Anita Florian

Die Ungeliebten


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Tochter für lange Zeit nicht mehr sehen. Dorothea bemerkte ihren Zustand, mitfühlend nahm sie ihre Schwester in die Arme und versuchte sie zu trösten.

      „Ihr wird es an nichts fehlen, mein Mann richtet schon ein nettes Zimmer für sie her, wir werden alles tun, damit sie glücklich ist, bitte mach dir keine unnötigen Sorgen. Deine Arbeit hat nun Vorrang, lebe dich erstmal ein, wenn sie zurückkommt findet sie eine strahlende, schöne Mutter vor. Wir werden es schaffen, beide, du brauchst nun Kraft, es wird alles gut gehen.“ Stumm nickte Franzine, ein schwaches Lächeln brachte sie zustande und umarmte ihre Schwester.

      „Morgen müssen es wir ihr sagen, ich weiß nicht wie sie es aufnehmen wird, sie war noch nie von mir getrennt. Sie ist ein tapferes Mädchen, ich hoffe nur, dass ich das Weinen zurückhalten kann wenn sie in das Auto steigt. Nein, das wird nicht funktionieren, ich sehe mich schon als heulendes Elend….Dorothea, du musst mir helfen.“

      „Das ist doch selbstverständlich, wir beide werde es ihr schonend beibringen, es war ganz gut, dass wir es ihr nicht schon heute gesagt haben, sie war so fröhlich, es war richtig, also nun lächle wieder, du wirst sehen, dass sie womöglich Freude daran haben wird mit mir mitzufahren. Acht Monate, die gehen auch vorbei, das ist kein großer Berg den man nicht bezwingen kann.“

      „Ich werde mich zusammenreißen, ich werde es durchstehen, mein Kind in guten Händen zu wissen ist sehr viel wert. Ich danke dir, Dorothea.“ Neuer Mut machte sich in Franzine breit, sie atmete tief ein, Tränen standen in ihren braunen Augen, doch sie fühlte sich elend.

      Bernadette war aus dem Bett gekrochen und trippelte leise zur Tür. Sie hörte die beiden Frauen sprechen und verharrte wie erstarrt in der Dunkelheit. Was hatte ihre Mutter da eben gesagt? Sie würde weinen?

      „Ich helfe dir natürlich morgen Bernadettes Sachen zu packen, wir werden nur das Nötigste mitnehmen, sie wird ganz neu eingekleidet, sie wird sich freuen wenn wir beide in Venedig einkaufen gehen. Oder wir fahren nach Udine hinauf, das wird ihr bestimmt gefallen. Nun bitte keinen Trübsinn mehr, es wird sich alles zum Besten entwickeln, ich kann dir das versprechen.“ Leise hörte Bernadette Dorotheas Stimme durch die Tür.

      „Nur der Augenblick des Abschieds wird mich zerreißen, das verstehst du doch, nicht wahr Dorothea?“ Verzweifelt hielt sie ihre Schwester fest.

      „Natürlich verstehe ich das gut, aber mach dich doch nicht fertig, morgen wird es anders aussehen, bitte vertraue mir. So, und jetzt möchte ich deine Geschichte weiterhören. Was passierte mit Ferry als er nach Hause kam? Wie ging es mit euch beiden weiter?“

      Bernadette hatte sich wieder ins Bett gelegt. Völlig verstört flossen ihr die Tränen über die Wangen. Sie musste morgen mit Tante Dorothea mitfahren, sie musste weg von ihrer Mutter, weg von Tanja, weg von Pucki. Hatte sie das nur geträumt, oder war es Wirklichkeit. Leise schluchzte sie in ihr Kissen. Für wie lange musste sie wegbleiben? Für immer? Endlich schlief sie ein, während Stimmfetzen ihrer Mutter leise durch die Tür drangen.

      Unwirsch, mit dumpfem Knall, ließ Edna Edler ihr Bügeleisen auf das Brett fallen. Ihr Mund war nach unten gezogen, mit schwungvollen Bewegungen ließ Edna das Bügeleisen auf Udos Arbeitsanzug hin und her gleiten. Nicht ganz sauber, war sie doch gewillt, ihrem Mann den blauen Overall so gut als möglich glatt zu bügeln. Udo, der wieder sein gewöhnliches Bier trank, am Tisch lümmelte und so tat, als würde er in der Zeitung lesen, brummte vor sich hin.

      „Ah, hörst du“, Edna schnaubte, „jetzt ist es endlich still da drüben, na, die haben ja toll gefeiert, so was dummes, was hat die denn schon zu feiern? Weißt du was? Die ist ihrem Mann weggelaufen, ja, so sieht sie mir aus, diese hoch frisierte Möchtegernstrahlefrau! Ignazia hat wohl einen Knick in der Pupille!“ Sie stieß einen Schrei aus, sah gegen die Tür und war aufgewühlt mit ihrer Arbeit beschäftigt.

      „Kannst du nicht einmal still sein und Ruhe geben? Lass sie doch, ist doch schon ruhig drüben.“ Gelangweilt blickte Udo wieder in seine Zeitung.

