Anita Florian

Die Ungeliebten


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Bier.

      „Wo ist dein Vater?“ fragte sie plötzlich. Bernadette zuckte mit den Schultern und gab keine Antwort. „Aha“, meinte Albine und schien zu verstehen. „Aber nun lauf los, ich muß hier weitermachen, du erstarrst noch zu einem Eiszapfen, bist ein nettes Mädel, aber jetzt geh schnell hinauf“, sie zwinkerte ihr mit dem schielenden Auge zu. Bernadette machte kehrt und lief wieder in die Wohnung zurück.

      Wenig später kam ihre Mutter zurück. Sie hatte eingekauft, der Inhalt ihres Einkaufsnetzes quoll aus allen Ecken. Lauter Lebensmittel, viele gute Sachen, einmal so richtig den Bauch voll schlagen mit köstlichem Essen, das wollte sie sich und ihrer Tochter gleich am ersten Tag nach der Ankunft, gönnen. Sie verspürte richtigen Hunger, ihre Freude konnte sie kaum verbergen und fröhlich lächelnd schlenderte sie, das volle Netz schwenkend, die Treppe nach oben.

      Nach dem üblichen Feuermachen begann sie mit dem Kochen. Sie bemerkte, dass ihre kleine Tochter fror und befahl ihr, sich inzwischen den Mantel anzuziehen, es würde schon eine Weile dauern, bis sich die Küche temperierte, es brauchte eben seine Zeit. Bernadette gehorchte.

      In die Suppe, die sie aus den Würfeln kochte, kam als Einlage dünne Nudeln, eine Lieblingsspeise Bernadettes. Einen Teller Suppe würde sie jetzt gut vertragen, ihr Magen verlangte nach Nahrung. Als Einstand und zum Aufwärmen, gerade richtig, meinte Franzine und Bernadette freute sich riesig auf das Essen. Ein paar Kartoffeln wurden aufgestellt, die dann zu einem köstlichen Salat zubereitet wurden. Als Hauptgericht, und das machte Bernadette noch fröhlicher, gab es Fischstäbchen. Fischstäbchen! Sie hüpfte vor Freude, als Franzine das Paket hervorholte, richtig geträumt hatte sie schon von dieser knusprigen, toll schmeckenden Köstlichkeit. Bei Tante Annelie gab es einmal Fischstäbchen, damals, als sie zu Besuch bei ihr war und verwundert staunte, als ihr Cousin Torsten mindestes zwölf Stück auf einmal, wie nichts verputzte. Und heute war es wieder soweit, ein wahrer Festtagsschmaus. Als Überraschung hatte Franzine noch eine Tafel Schokolade gekauft, die sie unter den Lebensmitteln versteckt hielt. Die wird Bernadette nach dem Essen bekommen, endlich kann ich ihr eine Freude machen, dachte sie glücklich.

      Zum ersten Mal versuchte sich Bernadette im Kartoffelschälen. Es ging zwar sehr langsam von statten, aber Franzine war der Meinung, das es schon Zeit wäre, ihre Tochter mit leichteren Hausarbeiten einzuteilen. Bernadette, die nicht gerade begeistert von dieser Arbeit war, machte die Sache aber recht gut. Aus dem alten Knopfradio ertönte erfrischende Musik, in der Küche bereitete sich Fischgeruch aus, die kleinen vorpanierten Stäbchen, die langsam vor sich, in Öl frittierten, entwickelten sich zur knuspriger Delikatesse. Franzine hackte Zwiebeln für den Kartoffelsalat und beide vergossen Tränen, aber sie lachten sich dabei an. Ein Tischtuch war nicht vorhanden, aber das störte sie nicht, ein nett gedeckter Tisch reichte für den Anfang vollends aus. Liebevoll wurden die Teller platziert und das Besteck in richtiger Reihenfolge daneben gelegt. Bernadette merkte es sich genau, denn das Tischdecken sollte zu ihrer Lieblingsaufgabe werden. Sie erinnerte sich noch an ein paar Glasmurmeln, die sie noch in der Manteltasche versteckt hatte. Spontan holte sie die farbigen Kugeln hervor und legte sie wellenartig oberhalb der Teller dekorativ hin. Franzine war voll des Lobes und danach begannen sie hungrig, aber glücklich zu essen. Danach überreichte sie ihrer strahlenden Tochter die Tafel Schokolade die sie freudig entgegennahm.

      Im Schlafzimmer stand Franzine vor der wunderschönen, altmodischen Psyche auf den Zehenspitzen. Im Spiegel bewundernd, der riesig, weit über ihre Körpergröße hinaus empor ragte und ihre ganze Gestalt voll zur Geltung brachte, stützte sie ihre Hände in die schmalen Hüften, zog den ohnehin schon flachen Bauch ein und begutachtete ihre regelmäßig gewachsenen Zähne auf die sie besonders stolz war. Noch nie hatte sie so einen großen Spiegel jemals zu Gesicht bekommen, sie drehte sich im Halbkreis davor, musterte sich und war zufrieden mit dem, was ihr entgegen blickte. Die beiden kleineren Spiegel, die links und rechts angebracht waren, hatte sie zuvor zögernd aufgeklappt. Nun sah sie sich dreimal, von vorne und von jeder Seite, links und rechts. Sie war begeistert, niemals zuvor hatte sie sich so gesehen, das Profil von allen Seiten! Sie fand, dass sie ein bisschen zu dünn, aber ganz gut aussah. Irgendwo in einer Lade fand sie noch eine alte Schere, nahm sie in die Hand und begann langsam ihre Stirnfransen, die ihr lästig in die Augen hingen, zu kürzen.

