Anita Florian

Die Ungeliebten


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du nur auf diesen Gedanken? Er ist der fürsorglichste Mann den ich kenne, du weißt, dass wir schon fast zwei Jahre miteinander gehen, noch ist nichts geschehen, aber bald werde ich seine Frau sein, noch vor der Heirat, er hat mich nie gedrängt, aber ich will es, wir gehören zusammen, das weiß nun die ganze Welt, bitte trübe mein Glück nicht, ich muss noch immer meine Zöpfe tragen, er mag sie, hättest du gedacht das mich mit dieser Aufmachung ein Mann anspricht? Noch dazu dieser gutaussehende Kerl den ich damals schon von weitem anhimmelte? Du kannst dir nicht vorstellen wie glücklich ich bin, welchen jungen Mädchen passiert das schon? Er hat ernste Absichten mit mir, sonst hätte er mich schon längst in sein Bett gelockt. Du musst das doch verstehen, nicht wahr Mama?“ Franzine ließ sich nichts einreden, niemand durfte sich über Ferry beschweren.

      „Er ist böse, er wird dich unglücklich machen, ich bin sehr besorgt um dich, von nun an habe ich keine ruhige Minute mehr, aber merk dir, vor deinem 21. Geburtstag habe ich noch das Recht falls er dich heiraten möchte, dass ich meine Einwilligung verweigere. Dich leiden zu sehen, das kann ich nicht ertragen.“ Freya war den Tränen nahe.

      „Und was ist damit?“ schrie Franzine und zog an ihren beiden Zöpfen, „ diese Biester sollen doch auch so lange an meinem Kopf bleiben, du machst mir mein Leben kaputt“, weinend lief Franzine aus dem Wohnzimmer. Mit sorgenvollem Gefühl, machte sich Freya an die Arbeit.

      Ferrys Ausdruck in seinem Gesicht ließ so manche zusammenzucken, doch wenn er seinen Mund zu einem Lächeln verzog, wurde selbst der hartnäckigste Zweifler beugsam und fand einen Funken Milde in seinem ausdrucksstarken Zügen, die sich nur selten herabließen um auf den Gegner mit Geduld einzugehen. Diplomatie war nie seine Stärke gewesen, seine mit Nachdruck gesprochenen Worte klangen fordernd und unberechenbar. Es fand sich kaum jemanden in seinem Umfeld, der ihm zu widersprechen wagte. Er strahlte Autorität und Härte aus, eine Handvoll Mitmenschen, zu denen er sich hingezogen fühlte, bewunderten seine Haltung, legten dies als innere Stärke und Selbstbewusstsein aus. Menschen, die ihm wohlgesonnen entgegentraten, belohnte er mit Zuneigung, seine gute Seite trat in den Vordergrund. Bei Franzine fühlte er sich sogar geborgen, hatte er doch schon längst entdeckt, dass sie fast aufopfernd um ihn besorgt war, ihre Liebe spürte und in ihr die Frau seines Lebens sah. Trotzdem hatte er nicht vor, seine bestimmten Freiheiten aufzugeben, sich gewisse Unabhängigkeiten zu bewahren. Der Drang in die Ferne zu schweifen überfiel ihn wie ein Regenschauer. Schon seit geraumer Zeit plante er nach Italien zu fahren, nach San Giovanni Rotondo, seinen lang gehegten Traum endlich wahr zu machen, dem von ihm bewunderten Geistlichen persönlich zu treffen und seine Wundmale aus der Nähe zu betrachten. Seine Gedanken kreisten um den populären Wunderheiler Pater Pio, seine Hochachtung an dem bedeutendsten Kapuziner kannte keine Grenzen, denn vielleicht, wenn Gott es will, besteht die Hoffnung auch seine Mutter Senta zu heilen, die an einer schweren Herzkrankheit und an Asthma litt. Oft fiel sie nieder und rang nach Luft, ihr Gesicht bläulich verfärbt, gab ein Bild des Entsetzens ab. Immer wieder schaffte sie es auf die Beine zu kommen, aber was, wenn eines Tages der Tod in sie fuhr, ihre Familie in Stich ließe und für immer fort wäre? Ferry war fest entschlossen so bald als möglich seine Reise anzutreten und Pater Pio um Hilfe zu bitten. Vorerst brauchte Franzine nichts davon zu erfahren, über Religion und seine Glaubensansichten hatten sie noch nie gesprochen. Das hat noch Zeit, wer weiß wie sie es aufnehmen würde, denn schließlich ist in ihrem Zuhause kein einziges Heiligenbild oder Kruzifix zu sehen gewesen.

