könnte nicht schaden.

      Hayden räumt seinen Platz und überlässt Max Bruch das Feld. Beziehungsweise die Lautsprecher.

      Den ausgekühlten Biskuitboden befreie ich aus seinem vor Wespen gesicherten Verlies. Zurück in der Küche, schneide ich ihn in acht fast gleichmäßige Scheiben. Geringfügige Abweichungen inbegriffen. Die dickste Scheibe bildet den Boden. Ich beginne mit… hmmm… mit Grün. Schwungvoll entleere ich die grüne Creme aus der Tasse über dem untersten Biskuitboden. Ebenso beschwingt verteile ich sie nun mit dem breiten Kuchenmesser, – bis die gesamte Fläche vollständig bestrichen ist. Danach decke ich die grüne Cremeschicht mit der nächsten Biskuitbodenscheibe ab. Irgendwann sind endlich alle Farb- und Biskuitschichten zu einer mehrstöckigen Torte zusammengebaut. Es wird Zeit, dieses Wunderwerk der Backkunst mit der verbliebenen weißen Creme sorgsam zu ummanteln. Vorher jedoch…

      Ein umgedrehtes Eiswaffelhörnchen wird das sagenumwobene Horn des Einhornes bilden. Ganz oben, auf dem höchsten Punkt der Torte. Deshalb muss ich nun ganz viel Fingerspitzengefühl aufwenden.

      Man mag von der Farbe Rosa halten was man möchte, – ich werde nicht dafür bezahlt, mit der Großmutter oder den Eltern des Geburtstagskindes über die kommerzielle Verwendung dieses Farbtones, geschweige denn über ein fragwürdiges Frauenbild zu diskutieren. Auch steht mir nicht der Sinn danach. Denn ein Kind, das all den derzeitigen Widrigkeiten mit Hilfe seiner überzeugten Jawohl!-Prinzessinnen-haben-Einhörner!-Philosophie trotzt und immense Kraft sowie einen Teil seines seelischen Gleichgewichtes aus dieser Philosophie schöpft, hat meinen vollen Respekt und Rückhalt.

      Vorsichtig mische ich den Rest der weißen Quarkcreme unter den verbliebenen Rest der roten Quarkcreme, bis ein unbeschwertes Pastellrosa entstanden ist. Behutsam pinsele ich das Waffelhörnchen damit ein und suche im Kühlschrank eine Nische. Passt!

      Nun noch zwei sorgfältig ausgeschmückte Augen aus unterschiedlich farbigem Fondant am Fuße des Kuchens angebracht, mit einer Fondue-Gabel die Strähnen der Pferdemähne in das Kunstwerk hinein gezogen und virtuos ein paar bunte Schokoladenstreusel so wie rosa, silbern glitzernde und hellgelbe Marzipanblumen von verschiedener Größe in die Mähnenhaare gestreut. Fertig.

      Dieses Kunstwerk von Torte ist – melodramatisches Hach – eine echte Diva. Darum lässt sie sich auch nicht in diesen ordinären Kühlschrank zwängen. Viel zu eng. Und soll sie diesen unzumutbar mickrigen Platz vielleicht auch noch mit anderen teilen? Womöglich etwa mit solchen aus dem gewöhnlichen Fußvolke? Püh!!!

      Nee, ist klar. Gut, dass ich schon vorher mit dieser Entwicklung gerechnet habe. Was man eine kluge Frau heißt, so sorgt eine solche vor. Behände eile ich in das abgedunkelte Badezimmer, versiegele den Abfluss der Dusche mit dem Stöpsel, spurte zum Kühlschrank, zerre sämtliche eingelagerten Kühlakkus und Eiswürfel aus dem Tiefkühlfach und verteile diese flächendeckend in der Duschtasse. Et voilà! Der Frischhalte-Jungbrunnen ist angerichtet! Möge die hochwohlgeborene Diva gnädigst geruhen, dort Platz zu nehmen? Darf ich Ihre verehrte Durchlaucht untertänigst in ihr Gemach der ewigen Jugend geleiten?

      Aber ja doch.

      Das rosa Waffelhörnchen setzte ich erst dann auf die Spitze der Torte, wenn des Kindes Großmutter im Taxi vorfährt. So ist es ausgemacht.

      Oma höchstselbst wird daheim noch frische Sahne schlagen und jene Stelle, an der das Einhorn sitzt, mit einem Zierrand aus eben dieser Schlagsahne versehen. Den Rest der bunten Schokoladenstreusel und Marzipanblumen wird sie auch mitnehmen. Die streut sie über das Einhorn und den Rand aus Sahne, sobald dieser fertig ist.

      Max Bruch verstummt. Er hat den Zeitpunkt gut abgepasst. Stille kehrt ein.

      Dies also ist der Moment, sich dem Anblick der anstehenden Nachbereitung zu stellen. Wohlan denn.