S.C. Bauer

Wir kamen mit der Mayflower


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er­in­ne­re mich mit Schau­dern an Mr. Dorm­ner, den ka­tho­li­schen Schmied, der letz­ten Win­ter von den Sol­daten ge­holt wur­de. 6 Wo­chen spä­ter brach­ten sie ihn heim. Man hat­te ihm al­le Fin­ger­nä­gel aus­ge­ris­sen und bei­de Bei­ne mehr­mals ge­bro­chen. Nach­dem sei­ne Bei­ne schwarz wur­den, leb­te er nur noch kur­ze Zeit unter gro­ßen Qua­len, be­vor er starb.

      Mei­ne El­tern sind in gro­ßer Sor­ge, dass auch mein Va­ter wie­der ins Ge­fäng­nis kommt. Sie sind über­zeugt, dass er die­ses Mal nicht un­ver­sehrt zu­rück­keh­ren wird. Doch trotz ihrer Angst wol­len sie ihre Über­zeu­gun­gen nicht auf­ge­ben. Mein Va­ter sucht nach einem Aus­weg und schließ­lich fasst er den Ent­schluss, dass wir Eng­land ver­las­sen.

      Reisevorbereitungen

      Mein Bru­der Jo­seph ist jetzt den gan­zen Tag draußen und hackt Brenn­holz klein für den Win­ter. »Das Haus muss mit Werg ab­ge­dich­tet wer­den. Der Wind pfeift durch al­le Rit­zen«, meint mei­ne Mut­ter.

      Mein Va­ter schüt­telt den Kopf: »Das lohnt sich kaum mehr«.

      Er hat unser Haus vor kur­zem an Mr. Bot­hell ver­kauft. Es dau­ert nun nicht mehr lan­ge, bis wir fort­ge­hen.

      Ich be­lau­sche ein Ge­spräch mei­ner El­tern und er­fah­re, dass mein Va­ter zu­frie­den ist mit dem Ver­kauf. Er will die 280 Pfund, die er für unser Haus ge­kriegt hat, in eine Ge­sell­schaft in­ves­tie­ren, die von einer Grup­pe von Kauf­leu­ten ge­grün­det wur­de. Die Mer­chant Com­pa­ny fi­nan­ziert unse­re Rei­se.

      Ich weiß nicht ge­nau, wo wir hin­ge­hen und auch Jo­seph, mein jün­ge­rer Bru­der hat kei­ne Ah­nung. Wir ha­ben nur er­fah­ren, dass es ein Land ist, das sehr weit von Eng­land ent­fernt liegt. Wir sind bei­de neu­gie­rig und auch ein we­nig ängst­lich, weil wir nicht wis­sen, was uns dort er­war­tet.

      Mein Va­ter nimmt Jo­seph mit auf den Markt, wo er zwei Zie­gen und sechs Hüh­ner kauft. Von unse­ren Schwei­nen hat er fast al­le ver­kauft, nur vier jun­ge Säue be­hal­ten wir. »Wir neh­men die Tie­re mit, wenn wir auf­bre­chen«, sagt er.

      Es wird unser letz­ter Win­ter in Dor­king sein. Im nächs­ten Früh­ling fah­ren wir. Mei­ne Mut­ter ist be­schäf­tigt mit Pa­cken. Wir müs­sen Werk­zeu­ge, Klei­dung und Haus­rat mit­neh­men. »Dort, wo wir hin­ge­hen, gibt es kei­nen Markt auf dem wir et­was kau­fen kön­nen«, sagt sie.

      Ich schaue sie un­gläu­big an.

      Jo­seph hat von mei­nem Va­ter er­fah­ren, wo­hin unse­re Rei­se geht. »Wir se­geln mit einem gro­ßen Schiff in die Ko­lo­nien, der Neu­en Welt. Dort le­ben noch nicht vie­le Men­schen und nie­mand stört sich an unse­rem Glau­ben«, er­zählt er mir auf­ge­regt. Ich bin be­geis­tert, dass sich mein Wunsch auf einem Schiff in fer­ne Län­der zu se­geln, nun doch er­fül­len wird.

      »Wie ist wohl das Le­ben in den Ko­lo­nien?«, fra­ge ich Jo­seph. Er weiß es nicht und fragt mei­nen Va­ter da­nach. Mein Bru­der er­fährt, dass wir uns erst ein Haus bau­en müs­sen und dass mein Va­ter ja­gen und fi­schen wird, da­mit wir zu es­sen ha­ben. Wir neh­men auch Saat­gut mit, so­dass wir Ge­trei­de an­pflan­zen kön­nen.

      Ich ha­be tau­send Fra­gen, be­herr­sche mich aber. Mei­ne Mut­ter be­merkt mei­ne Neu­gier­de. »Mach dir nicht so vie­le Ge­dan­ken, da­von be­kommst du Kopf­weh. Ver­trau lie­ber auf Gott den Herrn«, ruft sie mich zur Ord­nung.

      An einem Sonn­tag, nach dem Got­tes­dienst hö­re ich wie Re­ve­rend Tho­mas sich mit mei­nem Va­ter und einem groß­ge­wach­se­nen Mann mitt­le­ren Al­ters unter­hält. Er heißt Christ­oper Mar­tin und ist einer unse­rer Rei­se­ge­fähr­ten.

