Anita Florian

Die Ungeliebten


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und erspähte eine helle, gewundene Steintreppe, die tief in den Keller hinab führte. Ängstlich tapste sie nach unten, die kalten Finger legte sie an die eisige Mauer und suchte nach Halt. Tapfer arbeitete sie sich Stufe um Stufe immer weiter in die Tiefe. Modergeruch stach ihr in die Nase, als sie in den dunklen Keller anlangte. Vorsichtig blickte sie sich um, Lichtfetzen traten durch die zwei eng gelegenen, gewölbten Fenster, die hoch oben unter der Decke etwas Sonnenlicht durchließen. Ihre Augen gewöhnten sich rasch an die Dunkelheit, die Umrisse wurden bald klarer. Nun konnte sie gut erkennen, wo die Lattentüren zu den einzelnen Abteilen führten und was dahinter gelagert war. Riesige, weiße Bottiche aus Plastik standen herum, die mit einem großen, roten Deckel zugeschraubt waren. Hastig packte sie einen der Deckel und drehte ihn rasch auf, was ihr auf Anhieb mühelos gelang. Voller Neugierde stellte sie sich auf die Zehenspitzen und guckte aufgeregt in das weiße Fass. Übler, saurer Geruch erfasste sie auf einmal so heftig, dass ihr für ein paar Sekunden die Luft wegblieb. Schnell warf sie den Deckel wieder auf den Bottich, der Hustenanfall der danach folge, ließ ihr die Tränen in die Augen steigen, ihre Luftröhre zog sich zusammen, einen Augenblick lang glaubte sie zu ersticken. Irgendjemand hatte Essig angesetzt, die braune Flüssigkeit war scharf wie Salzsäure. Langsam atmete sie wieder ein.

      Ein klirrendes Geräusch ließ sie herumfahren. Erschrocken legte Bernadette die Hand vor dem Mund. Zum Weglaufen war sie zu neugierig geworden, die aufkeimende Furcht versuchte sie zu verdrängen. Tapfer lenkte sie ihre Schritte an das andere Ende des Kellers. Bernadette lauschte. Und wirklich, nun konnte sie es deutlich hören: Am Ende des Ganges, im letzten Kellerabteil, war ein Mensch, der mit Glas oder Flaschen hantierte. Durch die Latten beobachtete sie eine Gestalt, die mit ruckartigen Bewegungen braune und grüne Glasflaschen zu einem Stapel aufschichtete. Schnell merkte Bernadette, dass die Flaschen leer waren. Anscheinend hielt die Person nach einer gefüllten Flasche Ausschau und suchte fieberhaft danach. Ein mürrisches Raunen war die Folge, der Lärm wurde immer lauter, dann wurde eine Flasche wutentbrannt an die Wand geworfen. Ein Aufschrei folgte sogleich und Bernadette erkannte, dass es eine Frau war, die hier alleine und aufgewühlt nach Etwas suchte. Sie wurde immer unruhiger und grub in den am Boden liegenden Flaschen herum, rutschte auf einmal aus und fiel nach hinten auf den Rücken. Bernadette blieb in ihrem Versteck und überlegte: Muss ich jetzt um Hilfe rufen, hat sie sich was getan? Sie getraute sich nicht zu bewegen, keiner konnte wissen, was dieser Frau vielleicht einfallen könnte, womöglich würde sie ihr in ihrem brennenden Zorn eine Flasche nach ihr werfen. So beobachtete sie die Frau aus ihrem Versteck und fühlte sich in der dunklen Ecke ziemlich sicher. Langsam raffte sich die Gestalt wieder auf, fluchte noch ein paar unflätige Worte vor sich hin und setzte ihre Arbeit fort. Zum Glück war ihr nichts geschehen, wischte sich die Hände an ihrem schmutzigen Kittel ab und hustete stark. Dann packte sie einen Zipfel ihres Kittels, riss ihn an ihr Gesicht und schneutzte sich laut in den Stoff. Bernadette wagte sich nicht zu bewegen, ihr Atem ging leise, ihre Hände hatte sie in die Hosentaschen gesteckt. Die Kälte drang ihr bis in die Knochen, das Zähneklappern konnte sie nur schwach im Zaum halten. Fest hielt sie sich den Mund zu, um das Geräusch abzuschwächen, sie hatte Angst, dass es die Frau wahrnehmen könnte.

      „Komm nur raus, du da, ich hab dich schon längst gesehen“, ertönte eine forsche Stimme auf einmal und Bernadette erschrak heftig. Sie überlegte kurz, wagte sich dann langsam aus ihrem Versteck und ging auf das Kellerabteil zu. Es war die schielende Frau von gestern, die ihr höhnisch lächelnd entgegen blickte.

      „ Was treibst du hier unten?“ wollte sie wissen und hustete. Stumm blickte sie der offensichtlich berauschten Frau ins Gesicht. „Nichts, ich wollte nur mal schauen…“ brachte Bernadette leise hervor und zitterte vor Angst. „Aha, hast wohl nichts anderes zu tun als hier herumschnüffeln, komm nur näher, ich tu dir nichts. Ich räume hier auf, wie du siehst.“ Bernadette nickte und trat ein paar Schritte näher. Albine Edler lachte laut auf, „na du bist mir eine, sieh mal, die leeren Flaschen hier haben alle ich und mein Mann leergemacht, tolle Leistung, nicht wahr? Aber glaub ja nicht, dass das so schnell gegangen ist, hat Jahre gebraucht.“ Sie bückte sich und hob eine leere Flasche auf um sie am Stapel an der Wand aufzuschlichten.

