Anita Florian

Die Ungeliebten


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ihre Mutter überzeugen, dass sie sehr wohl imstande wäre, das Kochen, Nähen und alles was sie später für einen guten Haushalt gebrauchen könnte, mit der Zeit sich selbst aneignen und die, vom negativem Ruf behaftete Schule, dort abgehaltene Unterricht gewiss nicht von Nöten sei. Mit der Zeit würde sie schon das Wichtigste erlernen, wozu die kostbare Zeit in einer Schule vergeuden die sie ohnehin nicht interessierte. Freya willigte ein, die Handelsschule war in Ordnung, dort lernte sie wenigstens das Nötigste um eventuell eine gute Geschäftsfrau zu werden. Endlich ein Lichtblick in der Finsternis und eine veraltete Ansicht weniger in Franzines Umfeld, diesmal konnte sie ihren Willen eisern durchsetzen. Sie hasste dieses Kleinbürgertum, sie empfand wieder so etwas wie ein Glücksgefühl in ihrer trüben Seele, die Zeiten konnten nur noch besser werden. Die Schule befand sich fünfzehn Kilometer entfernt von ihrem Dorf und so stand sie täglich jeden Morgen mit einigen Mädchen die ebenfalls zur Schule fuhren, am Bahnhof, warteten auf den Zug der sie sicher und bequem an ihr Ziel brachte.

      Und da sah sie ihn zum ersten Mal. Eines morgens, sie redete gerade aufgeregt mit ihrer Freundin Sabrina über ihre Zöpfe, bemerkte sie einen dunkelhaarigen jungen Mann am Straßenrand stehen. Unter einer blühenden Kastanie stand er mit ein paar Freunden im Schatten und hielt seinen Kopf etwas gesenkt. Wie alle anderen Menschen, wartete auch er auf den bald ankommenden Zug. Franzine blickte verstohlen zu ihm hinüber, doch der junge Mann schien sie nicht zu bemerken. Sabrina folgte ihren Blick nach, doch sie ging mit keinem Wort darauf ein. Franzines Blick blieb sekundenlang auf ihm haften, drehte sich dann wieder Sabrina zu und setzte ihre Unterhaltung fort. Unwillkürlich drehte sie mehrmals den Kopf in seine Richtung nur um einen einzigen Blick von ihm zu erhaschen, doch er blickte unentwegt zu Boden. Der Zug rollte ein, Menschen stiegen aus und die Wartenden hatten es eilig in die Waggons zu kommen. Franzine verlor ihn aus den Augen, sie konnte sich mit einem mal nicht erklären, dass sich ihr die Frage aufdrängte, ob sie ihn morgen denn wieder dort stehen sehe, ob er wieder komme und vielleicht mal einen Blick auf sie werfen möge. Sie fühlte, dass ihr Herz viel schneller schlug als sonst und dass sich ein sanftes Lächeln um ihren Mund spiegelte.

      Woche um Woche verging, und jedes Mal kam dieser junge Mann zum kleinen Bahnhof, stand mit ein paar Kumpels unter der Kastanie, redete nur selten und blickte an den von Kastanienblüten überstreuten Asphalt hinunter. Kein einziger Blick würdigte er Franzine die ihn unentwegt anstarrte und hoffte, dass er nur einmal in ihre Richtung sehen möge. Doch nicht einmal sah er auf, nie konnte sie in sein Gesicht blicken, einzig die männlich groß gewachsene, schlanke Gestalt die sich lässig bewegte, rührte in Franzines tiefen Inneren. Dieser meist dunkel gekleidete Mann, der das Aussehen eines Filmstars präsentierte, schien sich keinen Deut für sie zu interessieren.

      Eines Sonntags wachte sie morgens früher als gewöhnlich auf. Das Gefühl in der Magengegend war angenehm, doch sie verspürte nicht den geringsten Appetit auf Freyas bereitgestelltes Frühstück. Schlaftrunken setzte sie sich an den Tisch, ihr verträumtes schmales Gesicht wies eine leichte Rötung auf. Sie nippte kurz an ihrer Kaffeetasse, die knusprige aufgebähte Semmel ließ sie diesmal unangetastet im Korb liegen. Verträumt blickte sie vor sich hin während Freya die Bürste und den Kamm holte um ihr die Haare wie gewohnt zu bürsten und ihr die beiden Zöpfe zu verpassen. Widerstandslos ließ sie es geschehen, ihre Gedanken schweiften zu dem jungen Mann der schon seit Wochen am Bahnsteig wartete und sie noch niemals wahrgenommen hatte.

      „Warum isst du nichts?“ fragte Freya und flocht die Zöpfe fester als sonst, arbeitete die roten Bänder in das Haar und wunderte sich, dass Franzine den Kopf still hielt, fast teilnahmslos die Prozedur übers ich ergehen ließ.

      „Ich hab keinen Hunger, Mama, es ist noch zu früh, ich krieg um diese Zeit nichts runter, darf ich heute ins Kino gehen? Ich will mir gerne „Hoch klingt der Radetzky Marsch“ ansehen, ein alter Film der jugendfrei ist, o bitte darf ich……au, nicht so fest, das tut mir doch weh.“ Franzine hoffte, das Freya einwilligen und ihr das Geld für die Eintrittskarte geben würde.