      „Und was, wenn es noch immer laut wäre? Das möchte ich sehen, wenn du morgens in aller Frühe deine verzerrte Visage aus dem Bett zerrst.“ Edna war außer sich vor Wut.

      „Ruhe!“ schrie Udo und knallte mit seiner geballten Faust auf den Tisch.

      „Schrei nicht so, drisch nicht so herum, Curd schläft nebenan, und hau mir meine Möbel nicht kaputt, verdammt noch mal!“ Edna konnte sich kaum beherrschen.

      „Das liebe Söhnchen wird nicht aufwachen, hat du nicht bemerkt, dass er immer wortkarger wird? Weißt du, was ich glaube?“ Udo drehte sich Edna und ihrem Bügelbrett zu und grinste.

      „Was weißt du schon, na, sag es mir doch, aber keine Umschweife diesmal, ich kenne dich doch, deine Antworten muss man sich erst zusammenreimen.“ Nun hatte auch Edna ein Grinsen um ihren Mund. Doch böse blickte sie zu Udo hinüber.

      „Nun…wenn du es noch nicht bemerkt hast, mir ist es schon aufgefallen, dein Sohn, unser Sohn, hat sich…..sagen wir mal, sich wieder umgesehen.“ Udos spöttisches Grinsen hasste Edna, sie hasste sein aufgedunsenes Gesicht, sie hasste seine ständig verschmutzten rauen Hände, und jetzt verfluchte sie ihren Ehemann, in dieser Minute hätte sie ihn am liebsten angesprungen und ihm die Gurgel zugedreht.

      „Was zum Teufel meinst du, was ist mit Curd los? Umgesehen, wonach? Sag mal, willst du mich ärgerlich machen? Mach keine Witze mit mir.“ Sie stand steif bei ihrer Arbeit, ihre Augen auf Udo gerichtet, die reine Neugierde verriet. Jeden Moment könnte Udo aufspringen und ihr eine Ohrfeige mitten ins Gesicht schlagen. Doch er blieb sitzen.

      „Meine Liebe“, er räusperte sich laut, „ unser Ableger hat sich in unsere neue Nachbarin verguckt.“

      Edna hielt inne, sie war plötzlich ganz still, sah nach der Schlafzimmertür hinter der Curd vermeintlich schlief. Sie dachte nach, sie bügelte und hustete. Dann, nach einigem Überlegen nickte sie….lächelte mit ihrem faltigen Mund und rief: „Fantastisch. Hast du die Frau gesehen, die heute zu ihr gekommen ist? Das muss eine reiche Witwe sein, ich hab das so im Gefühl, sie sehen aus wie Zwillinge, wenn die andere besser beinander wäre natürlich, aber eines weiß ich: Sie sind verwandt miteinander.“

      „Hör auf zu träumen und mach mein Zeug fertig“, Udo sprang auf und spuckte in die Spüle, drehte das Wasser auf und ließ seinen Auswurf in den Abfluss fließen.

      „Eigentlich habe ich gar nichts dagegen“, meinte Edna, „auch wenn der kleine Balg da ist, ich finde sie süß, wenn Curd sie haben will, ich stehe ihm nicht im Wege.“

      „ Du sollst mein Gewand fertig machen, außerdem habe ich für deine Spinnereien nichts übrig! Geh in den Keller, nimm den großen Korb mit und bring mir Bier herauf, es ist unfasslich was du dir da zusammendichtest…!“

      Udos Geduld war zu Ende, seine Frau konnte man nur als berechnend beschreiben. Wen kümmert es schon, wen Curd nach seiner Scheidung wieder auserwählt? Er sollte sich doch erholen, für eine neue Beziehung hätte er zumindest jetzt keine Zeit, keinen Bedarf. Selbst der dümmste Mensch sollte in dieser Situation Verständnis haben, auch Edna, die gerade Udos blauen Arbeitsanzug faltete und ihn auf die Bank neben den Tisch hinlegte.

      Curd saß gebeugt in seinem Bett. Er hatte alles mithören können und rieb sich gedankenvoll die Augen. Er verspürte Müdigkeit, eine lang anhaltende Müdigkeit, die nicht weichen wollte. Er nahm das Glas Wasser vom Nachttisch und trank einen großen Schluck daraus. Nein, dies sollte nur eine kurzfristige Lösung sein, das Leben bei den Eltern, die alles sind, nur nicht aufgeschlossen oder weltoffen, musste baldmöglichst der Vergangenheit angehören. Enge, drückende Gedanken, die die Seele zuzuschnüren versuchten, wollte er nicht in sein Inneres lassen. Hatte er nicht schon diesen Ausdruck bei seiner neuen Nachbarin entdecken können? Es war wohl schon zweimal, als er ihr im Treppenhaus begegnet ist, sie hatte immer freundlich gegrüßt, sie war immer adrett und sauber angezogen, sie lächelte und sie hatte eine Tochter, die genau in dem Alter sein musste, als seine eigene Frau das Kind vor Jahren verloren hatte. Eine Frau die es schwer hatte, eine Frau, die ihr Leben zu meistern versuchte. Genau das, was ein Mann wie Curd sich immer vorgestellt hatte, eine Frau, die sich nie unterkriegen lässt.

      Edna