Anita Florian

Die Ungeliebten


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Kind, der es sich nun doch anders überlegt hatte und in seinem Bauch das Feuer entfachen ließ. Rußflocken schwirrten noch vor ihrem Gesicht herum und sie hatte Mühe, alles wieder zu säubern. Endlich züngelten die Flämmchen in seinem Inneren. Das Feuer flackerte auf und bald knisterte es behaglich. Frische Luft erfüllte den Raum und Franzine beruhigte sich allmählich wieder und schloss das Fenster wieder zu. Am Spülenrand fand sie noch einen alten Seifenrest und wusch sich mit eiskaltem Leitungswasser das Gesicht ab. Der alte Teekessel gab bald seinen Pfeifton von sich, sie kochte noch zwei Eier für Bernadette die sie in einem Teller aufschlug und mit etwas Salz würzte. Eine Scheibe Brot gab es dazu und fertig war das Frühstück für Bernadette. Sie selbst musste wieder mit leerem Bauch über den Vormittag kommen. Bernadette indessen lag noch im Doppelbett und bewegte sich nicht. Sie wartete. Sie war hungrig und hatte Angst. Sie hatte nicht viel geschlafen, aber das sollte ihre Mutter lieber nicht erfahren.

      Der Morgen war trübe, der Nebel stieg höher und die Kälte hielt sich hartnäckig.

      Raureif lag auf den Wiesen, das alte Haus barst vor Kälte.

      ***

      Fröstelnd und zitternd wartete Franzine schon am frühen Morgen am verlassenen Bahnsteig auf den Regionalzug, der laut Fahrplan in ein paar Minuten einlaufen würde. Nun war es soweit, sie hatte ein Vorstellungsgespräch mit dem Verwalter des Krankenhauses im Nachbarort den Ignazia für sie vereinbart hatte. Die Freude auf das Ungewisse, auf eine wirkliche Arbeit, die sogar bezahlt wurde war größer als die innere Unruhe, die sie schon vor geraumer Zeit überfallen hatte. Trotz größter Bemühung konnte sie sich kaum beruhigen, doch die Freude überragte alles. Es war ein großer Tag für Franzine, die Aussicht auf eine gut bezahlte Arbeit ließ sie trotz allem glücklich lächeln. Aufgeregt und voller Hoffnung stieg sie in den Zug und setzte sich an einem Fensterplatz wo sie die vorbei fliegende, zur Winterruhe verabschiedende Landschaft, beobachten konnte. Sie musste an ihre kleine Tochter denken, die sie gleich am ersten Tag alleine zu Hause zurückgelassen hatte und nun für ein paar Stunden auf sich allein gestellt war. Sie war sich ungewiss, wie lange sie wegbleiben würde, wann sie den nächsten Anschluss wieder nach Hause bekäme, ob sie die Zusage für die neue Arbeit erhalten werde und welche beschwerlichen Aufgaben auf sie zukommen könnten. Viele Gedanken schweiften ihr durch den Kopf, vor allem die schwierige Anfangszeit musste mit Zähneknirschen überstanden werden. Dass es kein leichter Einstieg, vor allem für eine ungelernte Kraft nicht arglos zu bewältigen sei, war ihr ohnedies klar. Sie blinzelte heftig mit den Augenlidern als die Sonne endlich erschien, die sie stark durch das Fenster zu blenden begann, während sie gedankenverloren in ihrem Abteil saß und sich im Stillen auf ihren Auftritt bei ihren zukünftigen Chef vorbereitete.

      Im neuen Zuhause lehnte Bernadette unterhalb des Fensters an der Mauer und streckte sich mit angespannten Zehenspitzen empor. Mit aller Anstrengung versuchte sie krampfhaft einen Blick nach draußen zu erhaschen. Sie reichte kaum über das hervorstehende Fensterbrett, nur die Baumspitzen des nahe liegenden Waldes konnte sie kurz erspähen. Der kleine Fußschemel mit der abgesplitterten weißen Lackierung stand genau vor ihren kleinen kalten, bloßen Zehen, den sie in ihrer Neugier zuerst gar nicht bemerkt hatte. Zurechtgerückt und ans Fensterbrett geklammert stieg sie auf das kalte Möbelstück. Erst am späteren Vormittag wurde es heller, der Nebel begann sich langsam aufzulösen. Es versprach ein freundlicherer Tag zu werden. Bernadette starrte durch die Fensterscheibe. Friedliche Natur umhüllte die stille Gegend, kein menschlicher Laut war zu hören. Der nahe liegende Wald, der sich hinter den kleinen Hof emporhob, war noch im Nebel eingehüllt. Nur das Rauschen der Bäume war leise zu hören. Sollte sie es wagen und nach draußen gehen? Hatte ihre Mutter die Tür verschlossen? Sie sprang vom Schemel und rannte zur Außentür, packte die Türklinke und zog sie nach unten. Sie war offen, Franzine hatte die Türe unverschlossen gelassen. Sie zögerte, zitterte vor Kälte besann sich dann aber anders und ging wieder in die Küche zurück.