      „ Gut, aber später isst du deine Semmel, du musst endlich was essen Kind, du bist zu dünn und ich frage mich nur, wie du das überhaupt aushältst, du brichst eines Tages zusammen wenn das so weitergeht mit dir. Zuerst wird gegessen, dann sehen wir weiter.“ Freyas Sorge um Franzine war berechtigt, ihre Tochter wies bereits eine sichtbare Unterernährung auf. Doch Franzine verweigerte das Frühstück, ein Ekelgefühl kroch in ihr hoch, stärker noch als sie es früher empfand. Um die Erlaubnis fürs Kino zu bekommen, aß sie mittags ein paar Löffel Gemüsesuppe, es gelang ihr auch, ein halbes Wiener Schnitzel in ihren Magen zu befördern. Der Kinobesuch war gerettet, Freya gab ihr das Eintrittsgeld und noch etwas mehr dazu, damit sie sich auch ein paar Naschereien kaufen konnte. Zucker würde dem Kind nicht schaden, meinte sie, vielleicht entwickelt sie eines Tages noch einen gesunden Appetit.

      Franzine warf ihre Zöpfe auf den Rücken und betrachtete sich im Spiegel. Mit heller Sommerhose, rosa ärmelloser Spitzenbluse und den dazupassenden Halbschuhen sah sie ganz manierlich aus. Bis auf die Zöpfe, die sie sich am liebsten vom Kopf reißen würde, gefiel sie sich recht gut in dieser Aufmachung. Schon am frühen Nachmittag schlenderte sie durch die Strassen, betrachtete die Auslagen der insgesamt zwei Modegeschäften des Ortes, kaufte sich eine Tüte Eiscreme und genoss die kühle Köstlichkeit die ihr sogar schmeckte. Spaziergänger grüßten sie, freundlich erwiderte sie den Gruß und schritt langsam auf die Hauptstraße zu, die sie zu dem etwas außerhalb gelegenen Kino führte. Langsam ging sie die Strasse entlang und betrachtete die bereits in voller Blüte stehenden Pflanzen, die in den Gärten der ringsumliegenden Häuser in voller Pracht und farbenfroh paradiesische Stimmung vermittelten. Das kleine Kino trat in ihr Blickfeld, als sie plötzlich eine Fahrradklingel hinter sich klingeln hörte. In Gedanken versunken erschrak sie, drehte sich neugierig um und blickte in ein Paar leuchtende blaue Augen die sie noch niemals zuvor gesehen hatte.

      „Hallo“, sagte der junge Mann fröhlich. Er war es wahrhaftig, lebendig, in voller Lebensgröße. Derselbe Mann den sie täglich am Bahnhof heimlich betrachtete, niemals einen Blick von ihm erhaschte und nie auch nur die kleinste Notiz von ihr nahm. Plötzlich stand er hinter ihr, wie aus dem Nichts, einfach so, stieg lässig vom Fahrrad, lächelte ihr ins Gesicht und hielt Schritt mit ihr. Franzine blieb beinahe das Herz stehen, auf diese Begegnung war sie nicht gefasst gewesen und sie fühlte, dass sie rot anlief.

      „Hallo“, gab sie kleinlaut zurück und wäre am liebsten im Boden versunken. Er wandelte nun neben ihr und sie konnte sich nicht verkeifen seine Gestalt zu betrachten. Ihr Blick haftete an ihm, mehr als ihr bewusst war.

      „Du gehst auch ins Kino? Ich habe mir heute vorgenommen diesen Film anzusehen, wir könnten doch zusammen hingehen, willst du mich begleiten?“ Franzine traute ihren Ohren nicht, fragte er sie tatsächlich ob sie mit ihm ins Kino gehen wolle?

      „Ja, ich habe nichts anderes vor“, Franzine gab höllisch acht, dass sie nicht zu stottern anfing, was peinlicheres konnte ihr in diesem Augenblick nicht passieren. Innerlich zersprang sie vor Freude, den heutigen Sonntag wird sie für alle Zeiten zu ihrem Glückstag erklären.

      „ Ich kenne dich, du stehst doch jeden Tag am Bahnhof wenn du zur Schule fährst, stimmts? Ich fahre ja in die Lehre, ich lerne nämlich Tischler, ich bin bald damit fertig, dann kaufe ich mir ein Motorrad“, sagte er enthusiastisch, „sag mal, wie heißt du eigentlich? Ich bin Ferdinand, aber alle nennen mich Ferry, ich wohne gleich im Nachbarort, Jungberg, wirst du bestimmt kennen.“ Natürlich kannte sie den Ort, auch Manuels Zuhause war es einmal gewesen und kurz tauchte sein Bild vor ihrem geistigen Auge auf.

      „Natürlich, manchmal gibt’s dort im Sommer sonntagabends ein wunderschönes Feuerwerk, habe ich schon öfters angeschaut, ich bin am Hauptplatz gestanden, dort wo die Springbrunnen sind, ich heiße übrigens Franzine.“ Sie schlug die Augen nieder, sie versuchte ihre Schüchternheit zu bekämpfen was sie zu ihrer Überraschung gut zuwege brachte. Ferry ließ keinen Blick von ihr und schien ihre Zöpfe, die über ihren Rücken baumelten nicht zu bemerken. Kein Zweifel, Franzine gefiel ihm und dies war in seinen Augen deutlich abzulesen.

      „Ich sehe jedes Mal hinüber zu dir wenn du mit den anderen Küken am Bahnhof stehst, aber nie hattest du zurückgeschaut, immer hab ich dich im Auge gehabt, aber kein einziger Blick kam zurück von dir.“ Das durfte doch nicht wahr sein! Erging es ihm genauso wie