Anita Florian

Die Ungeliebten


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ergangen sei und dasselbe von ihm berichten könnte? Keine gute Idee, überlegte sie und tat geradeso, als wäre sie verwundert, als hätte sie ihn tatsächlich noch nie auf dem Bahnsteig gesehen. Und so schlenderten sie gemütlich dem Kino entgegen. Das Eis war gebrochen, sie redeten, sie lachten und Franzine, die immer lockerer wurde, freute sich auf den Kinoabend mit Ferry, der ihr nicht nur die Eintrittskarte bezahlte, sondern ihr auch noch eine große Packung Popcorn spendierte. Vor dem Kino hatte sich eine beachtliche Menschentraube gesammelt und warteten auf Einlass. Fahrräder und Vespas parkten seitlich des Einganges, Ferry stellte sein Fahrrad mitten unter den Fahrzeugen ab, versperrte es und widmete sich wieder seiner neuen Eroberung, die scheu in die Menge blickte und ärgerlich feststellen musste, dass sämtliche Augenpaare auf sie gerichtet waren und tuschelnd über ihre Zöpfe herzogen. Ferry winkte ein paar Freunden zu, die vor der Süßigkeitentheke standen und Naschzeug für die Vorstellung kauften. Die dicke schwarzhaarige Frau beugte sich umständlich in die Vitrine und hatte Mühe, die Wünsche ihrer Kunden rasch zu erfüllen. Endlich öffnete sich die große Schiebetür, das Gedränge ging los, der Kartenabreisser riss den kleinen Abschnitt jedes einzelnen Besuchers mit Gelassenheit rasch ab. Franzine und Ferry nahmen ihre Plätze in den mittleren Reihen ein, klappten die Holzstühle herunter und setzten sich nebeneinander mit ihren Popcorntüten hin. Nach ein paar Minuten begann die übliche Wochenschau, die Franzine nicht im Geringsten interessierte. Glücksselig und zögernd knabberte sie ein paar Popcornhäppchen und wagte sich kaum zu bewegen. Ferry verfolgte das Programm, schimpfte entweder über die Politik oder lachte über das eben gezeigte Seifenkistenrennen, an dem er als Kind selbst gerne teilgenommen und tollkühn sämtliche Hänge mit erstaunlicher Geschwindigkeit hinunter gefahren ist. Nach der kurzen Vorschau, die die weiteren Filme präsentierte, die in nächster Zeit in diesem Theater gezeigt werden sollen, begann endlich der Hauptfilm. Ferry lachte laut auf, als Susi Nicoletti das Bad betrat und unbefangen den jungen Offizier fragte, was er denn da mache, fand er nur zu komisch. Diese Szene löste geradezu einen Lachanfall bei ihm aus. Franzine konnte sich nicht auf den Film konzentrieren, sie fühlte sich neben Ferry wohl und genoss seine Gesellschaft in vollen Zügen. Die Beine übers Kreuz geschlagen, an die Leinwand nach vorne schauend, fühlte sie plötzlich Ferrys Hand an ihrem Knie, ganz sachte hatte er sie darauf gelegt und hatte nicht die Absicht, sie wieder anzuheben. Sie spürte seine Wärme durch den Stoff, ja fast heiß wurde diese Stelle, Ferry legte zögernd seinen anderen Arm um ihre Schulter, sie spürte sein sanftes Streicheln am Nacken, ein wohliges Gefühl durchfuhr ihren Körper und wusste von nun an, dass ein guter Wendepunkt in ihrem Leben gerade zu keimen begonnen hatte. Sie ließ auch geschehen, dass er seine Wange an die ihre legte, geschmeidig und warm, ein wenig rau durch die Bartstoppeln hielt auch sie ihre Wange an die seine, roch sein Rasierwasser und atmete langsam ein. Eng umschlungen, wie ein frisches Liebespaar, das sie ja seit einer Stunde waren, sahen sie sich den Film bis zum Ende an. Popcornkauend, mit glänzenden Augen in der sanften Beleuchtung des Filmtheaters, waren sie wohl die glücklichsten Menschen des Abends an diesem Sonntag.

      Nach der Vorstellung überredete er sie zu einem Kaffeehausbesuch was sie freudestrahlend annahm. Die Predigt ihrer Mutter, wenn sie zu spät nach Hause käme, würde sie schon überleben, hatte sie doch ganz andere Dinge in ihrem Leben geschafft.

      Es dauerte die halbe Nacht bis sie sich voneinander loseisen konnten. Der Kuss auf ihren Lippen brannte wie Feuer, gleichzeitig fühlte sie seine weichen Lippen noch Stunden nach, die blauen, geradezu stechenden Augen Ferrys verursachten in ihr einen wahren Gefühlsausbruch. Sie war verliebt, bis über beide Ohren, in dieser unsagbar schönen Empfindung vergaß sie Raum und Zeit. Bis in den Haarwurzeln hinein bebte sie, schon alleine der Gedanke, dass sie ihn schon morgen wieder treffen würde, gab ihr keine Chance auch nur an Schlaf zu denken.

      Von nun an trafen sie sich täglich am kleinen Bahnhof, plauderten über wesentliche Dinge, händchenhaltend stiegen sie in den Zug, stiegen nach der Fahrt aneinandergeklammert wieder aus, häufig begleitete er sie dann zur Schule, trug galant ihre Schultasche und ließ sie bis zu ihrem Ziel nicht aus den Augen. Er verabschiedete sich mit einem Küsschen und Franzine betrat glücksselig das Schulgebäude. Jede freie Minute verbrachten sie zusammen, wanderten durch die Wälder oder bestiegen die nahe gelegenen Berge, zeigte ihr die Schönheiten der Natur, das üppig vorhandene Tierreich, besuchten Filmvorstellungen und lud sie zum Eisessen und Kaffeetrinken ein.

