Anita Florian

Die Ungeliebten


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übermäßig, aber sie sollte seine Träume und Wünsche erfahren. Bestimmt sehe sie ihn dann als Helden, nicht viele Männer nehmen eine Reise mit einem alten Motorrad in Kauf, den meisten fiele dies nicht einmal ein. Doch sein plötzliches Verschwinden musste er begründen, dabei wollte er es bei der Wahrheit belassen.

      Senta versorgte ihn heute nur mit Süßspeisen, was dachte sie sich dabei? Seine Zähne, tadellos und gerade gewachsen, sind vollkommen in Ordnung. Ein knuspriges paniertes Backhuhn wäre nicht von der Hand zu weisen. Doch dies war nicht im Hause und Senta sorgte sich um seine Gesundheit. Vielleicht würde Tanno mitten in der Nacht aufstehen und zum Fluss hinüber gehen. Dort gab es prachtvolle Forellen die gerade in der Nacht wohl am besten anbissen. Manchmal brachte er fünf Stück in einer kleinen Wanne mit nach Hause, lang und tot lagen sie im blutigen Wasser, manche bewegten sich noch, die letzten Nerven bäumten sich noch auf. Klammheimlich schlich sich Tanno dann wieder zurück, eine Fischergenehmigung besaß er nicht, das wäre zu teuer, niemals könnte er die Gebühr bezahlen. Also besorgte er sich die Fische umsonst, es brauchte ja niemand zu erfahren, bis jetzt ging alles glatt und Sonntags schwammen die Forellen mit viel Knoblauch in einem Buttersee in der riesigen Pfanne und brieten sich eine knusprige Haut an. Der Geruch verbreitete sich im gesamten Haus, Senta stellte zu diesem Zeck einen Topf Milch auf den Herd und ließ ihn überlaufen. Somit war der Forellengeruch beseitigt und niemand könnte auf die Idee kommen Tannos Diebstahl anzuzeigen, die Beweise lagen im Magen, der Rest wurde ins Ofenloch geworfen.

      Scheiterhaufen. Na gut, für heute eine gute Mahlzeit, vielleicht könnte man für morgen ein Huhn besorgen, es laufen ja viele in den umliegenden Höfen herum, das sollte kein Problem darstellen.

      Senta schritt langsam über den Hof, der gegenüberliegende Schuppen enthielt Brennholz und manch Vorräte. Eine Steige mit bausbackigen roten und gelben Äpfeln befand sich gleich neben dem Gatter. Langsam hob sie ihre Schürze und legte die Äpfel sachte hinein. Sie sah hinauf zum Fenster, es war geschlossen, Ferry saß noch in der Wanne und träumte.

      In den nächsten Tagen musste er sich bei Franzine melden, er verspürte Sehnsucht nach ihr. Er begann sich auf sie zu freuen, in ein paar Tagen würde von seinen Schürfwunden nichts mehr zu sehen sein. Der Anzug muss noch aufgebügelt werden, die Schuhe geputzt und er selbst wieder vollständig hergestellt werden. Er wusch sich den Schaum vom Körper und stieg aus der Blechwanne.

      Vor ihren Tellern lag die gebackene Süßspeise die Ferry mit ein paar Schlucken Rumtee genüsslich aß. Senta gelang es wieder einmal vorzüglich aus diesen einfachen Zutaten eine Delikatesse zu zaubern. Auch sie aß mit Genuss und ließ es gerne geschehen, dass sie Ferry zwischendurch an sich drückte und ihr die Wangen voller Küsschen übersäte. Sie strahlte ihren Sohn an, erfreut, dass es ihm wieder gut zu gehen schien. Für Tanno stand noch die halbe Backform voll Scheiterhaufen im Ofen den er lieber mit einem Glas purem Rum in sich schaufelte. Nach der Arbeit musste das Essen warm und frisch auf den Tisch stehen, ansonsten wäre sein Gebrüll meilenweit zu hören, einen hungrigen Wolf darf man nicht warten lassen.

      Es pochte heftig an der Außentür. Kurz blickten sie sich verwundert in die Augen.

      „Ich bin im Morgenmantel, lass keinen herein“, sagte Ferry entsetzt, er hasste es wenn er nicht korrekt angezogen, die Blicke von anderen Leuten auf ihn gerichtet waren.

      „Keine Sorge, wird wohl ein Staubsaugervertreter sein.“ Senta ging hinaus und öffnete.

      Verwundert betrachtete sie die ältere, gut gekleidete Frau die lächelnd mit einem kleinen Blumenstrauß grüßte.

      „Wir kaufen nichts…“, sagte Senta barsch und wollte die Tür vor ihrer Nase zuschlagen.

      „Bitte“, sprach die Frau leise und hielt ihr das kleine Veilchensträußchen hin, „bitte nehmen Sie, ich brauche nur eine Auskunft von Ihnen, ich bin Frau Thalmann, Franzines Mutter, wir kennen uns doch.“ Seit dem Treffen damals hatten sie sich nicht mehr zu Gesicht bekommen. Sentas Augen weiteten sich. Was sollte sie jetzt tun? Die Blumen annehmen und sie hereinbitten? Ferry wäre das gar nicht recht. Die Frau begann heftig mit den Augenlidern zu flattern.