      Einige Tage später erstand er ein gebrauchtes Motorrad, das Senta und Tanno finanzierten, regelte die Anmeldung, bekam ein Nummernschild und schon bald konnte ihn niemand mehr aufhalten. Er kundschaftete die Reiseroute aus, studierte die Straßen nach Italien, rechnete den Benzinverbrauch aus, versuchte das Geld, das ihm Senta zusteckte, so gut wie möglich zu sparen. Von einem Freund bekam er eine Satteltasche geschenkt die er sich auf dem Gepäcksträger schnallte und die wichtigsten Habseligkeiten hineinstopfte. Der Tag der Abreise rückte näher, seine Vorstellungen eine gesunde Mutter durch die Wunderheilung Pater Pios zurück zu erhalten, war Priorität geworden, nichts anderes hat nun Vorrang, auch Franzine musste eine Weile warten, sie wird überrascht sein, was er dann zu berichten hätte. Dies würde sie in Staunen und Freude versetzen und einer Heirat stand dann nichts mehr im Wege. Ob sie das verstehen könnte? Vermutlich würde sie versuchen, ihn von seiner Reise abzuhalten, ja vielleicht sogar seinen Plan auszureden, Unverständnis ernten und vielleicht sogar darüber lachen. Dieses Risiko wollte er nicht eingehen und beschloss, ohne jeglichen Abschied abzureisen und seiner Braut kein Sterbenswörtchen zu verraten. In ein paar Wochen würde er zurück sein, mit freudigen Nachrichten aufwarten, den romantischsten Heiratsantrag den man je gesehen hatte zelebrieren und Franzine den besten Ehemann abgeben, den die Welt je gesehen hat. Senta wird vor Gesundheit strotzen, dank seiner Fürsprache bei Pater Pio, auf den nun alle Hoffnungen ruhten. Das graue Motorrad war überladen, die Satteltaschen hingen dick an jeder Seite des Hinterrades herunter, die zusammengerollte Schlafmatratze war auf dem Gebäcksträger geklemmt. Ferry strahlte, es sollte eine abenteuerliche Reise nach Italien werden, die er nie vergessen sollte.

      Ferry war wie vom Erdboden verschluckt. Franzine konnte es sich nicht erklären wo ihr geliebter Freund abgeblieben ist. Eine Woche war schon vergangen und er hatte sich nicht bei ihr gemeldet. Es verstrichen schon mal Tage, wo sie sich nicht trafen, drei oder vier, doch noch niemals blieb Ferry eine Woche ohne sie zu benachrichtigen fern. Sorge bereitete sich in ihr aus und Mutter Freya kam ihr kein Stückchen entgegen. Seine Eltern aufzusuchen wagte sie nicht, das käme einem Nachlaufen gleich, dieser Blöße wollte sie sich nicht aussetzen. Eine Woche ohne Ferry, sie hatte nicht die geringste Ahnung wo er sich aufhalten könnte.

      „Du solltest dir keine Gedanken machen Franzine“, Freya sah dies mit erleichterten Gefühlen entgegen, „er wird schon wieder auftauchen, Männer sind nun mal so gebaut, sie kümmern sich nicht darum wie man dabei leidet und fühlen sich nicht verpflichtet, auch mal Bescheid zu sagen wenn sie anderwärtige Interessen haben. Ich denke, er braucht mal eine Auszeit von dir.“ Freya war sich nicht bewusst, wie tief ihre Worte in Franzines Herzen bohrten, die sich sofort einbildete, dass hier eine andere Frau im Spiel war. Sie saßen im Wohnzimmer, Franzine versuchte sich mit einem Buch abzulenken und Freya stickte an ihrem Tischläufer.

      „Mama, wie kannst du nur? Ich mache mir die größten Sorgen und du sprichst von Auszeit, wenn er morgen noch immer fort ist, gehe ich zu seinen Eltern, mir ist es egal was die denken, auch was du denkst, ich kann nicht so einfach hier sitzen und gar nichts tun.“ Nervös strich sich Franzine über ihre Zöpfe, ihr Hass auf sie war ungebändigt, tief bohrte sie ihre Fingernägel in das Geflecht um sich abzureagieren.

      „Ich gehe spazieren, ich halte es hier nicht aus, ich brauche Luft, vielleicht begegne ich ihm ja.“ Voller Hoffnung zog sie ihre Jacke und Schuhe an und verschwand nach draußen. Lange schlenderte sie durch den Ort, traf ehemalige Schulfreunde, ein paar Nachbarn liefen ihr über den Weg, doch Ferry blieb verschwunden.

      Dann kam ihr ein rettender Gedanke, ja, seine Schwägerin, Annelie, sie hat mich ja eingeladen, ob ich zu ihr fahren und nach ihm fragen soll? Nicht lange überlegt, stieg sie in den nächsten Bus, der sie vier Stationen weiter den Weg zu Annelies Haus einschlagen ließ.

      Schon bald hatte sie die kleine Siedlung am Ortsrand erreicht. Eine Zeile neuerbauter Reihenhäuser mit spielenden Kindern davor, bot ein gepflegtes und lebhaftes Bild. Einfamilienhäuser die mit einem Vorgarten und Umzäunung ausgestattet waren taten sich links und rechts auf. Fast am Ende des Weges stand Annelies und Pepps schmuckes Einfamilienhäuschen. Das Hausnummernschild 39 war groß über der Eingangstür mit verschnörkelten Ziffern angebracht. Ein riesiger Gemüsegarten mit exakt angelegten Beeten, Salat und Gemüsepflanzen in penetrant genauen Abstand, standen aufrecht und bereit zu reifen in der sorgfältig begossenen Erde. Da entdeckte sie eine gebückte Gestalt die sich mit flinken Händen in der Erde zu schaffen machte. Annelie war gerade dabei das letzte Unkraut aus dem Kohlrabi Beet zu jäten.

      „Guten Tag Annelie“, rief Franzine, die keine Scheu zeigte und über den weiß gestrichenen Zaun blickte.

      „Franzine, o das ist aber eine Freude, grüß dich Gott, ich bin gerade fertig geworden“, freudig legte sie ihre Handschuhe ab, die von der Erde dick bedeckt waren und lief zum Gartentor um Franzine einzulassen. Eine heftige Umarmung überraschte sie angenehm, Annelie war entzückt ihre Schwägerin