      Franzine schnitt am Ende des Schuljahres mit einem guten Durchschnitt ab, Ferry beendete seine Lehre mit Auszeichnung. Sie feierten im hiesigen Kaffeehaus mit einer Karaffe guten Rotweines und köstlicher Sacher Torte bis in die frühen Morgenstunden. Ein neuer Lebensabschnitt der beiden schien vorprogrammiert. Freya zeigte sich tolerant, sprach keine Verbote aus und ließ Franzine die nötige Freiheit, um sich mit Ferry zu treffen. Nach eineinhalb Jahren schien ihre Liebe gefestigt, nun war es an der Zeit sich beider Eltern vorzustellen, sie kennen zu lernen und ihre Zukunftsabsichten bekannt zu geben. Nie war es Ferry so ernst gewesen mit Franzine sein Leben zu teilen, mit ihr eine gemeinsame Zukunft zu gestalten. Dieser Wunsch brannte sich tief in seinem Herzen ein, die Vorstellung eines Tages Kinder mit ihr zu zeugen, wuchs zu einer fixen Idee heran.

      Eines Nachmittags teilte er ihr schonend mit, dass er sie zu sich nach Hause mitnehmen wolle, seine Mutter hätte gebacken und wäre schon gespannt auf das hübsche Wesen, in das sich ihr Sohn unsterblich verliebt hätte. Auch sein Vater wäre entzückt sie endlich kennen zu lernen, schließlich hätte sein Sohn das Erwachsenenalter erreicht, was auch bedeutete, dass Ferry gewisse Verantwortungen übernehmen, sich ein Maß an Selbstständigkeit aneignen könne. Franzine willigte mit Vorbedacht ein, versuchte ihre Unruhe unter Kontrolle zu halten und bereitete sich innerlich auf das Treffen vor. Langsam machten sie sich auf den Weg, zwei Kilometer Fußmarsch lag noch vor ihnen. Ferry redete beruhigend auf sie ein, fasste sich ihre Hand, drückte sie sanft und Franzine schöpfte neuen Mut.

      ***

      (1963)

      Das auffallendste an Ferry waren seine hellblauen Augen. Nur selten lächelten sie oder brachten etwas Freundlichkeit an den Tag. Sie faszinierten durch einen stechenden Blick und hatten manchmal etwas abschreckendes, dämonisches an sich. Franzine gegenüber zeigte er sich stets von seiner besten Seite, nie vermutete sie auch nur die geringste böse Absicht dahinter, oder dass er sich ausfallend und herrschsüchtig seinen Mitmenschen gegenüber verhalten könne. Die jettschwarzen Haare, streng mit Pomade angefeuchtet und glatt nach hinten gekämmt, ließ sein Gesicht voll zur Geltung kommen. Seine schwungvollen dichten Augenbrauen verliehen ihm einen gewissen männlichen Reiz, der in der Damenwelt nicht verborgen geblieben war. Junge Mädchen, die ihm verliebte Blicke nachwarfen, traten sogleich den Rückzug an, wenn sie seine barsche, unhöfliche Ausstrahlung wahrnahmen. Andere wiederum schienen das zu ignorieren und verfolgten ihn auf Schritt und Tritt. Oft traf man ihn an verschiedenen Veranstaltungen an, wo er sich köstlich zu amüsieren schien, flirtete und manchmal mit einem der Mädchen einen langsamen Blues tanzte. Das Partyleben hatte auch die Provinz eingeholt, der Kultursaal der kleinen Gemeinde war jedes mal mit jungen, tanzfreudigen Menschen zum bersten voll. Ein junger Disc-Jockey legte auf einem Podium die neuesten Platten auf und die Menge tobte sich auf der Tanzfläche mit den ausgefallensten Tänzen aus. Der Rock’n’Roll hatte Hochkonjunktur. Die ersten langen Haare bei manchen, mutigen Männern wurden zur Schau gestellt, doch die Elvis-Tolle hatte immer noch die meisten Anhänger. Ferry blieb bei seiner Pomade und trug die wie feucht wirkenden Haare streng nach hinten gekämmt.

      Frauen, die sich in den Vordergrund stellten und sich in eindeutiger Weise anboten, verabscheute er zutiefst. Er stempelte sie sogleich als billige Flittchen ab, musterte sie verächtlich von oben bis unten, dann kam ihm schon mal ein unflätiges Wort über die Lippen. Die gekränkten jungen Damen gaben entweder auf, oder fingen mit ihm einen Streit an, wobei die Beleidigungen seiner Worte die rasche Flucht der besagten Damen zur Folge hatte. Gefiel ihm ein Mädchen, dann wurde er zum Kavalier der besten Sorte, zu dem Typ Mann, den man nie wieder gehen lassen wollte. Und so kannten ihn seine Freunde, so nahm ihn seine Umwelt wahr, nur die Eltern wussten, wie es um ihn bestellt war, wenn er seinen Willen nicht durchsetzen konnte. Seinen Jähzorn, seine Bereitschaft zur Gewalt, seine unkontrollierbaren Wutausbrüche von denen er nur schwer runterkam, lösten bei ihnen Ängste und Unbehagen aus. Obwohl er seine Schreinerlehre mit Auszeichnung bestanden hatte, verspürte er keine Lust weiterhin in dem Betrieb zu bleiben, oder sich eine andere Arbeit zu suchen. Der Freiheitsgeist