      „Oh….“, brachte Senta hervor, erst jetzt erkannte sie die Dame, die verschüchtert vor ihr nach Worten suchte. Fast hatte sie das Beisammensein, das Kennenlernen vor einiger Zeit vergessen. Sie steckte in dieser Sekunde in einer Zwickmühle und überlegte fieberhaft um eine rasche Lösung. Nichts desto Trotz nahm sie die Blumen entgegen.

      „Bitte warten Sie einen Augenblick, ich bin gleich wieder zurück.“ Sie schloss die Tür und ließ Franzines Mutter verdutzt im Flur stehen.

      „Ferry, Franzines Mutter steht draußen, sieh mal was sie mir gebracht hat. Soll ich sie herein lassen? Ich kann sie nicht wieder wegschicken, ich hab die Blumen angenommen“, lächelnd frischte sie die Veilchen in einem Wasserglas ein.

      „Was macht die denn hier“, fragte Ferry nicht ganz ohne Zorn, „ausgerechnet jetzt, ich ziehe mich schnell an, die wird ja einen feinen Eindruck von uns haben.“ Wütend ging er ins Schlafzimmer und suchte seinen besten Anzug heraus.

      Als er fein säuberlich gekleidet wieder aus dem Schlafzimmer kam, saß Freya Thalmann in der Küche während Senta hurtig die Teller und Tassen vom Tisch räumte. Senta gelang es, die Blechbadewanne schnell in die Speisekammer zu ziehen bevor sie den Besuch die Tür öffnete und sie hereinließ. Das Wasser schwappte dabei über und Freya fielen die Wasserpfützen in der Küche auf. Der Lavendelgeruch war noch zu vernehmen, Vogelgesang drang ihr in die Ohren. Ferry kam aus dem Schlafzimmer und reichte Freya die Hand. Der Druck war hart und rau. Seine Wunden schimmerten von seinen Handoberflächen, die Manschettenknöpfe die er sich in der Eile hineingesteckt hatte, hingen schief im Knopfloch. Geflissentlich übersah Freya die kleine Panne. Eine leichte Spannung erfüllte die Luft, Ferry räusperte sich und versuchte ungeschickt seine Hände zu verbergen. Nervös packte er die Tischplatte und ließ beide Daumen an der Oberfläche. Freya bemerkte eine gewisse Aggression, als sie ihm in die Augen blickte. Wie sollte sie ihm beibringen, dass ihre Tochter im Krankenhaus lag, die Schuld bei ihm zu suchen war? Er wusste von nichts, doch er sollte es erfahren. Ob er danach ein schlechtes Gewissen spüren würde? Ihre Blicke wanderten langsam durch die zweckmäßig eingerichtete Küche. Der Raum versprach weder Gemütlichkeit, noch wies sie einen Funken Behaglichkeit auf. Billige Heiligenbilder, die über dem weißen Bett aufgehängt waren, bewirkten eher Bekümmernis als Frohmut. Ein Jesusbild, mit schmerzverzerrten Gesicht und Dornenkrone, widerspiegelten wohl das Innenleben dieser Familie.

      Sie musste irgendwie zu Wort kommen, Senta strich sich über ihre Satinschürze und fragte erst nach einer Weile des Schweigens, ob sie einen Apfelsaft trinken wolle.

      „Gerne, danke“, erwiderte sie und fühlte sich erleichtert, dass der Bann nun gebrochen war. Senta verschwand mit einem Glas in der Speisekammer, woraus fröhliches Vogelgezwitscher drang, stieß an etwas Hartes, als sie die Tür öffnete und kam dann mit bis zum Rand aufgefüllten Saft wieder zurück. Ferrys Augen blitzten blau, betrachtete sie unentwegt, bevor auch er endlich zu sprechen begann.

      „Was führt Sie zu uns, Frau Thalmann?“

      Konnte er es sich nicht denken? Was, in Gottes Namen ging in diesem Mann vor? Die seelische Zerrüttung Franzines schien ihm nicht in den Sinn zu kommen. Hatte er sie so schnell vergessen und wollte sich sang und klanglos aus der Affäre ziehen? Senta nahm gegenüber Platz. Neugierig wartete sie darauf, was nun geschehen würde. Freya fasste Mut, jetzt oder nie, die Stunde der Wahrheit, es gab keine Ausflüchte mehr.

      „Wo sind Sie gewesen, lieber Herr“, sagte sie nicht ohne Nachdruck, „ meine Tochter liegt im Krankenhaus, warum haben Sie sie ohne ein Sterbenswörtchen verlassen? Sie sorgte sich nicht nur um Sie, sie ist beinahe gestorben vor lauter Kummer. Wenn Sie schon meine Tochter verlassen, dann wäre es richtiger gewesen, dass Sie ihr die Wahrheit schonend beigebracht hätten, auch wenn es noch so schwer und zermürbend gewesen wäre. Das würde ich einen ausgewachsenen Mann zutrauen, aber dies hier, was Sie, ja ich sage, verbrochen haben, ist unverantwortlich. Ich mache mir die größten Sorgen, wenn ihr etwas passiert, tragen Sie die Hauptschuld.“ Nun war es raus. Sie atmete tief ein, sie zitterte, gefasst darauf, dass dieser Mann die Beherrschung verlieren könnte. Senta legte die Hand vor den Mund. Ferry überfiel