      Er spricht sehr von oben he­rab mit mei­nem Va­ter und ich fin­de ihn nicht sehr sym­pa­thisch. Mein Va­ter scheint sich an sei­ner Ar­ro­ganz aber nicht wei­ter zu stö­ren und ich be­hal­te mei­ne Ge­dan­ken für mich.

      »Mr. Mul­lins, ihr müsst end­lich Mr. Wes­ton ken­nen­ler­nen. Er hat so viel für unser Unter­neh­men ge­tan. Kommt doch mit nach Lon­don, wenn wir uns dort nächs­te Wo­che mit Ro­bert Cush­man und John Car­ver tref­fen«, lädt er mei­nen Va­ter ein.

      Mr. Cush­man und Mr. Car­ver sind die Ver­tre­ter einer pu­ri­ta­ni­schen Ge­mein­schaft aus Lei­den in Hol­land, die sich uns an­schlie­ßen wird.

      Lang­sam däm­mert es mir, dass wir eine gro­ße Grup­pe von Leu­ten sein wer­den, die auf zwei Schif­fen in die Neue Welt se­geln. Ich fin­de es be­ru­hi­gend, dass die Pu­ri­ta­ner aus Lei­den, den glei­chen Glau­ben ha­ben, wie wir. Ich hof­fe, dass wir uns gut ver­ste­hen und uns gegen­sei­tig hel­fen wer­den.

      Na­tür­lich bin ich neu­gie­rig mehr über sie zu er­fah­ren. So­bald mein Va­ter aus Lon­don zu­rück­kehrt, lau­schen Jo­seph und ich an der Tür, als er mei­ner Mut­ter von ih­nen be­rich­tet. »Stell dir vor Ali­ce, es sind Se­pa­ra­tis­ten. Wir den­ken, wir sind ver­mes­sen, weil wir ver­schie­de­ne In­hal­te unse­rer Kir­che ab­leh­nen. Aber die­se Leu­te, die im Exil in Lei­den le­ben, sind noch dras­ti­scher in ihren An­sich­ten. Sie wol­len die Kir­che Eng­lands ver­las­sen, wol­len gar nicht zu einer zent­ra­len Kir­che ge­hö­ren, son­dern je­de Ge­mein­de soll eine Kir­che für sich sein. Sie den­ken, wir ha­ben al­le die glei­chen Rech­te und kei­ner steht über dem An­de­ren. Sie nen­nen sich selbst Saints, da­zu aus­erwählt, Gro­ßes zu voll­brin­gen im Na­men Got­tes.«

      Die Ant­wort mei­ner Mut­ter ist zu lei­se, als dass ich sie ver­ste­hen kann. Ich ha­be fürs Ers­te ge­nug ge­hört.

      Dun­kel er­in­ne­re ich mich da­ran, dass die Se­pa­ra­tis­ten­be­we­gung von Re­ve­rend Brown vor gut 40 Jah­ren ge­grün­det wur­de. Da­mals herrsch­te über Eng­land noch King James Vor­gän­ge­rin die gro­ße Kö­ni­gin Eli­za­beth, die eine li­be­ra­le Pro­tes­tan­tin war. Doch die Leh­ren von Brown wa­ren auch ihr zu ra­di­kal.

      Die Se­pa­ra­tis­ten leh­nen nicht nur Weih­nach­ten, Os­tern und al­le Hei­li­gen­ta­ge ab, son­dern stel­len die ge­sam­te Kir­chen­hie­rar­chie ein­schließ­lich al­ler Ri­ten außer Abend­mahl und Psal­men in­fra­ge. Selbst das »Va­ter unser« wol­len sie nicht als bi­bel­treu gel­ten las­sen.

      Ihr Schick­sal war schließ­lich be­sie­gelt, als sie auch noch die Au­to­ri­tät der Kö­ni­gin als Kir­chen­ober­haupt an­zwei­fel­ten. Queen Eli­za­beth ließ Brown und sei­ne An­hän­ger, Bar­row, Green­wood und Pen­ry ver­haf­ten und we­gen Hoch­ver­rats hin­rich­ten.

      Ich bin be­un­ru­higt zu hö­ren, dass unse­re neu­en Rei­se­ge­fähr­ten die­ser ext­re­mis­ti­schen Leh­re an­hän­gen, und ma­che mir Sor­gen, wie wir mit ih­nen aus­kom­men wer­den. Aber ich be­hal­te mei­ne Ge­dan­ken für mich. Mei­ne Mut­ter hält Sor­gen für über­flüs­si­gen Bal­last, der unse­ren Geist ver­wirrt. »Die We­ge des Herrn sind un­ab­än­der­lich. Wir müs­sen uns sei­ner Füh­rung beu­gen wie ein Blatt im Wind, sonst wer­den wir zer­schmet­tert.«

      Ei­ni­ge Wo­chen spä­ter be­glei­ten wir mei­nen Va­ter, als er sich wie­der nach Lon­don auf­macht und ich ler­ne Mr. Car­ver und Mr. Cush­man ken­nen. Bei­de er­schei­nen mir freund­lich und höf­lich und ich kann in ihrem Auf­tre­ten nichts Fa­na­ti­sches er­ken­nen, was mich ein­deu­tig be­ru­higt. Die Ge­sprä­che füh­ren die Män­ner an­schlie­ßend al­lei­ne, wäh­rend mei­ne Mut­ter und ich Na­deln und Wol­le in einem La­den am Ha­fen kau­fen.

      Auf der Rück­fahrt