Anita Florian

Die Ungeliebten


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führte er die Mädchen noch in ein Cafe und spendierte großzügig ein Glas Wein, oder auch mehrere um sie danach zu seinem Lieblingsplatz zu führen. Der Ort lag etwas außerhalb der kleinen Gemeinde, ein idyllisches Wäldchen mit obligatorischem Bach, das am Waldrand ruhig dahin plätscherte. Am Rain befand sich eine rot gestrichene Parkbank, geradezu geschaffen für zärtliche Annäherungsversuche und ungestörte Zweisamkeit unter dem hell scheinenden Mond, in einer sternenklaren lauen Sommernacht. An diesem Platz wurden schon manche Mädchen in Frauen umgewandelt. Wer sich zu Anfangs zierte, so verstand es Manuel sie gefügig zu machen, sein unwiderstehlicher Charme und die anscheinende nie zu Ende gehende Geduld, waren ihm eine große Hilfe. Es gelang ihm das zu bekommen was er begehrte. Immer!

      Nie kam es ihm in den Sinn, dass ihm jemand auf die Schliche kommen könnte, er verschwendete keine Zeit. Seine Verführungskünste waren in der weiblichen Welt berühmt geworden. Und keine von den Damen wollte von Manuel unangetastet in die Geschichte eingehen. Der Stolz, mit ihm einmal zusammen gewesen zu sein, brachte ihnen ein gewisses Ansehen ein. Dorothea ließ sich dann zu einem kleinen Spaziergang überreden, eine Gelegenheit, die sie nicht bereute. Sie erhoffte sich dann doch mehr von ihm. Nicht nur seine unwiderstehlichen Verführungskünste, die gewöhnlich nach kurzer Zeit seinen Reiz verloren, sondern sie wünschte sich eine lang andauernde Beziehung mit Manuel, ihn zu halten, was vorher noch keiner gelungen war. Was er dachte, das konnte sie nicht ahnen, was er vorhatte, war ihr bewusst. Sie verschwendete keinen Gedanken an ihre Schwester, jetzt war sie selbst am Zug und so sollte es bleiben. Was wusste eine Fünfzehnjährige schon?

      Die purpurne Parkbank barg viele Geheimnisse, die eingetrockneten Blutflecke der vergangenen Mädchen, die jetzt als Frauen galten, verschwanden in der Farbe des Holzes, oder der Regen wusch sie ab, es gab keine Spuren zu verwischen. Der Wettergott meinte es gut mit den beiden, es war angenehm warm, der Mond schimmerte durch die hohen Baumwipfel, die Sterne strahlten klar am dunklem Himmel auf sie herab. Die Parkbank stand einladend am Waldesrand als warte sie nur auf die zwei Liebenden, die sogleich verschmelzend ihren Gefühlen freien Lauf ließen.

      Dorothea, mit weichen Knien und mit einem Lächeln auf den Mund, ahnte, was gleich geschehen würde. Manuel legte seinen Arm um ihre Schulter und sah gen Himmel. Er deutete nach oben und versuchte ihr den „Großen Wagen“ zu zeigen, obwohl er von Astronomie möglicherweise keine Ahnung hatte. Und Dorothea folgte seiner Fingerspitze, zeigte sich beeindruckt und ließ ihn erzählen und erklären Nach der Sterndeutung schilderte er ausführlich seine Zukunftspläne. Die halbe Nacht verstrich ohne zärtliche Zudringlichkeiten. Und Dorothea hörte ihm aufmerksam zu.

      Er rührte sie nicht an. Es kam nicht zu den erhofften Zärtlichkeiten. Er brachte sie bald darauf nach Hause und versprach, sich baldmöglichst bei ihr zu melden. Dorothea hoffte, dass er die Wahrheit sprach. Tags darauf, nachdem Dorothea stolz und freudig ihre Erlebnisse erzählte bemerkte sie nicht, dass Franzine einen bösen Plan ausheckte. Sie bemerkte auch nicht, als die beiden zusammen in ihrem Zimmer ihre Sachen ordneten, wie es um ihre Schwester stand.

      Während Dorothea berichtete, verfinsterte sich Franzines Gesicht immer mehr, ihre Augen hatte sie zu engen Schlitzen zusammengekniffen und ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Nackte Wut staute sich in ihr auf. Ihr Gesicht überzog eine Zornesröte so dass Dorothea heftig erschrak als sie sie anblickte. Mit tödlichem Schmerz in ihrem Herzen holte Franzine aus und schlug Dorothea so fest ins Gesicht das diese nach hinten stolperte und zu Boden fiel. Völlig überrumpelt fuhr sie mit ihrer Handfläche über die schmerzende Wange und starrte ihre Schwester mit angsterfüllten Augen an. Was war nur in sie gefahren? Franzines Augen blitzten teuflisch und plötzlich nahm sie einen Anlauf und trat auf ihrer am Boden liegenden Schwester in den Bauch. Dorothea schrie auf. Franzine trat wie von Sinnen auf sie ein, Dorothea krümmte sich wie ein hilfloser Wurm, die Tritte wurden so heftig, dass sie nicht einmal mehr schreien konnte. Im blinden Hass verlor Franzine rundweg die Kontrolle über sich.

      „Was ist hier los, um Himmels Willen“, Freya kam ins Zimmer gestürzt und fand ihre beiden Töchter heftig kämpfend am Boden liegend vor.