      „Irgendwann müssen wir sie wegbringen, aber dann reden die Leute wieder über uns, die haben ja nichts anderes zu tun als am Fenster zu hängen und alles zu beobachten, die sehen alles. Werden wir wohl in der Nacht tun müssen, wir brauchen auch einen großen Anhänger, der Leiterwagen kommt nicht in Frage, ist außerdem zu klein. Aber was soll’s, ist noch genug Platz hier, “sie wischte sich die Nase am Handrücken ab und schlichtete weiter.

      „Ich werde niemanden etwas sagen“, meinte Bernadette und sah ihr bei der Tätigkeit zu.

      „Nicht so schlimm, Kleine, mir ist diese selbsternannte „Caritas – Polizei“ schon so egal, so nenne ich diese neugierigen Stümper die nur schlecht über einem reden. Weißt du überhaupt was das ist?“

      „Nein“

      „Na, das sind so gewisse Leute, die hier in der Gegend wohnen, die alles über jeden wissen, die auf der Lauer liegen, die am Fensterbrett ihre zweite Liegestätte haben, die beobachten jeden Schritt den man macht und dann legen sie los. Wenn man mal was falsch gemacht hat, oder was man so geredet hat, das schnappen die auf und dann wird losgewettert. Die machen das ganz umsonst, weißt du, die kriegen nichts dafür, fühlen sich berechtigt Moralpredigten zu halten, auch wenn es ihnen nicht zusteht. Rein privat machen die das, so als Zeitvertreib, diese Nichtstuer. Nichts als wehren kann man sich immer, diese Brut soll mal den eigenen Dreck vor ihrer Türe wegkehren. Die Caritas ist ja normalerweise eine katholische Institution, die bedürftigen Leuten hilft, aber die suchen sich ihre Mitarbeiter schon selber aus, obwohl sie dort nichts verdienen. “ Albine war ziemlich aufgebracht, anscheinend hatte sie kein gutes Verhältnis zu den Nachbarn. Zumindest bei einigen schien sie richtig im Clinch zu liegen. Der Flaschenberg wurde immer höher, Albine Edler holte sich einen alten Hocker aus der Ecke, um auf dem mittlerweile zu hoch angewachsenen Stapel zu gelangen.

      „Soll ich Ihnen helfen?“ fragte Bernadette zögernd, doch Albine winkte ab:

      „Nein Kleine, das schaff ich schon alleine, ist aber wirklich lieb von dir, sag mal, ist deine Mutter nicht daheim?“ Bernadette schüttelte den Kopf, sie hatte ganz vergessen, dass ihre Mutter bald nach Hause kommen würde.

      „ Du frierst ja“, bemerkte sie auf einmal, „geh lieber nach oben, ist dann nicht meine Schuld, wenn du dir eine saftige Erkältung einfängst. Ich will nicht mit deiner Mutter auch noch anecken. Oh, sieh mal, hab noch eine volle Flasche gefunden, “ sie hielt ihr wachelnd eine Bierflasche entgegen, „die werd ich gleich vernichten, mein Alter braucht das nicht zu wissen.“ Freudig schnappe sie sich einen Flaschenöffner, der auf dem schmutzigen Regal lag, köpfte die Kapsel ab, setzte sie sofort an den Mund und trank mit lautem Schlucken in einem Satz die halbe Flasche leer. Sie stieß ein lautes ‚Ahhh’ aus, als sie die Flasche absetzte.

      „Ein wirklich gutes Mittel, um so halbwegs gut über den Tag zu kommen“, meinte sie grinsend und setzte sich auf den alten Holzhocker.

      „Willst du mal kosten? Einen kleinen Schluck genehmige ich dir, aber nur zum aufwärmen“, zitternd reichte sie ihr die Flasche hin. Bernadette überlegte nicht lange, nahm die Flasche und trank einen großen Schluck von dem kalten Bier. Albine lachte laut und nickte ihr entgegen.

      „Das hat mir gut geschmeckt, hab ich noch nie getrunken“, meinte Bernadette und wischte sich den Mund ab.

      „Lass die Finger davon, hast du verstanden? Das ist nichts für dich, wie alt bist du denn überhaupt? In die Schule gehst du bestimmt noch nicht.“

      „Nächstes Jahr im Herbst komme ich in die Schule, ich freue mich aber gar nicht, eine Schultasche habe ich auch noch nicht. Vielleicht kriege ich gar keine, die brauche ich aber dann, alle Kinder haben eine Schultasche, nur ich nicht“, vertraute sie Albine traurig an.

      „Na, na, na, du hast ja noch viel Zeit bis dahin, zuerst kommt mal das Christkind, vielleicht ist da eine unter deinen Geschenken dabei, und dann hast du noch immer viel Zeit, schließlich drängt sich der Sommer nach dem Frühling noch vor dem Herbst rein, der dauert auch ein paar Monate, glaub mir, du hast noch genug Zeit zum Spielen und Toben bevor es ernst wird. Ohne Schultasche gehst du nicht hin, kannst mir ruhig