      Stille umhüllte sie, eine beinahe unheimliche Stille die fast schon zu laut war. Das alte Radio, das auf der Anrichte platziert war, starrte sie schweigend an. Hatte dieser alte Kasten schon ausgedient? Bernadette schaute auf die Knöpfe, die in der Mitte schon ziemlich abgenutzt waren und überlegte, ob sie eine dieser Tasten, oder sogar alle auf einmal einfach drücken sollte. Sie mochte Musik, sie konnte dabei träumen und sich nach den Melodien rhythmisch bewegen. Natürlich nur dann, wenn niemand in der Nähe war und sie niemand beobachten konnte, wenn sie sich allein fühlte oder traurig war. Ihre Mutter würde das nicht verstehen, sie würde wahrscheinlich sogar lachen wenn sie sie tanzen sähe, denn sie mochte Musik nicht besonders gerne. Musik zerre an ihren Nerven, meinte sie oft. Gibt es tatsächlich Menschen die Musik nicht leiden können? Bernadette konnte das nicht verstehen, sie mochte moderne, auch klassische Musik, auch wenn sie nicht wusste, von wem sie stammte oder woher sie kam. So zog sie es vor, auf ihre Mutter zu warten und unterließ es, auf den Knöpfen zu drücken, obwohl es eine zu große Verlockung wäre, aber sie wollte auf keinen Fall etwas kaputt machen.

      Sie fühlte sich einsam. In der neuen Wohnung gleich nach der ersten Nacht alleine gelassen, bereitete ihr Unbehagen. Ein mulmiges Gefühl kroch in ihr hoch, doch sie kämpfte tapfer dagegen an.

      Nein, Angst wollte sie nicht haben…das haben nur Feiglinge. Nur die Einsamkeit spürte sie in diesen Momenten noch heftiger, ein Gefühl, dass sie auch schon sehr früh erfahren musste. War es denn nicht schon immer so gewesen?

      Sie stieg auf dem Schemel und drückte die Nase an die Fensterscheibe. Niemand war zu sehen, es schien fast so, als wäre sie der einzige Mensch auf der Erdoberfläche. Nur die Natur bewegte sich, sie betrachtete die Nebelschwaden die langsam vorbeizogen, die stumpfen Baumzweige und Wipfel die sich bewegten, der unsichtbare Wind und die welken Grashalme die sich träge wippten.

      Die offene Tür fiel ihr wieder ein. Ihre Mutter hatte ihr verboten, dass sie allein nach draußen ginge, sie solle warten bis sie wieder zu Hause sei. Sie hatte einen Hund im Parterre bellen gehört und das klang in ihren Ohren sehr gefährlich. Sie hatte panische Angst vor diesen Tieren, der Bogen um sie herum konnte nicht weit genug sein. Hatte einer von den Nachbarn einen scharfen Hund im Haus? Nur deshalb durfte sie nicht vor die Türe? Sollte sie es doch wagen? Schließlich würde es ihre Mutter ohnehin nicht merken, sie würde nicht so bald nach Hause kommen. Ihre Neugierde wurde stärker, vermutlich hatte sie gar nicht die Wahrheit gesagt. Sie lauschte. Stille. Kein Bellen war zu vernehmen. Vor Hunden empfand Bernadette keine Angst, im Gegenteil, die liebte diese Tiere über alles. Rasch schlüpfte sie in ihre alten Stiefel.

      Vorsichtig öffnete sie die Eingangstüre…. Die Luft war rein, kein Mensch war zu sehen. Sie lief die knarrende Holztreppe hinunter, öffnete die Haustüre, rannte die Steinstufen hinab und stand mitten im Garten. Nur mit einem dünnen Pullover und einer Stoffhose bekleidet sah sie sich um. Am Himmel zeichnete sich die gelbe Scheibe der Sonne durch den Nebel ab, es wird nicht mehr lange dauern und sie wird ihre Strahlen in voller Pracht zur Erde senden. Langsam schritt Bernadette vorwärts, den hellem großem Haus entgegen, dass ihr schon gestern aufgefallen war. Noch immer begegnete ihr keine Menschenseele, in der Ferne erschallte das Tuten der Eisenbahn. Sie fror, aber das drang ihr nicht ins Bewusstsein.

      ***

      Udo Edler kam aus dem Zimmer, setzte sich zum Tisch und schlug mit der flachen Hand auf die Platte.

      „Du bist noch immer nicht angezogen“, schimpfte seine Frau Albine die gerade den Kaffee aufgoss. Mit langärmligem Unterhemd, einer alten grauen Hose mit herunterhängenden Hosenträgern, war er nicht gerade das Abbild eines gepflegten Mannes. Trotzdem ging er einer regelmäßigen Arbeit nach. Schichtarbeiter in einem der führenden Stahlwerke zu sein, war zwar nicht gerade ein erstrebenswerter Beruf, aber das Einkommen langte für die Miete, das Nötigste zu Essen und Alkohol. Vor allem der Alkohol hatte bei den Edlers schon Einzug gehalten, als die beiden Söhne, Roman und Curt, noch zur Schule gingen. Lautstarke Auseinandersetzungen, vor allen an den Wochenenden, ließen sich nicht vermeiden, denn wenn Udo blau war, stritt er sich ständig mit seiner Frau. Albine, die erst viel später zum Alkohol griff, war dies schon längst gewöhnt. Meistens versuchte sie ihren Mann aus dem Weg zu gehen, doch das war schwierig in der kleinen Zwei-Zimmer Wohnung. Stundenlang auf der Toilette zu hocken und warten bis er sich von selbst beruhigte, hatte sie schon längst aufgegeben. Es sei denn, das er es wieder einmal all zu arg trieb, dann zog er mit zornigen