      „ Sofort aufhören, alle beide, Schluss jetzt, was ist nur in euch gefahren, los, aufhören“, schrie ihre Mutter erbost. Noch nie hatte sie ihre zwei Kinder aufeinander losschlagen sehen, überrascht und entzürnt versuchte sie die beiden Mädchen auseinander zu bringen, die ansonsten friedlichen Geschwister waren außer Rand und Band. Vor allem Franzine war völlig außer sich, wild um sich schlagend und beißend ging sie auf ihre Schwester los. Mit heftigen Fußtritten attackierte sie Dorothea, warf mit unflätigen Schimpfworten um sich die Freya von ihrer jüngsten Tochter noch nie gehört hatte. Die beiden Mädchen bemerkten ihre Mutter zuerst nicht, die ratlos und mit offenem Mund einzuschreiten versuchte. Dann Dorotheas Aufschrei als Franzine ihr mit großer Wucht in die Vorderseite trat. Endlich erwischte Freya Franzines Arm und riss sie von ihrer verletzten Schwester los. Dorothea krümmte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht am Fußboden, leise stöhnte sie auf und blieb dann wie leblos liegen. Freya, die fassungslos nach Worten suchte hob die Hand und gab Franzine eine schallende Ohrfeige. Wutentbrannt und hysterisch laut, begann Franzine zu kreischen. Die zweite Ohrfeige Freyas bewirkte nun das Gegenteil, Franzine verstummte abrupt und lief weinend aus dem Zimmer. Dorothea blieb am Boden liegen. Fest hielt sie ihre Hände an den Bauch gepresst und atmete schwer. Besorgt beugte sich Freya über ihre Tochter und versuchte sie aufzurichten. Langsam erhob sich Dorothea und versuchte aufrecht stehen zu bleiben. Stützend brachte Freya sie in ihr Zimmer. Dorothea allerdings weinte unaufhörlich und Freya schickte sie mit einer Beruhigungstablette ins Bett. Franzine schien es kaum zu rühren dass auch am darauf folgenden Tag ihre Schwester im Bett liegen blieb und sich so gut wie nicht bewegen konnte. Sie schmiedete ihren grausamen Plan zu Ende, den sie mit aller Hartnäckigkeit festigte und sie stark und überragend erscheinen ließ.

      Kein einziges Wort, keine noch so leise Silbe wollte sie je wieder mit ihrer Schwester wechseln, so lange sie auf Erden weilte, nie mehr wird sie ihre Stimme an sie richten. Für alle Zeiten wird sie stumm bleiben, stumm für Dorothea. Ihre Lippen werden verschlossen bleiben, nie wieder sollte Dorothea auch nur einen Ton von ihr zu hören bekommen.

      Nach drei Tagen war Dorothea wieder gesund, doch der bohrende Seelenschmerz, als sie erkannte dass Franzine sie wie Luft behandelte, nagte unaufhaltsam in ihr. Franzine, in ihrer tief gekränkten heranreifenden, weiblichen Eitelkeit konnte nicht überwinden dass ihre eigene Schwester sie hintergangen hat, ihren angehimmelten Traummann ihr einfach vor der Nase wegschnappte. Wie hatte sie doch all die Mädchen gehasst die mit Manuel ausgingen, als er sie eine nach der anderen einlud, die sich von ihm geliebt fühlten und doch nur auf ihn hereingefallen sind. Wie lachte ihr das Herz als wieder ein abserviertes Mädchen vor Kummer sich fast das Leben nahm. Welche Freude empfand sie als er ihr kurz in die Augen sah und sein freches Zwinkern nur ihr allein galt. Die aufkeimende Hoffnung, sie könnte eines Tages mit ihm gehen, mit ihm eine enge Liebesbeziehung aufbauen die sie sich um alles in der Welt wünschte, schwoll in immer größer werdenden Ausmaß an. Dorothea kam ihr dazwischen, niemals würde sie ihr das verzeihen. Vielleicht war sie es, die es fertig brachte ihn zu einen seriösen Mann und später sogar zu einem liebevollen Ehemann umzustimmen, ihn zu zähmen und zu überzeugen dass er das Leben eines Playboys ablegen und nur mit einer einzigen Frau ein wirklich glückliches Leben beginnen könnte.

      Als Strafe legte Freya fest, das Franzine für zwei Monate keine Süßigkeiten essen durfte, sogar die Zuckerdose und die Packung Würfelzucker sperrte sie weg. Die Haare musste sie lang und geflochten halten.

      Dorothea verließ bald darauf das Elternhaus.

      Ein halbes Jahr später ging Manuel mit einem Freund ins Ausland.

      Der leere weiße Briefbogen lag vor ihr auf den Tisch, suchte fieberhaft nach passenden Worten, die sie an ihre Schwester richten konnte. Nur Dorothea kam in Frage, nur ihr würde sie ihre Tochter bedenkenlos anvertrauen. Ob sie je erfahren hat, dass sie vor fünf Jahren Mutter geworden war? Hatte ihr Freya das in einem der Briefen mitgeteilt? Ihre Mutter hatte dies nie erwähnt als sie mit Bernadette auf Besuch war, auch dann nicht, als sie kurz erwähnte dass es Dorothea gut ginge und sehr glücklich in Italien lebte. Es wäre ihr begreiflicherweise wohler zumute, wenn sie Bernadette bei einer nahen Verwandten gut untergebracht wüsste, denn schließlich ist Dorothea die einzige Verwandtschaft, die sie noch hatte.

      Franzine