      Sorgfältig schnitt sie über ihren Augenbrauen entlang. Ein perfekter runder Bogen entstand über den braunen Augen, an der Schläfe ließ sie die Haare etwas länger, befeuchtete die Spitzen mit Speichel, bog die Haarsträhne wie einen eisernen Piratenhacken zu einer fast gefährlich aussehenden, dünnen Sichel und formte sie in ihre Wangen. Ihr langes Haar hatte sie zu einer „Bienenkorb“ Frisur hochgesteckt, ein schwarzes Samtband umgab den straff sitzenden Haarknoten und verlieh ihr eine geheimnisvolle Eleganz. Ihre Weiblichkeit trat nun mehr in den Vordergrund, ihre Proportionen waren nicht zu übersehen. In diesem Augenblick wurde sie neu geschaffen, ein neuer Mensch war gerade im Entstehen. Sie näherte sich ihrem Spiegelbild, zog die Unterlippe nach vorne, holte tief Atem und blies nach oben, so dass der neue Pony flatternd in die Luft wehte. Sie war mehr als zufrieden mit ihrem Ergebnis, nahm den Kamm und kämmte voller Stolz den Pony wieder glatt.

      Sie musste wieder an Ignazia denken. Sie war nun fort, und niemand wusste, ob sie je wieder zurückkommen würde. Ihre erste, aufrichtige Freundin ging mit ihren Freund ins Ausland, ein Mann, der mit einer anderen Frau verheiratet war, ein Kind mit ihr zeugte, diese Frau aber nie geliebt hatte. Einzig das Kind war der Grund für diese Ehe, die aber nur schlecht funktionierte. Er war sehr gutaussehend, und das wurde ihm oft zum Verhängnis. Obwohl er Ignazia schon lange kannte, konnte er so mancher Frau nicht widerstehen, sie liefen ihm in Scharen nach, ein Kostverächter war er nie gewesen, er genoss die Gesellschaft von jungen Frauen in vollen Zügen die ihn anschmachteten und anhimmelten. Ignazia, die eine Seele aus Gold besitzen musste, liebte ihn aufrichtig, doch sein Verantwortungsgefühl seinem Kind gegenüber war stärker.

      Noch längst ist nicht alles ausgeräumt zwischen Vergangenheit und Gegenwart, seine Entscheidung mit Ignazia nach Kanada zu gehen, sah er als einzig vernünftige Lösung an. Die lästerlichen Stimmen werden mit der Zeit verstummen, seine Frau Stephanie wird jeden Monat einen Scheck erhalten, er würde für beide sorgen, so gut es ihm nur möglich war. Doch die Sehnsucht nach seiner Tochter Marlena plagte ihn, die große Entfernung verstärkte nur seine Qual. Also ließ er sich so oft als möglich Fotos von ihr schicken, er wollte ihre Entwicklung Schritt für Schritt mitverfolgen. Seine Frau war damit sogar einverstanden, obwohl sie vor seiner Abreise schwor, dass er sein Kind nie wieder sehen würde. Ignazias Freund war Roman Edler, der Sohn der neuen Nachbarin.

      Ignazia. Sie, der gute Geist, half wo es nur ging. Die einzige Freundin wo sich Franzine aussprechen konnte, die sie auffing, die für sie und ihr Kind immer da war. Sie war es, die Bernadette rettete, niemals aufgab, auch wenn alle anfingen über sie zu lachen. Die Mutige, die vor nichts zurückschreckte, die kämpfte und schließlich auch gewann.

      In der Schublade fand Franzine einen nagelneuen Augenbrauenstift und die dazupassende Wimperntusche. Ignazia sorgte für Überraschungen. Freudig nahm Franzine den Stift und strichelte ihre Brauen nach. Fast überall in der Wohnung hinterließ Ignazia Dinge, die sie gut gebrauchen konnten. Im Schrank fand sie zusammengefaltete Wollpullover, Handtücher, Unterwäsche, eine Steghose für Franzine die ihr etwas zu weit war, was aber die Freude nicht trübte, die Zeiten konnten sich schließlich ändern. Herrliche Kleider hingen auf den Bügeln und gut duftende Seifenwürfel lagen überall im Schrank zwischen manch Kleidungsstücken die den Duft aufnahmen. Auch für Bernadette lagen wunderschöne Sachen dabei, für jedes Alter die richtige Größe, Selbstangefertigte Pullis mit komplizierten Mustern, Kleidchen in allen möglichen Farben, für Sommer und Winter, die Ignazia selbst in ihrer Kindheit getragen hatte. Dass sie aus der Mode waren, störte niemanden. Einen alten Bajazzo versteckte Ignazia unter Bernadettes Sachen mit dem sie gerne und oft spielte und ihn zu sich ins Bett nahm. Oft versuchte sie die schwarze Träne abzukratzen, die der traurige Clown an seiner Wange kleben hatte. Unter den Handtüchern waren eine ganze Tüte Bonbons versteckt, die Franzine erst nach ein paar Tagen entdeckte.

      Sie hatte ein geschicktes Händchen, was Änderungen an den Kleidungsstücken betraf. Dabei entwickelte sie enorme Kreativität die sie gut anwenden konnte. Kein Mensch käme dann auf die Idee, das dies gebrauchte Textilien waren die sie stolz zur Schau stellten. Gestickte